Darf die Unia einfach reingrätschen? Sieht so aus.
Die Gewerkschaft für Bau und Industrie versucht, für die Balletttänzer*innen am Theater Basel höhere Löhne zu erstreiten. Ist sie rechtlich überhaupt dazu berechtigt? Arbeitsrechtler Thomas Geiser gibt Auskunft.
Die Balletttänzer*innen des Theater Basel fordern höhere Löhne (Bajour berichtete). Und sie haben dafür die Unia eingespannt. Am Donnerstag trafen sich alle Beteiligten zu einem Gespräch, der Ausgang ist – Stand jetzt – noch offen.
Doch darf die Unia das überhaupt?
Traditionell ist sie unter anderem für Bau und Industrie zuständig. Für die Bühnenkünstler*innen ist eigentlich Szene Schweiz verantwortlich, der Berufsverband Darstellende Künste. Er ist es auch, der in einer Sozialpartnerschaft mit dem Bühnenverband über den Branchen-GAV verhandelt. Szene Schweiz hat daher gar keine Freude am Reingrätschen der Unia, Geschäftsführerin Salva Leutenegger bezeichnete das Vorgehen als «unkollegial». Und Theaterdirektor Benedikt von Peter zeigte sich gegenüber der BaZ verwirrt: «Wir wissen bis jetzt noch nicht, ob die Unia die Tänzer vertritt.»
«Es gibt kein Monopol auf die Vertretung im Rahmen der Sozialpartnerschaft.»Thomas Geiser, emeritierter Professor für Privat- und Handelsrecht an der Universität St. Gallen
Stellt sich die Frage: Ist die Unia überhaupt berechtigt, über Gagen zu verhandeln? Und riskieren die Tänzer*innen nicht, die Friedenspflicht zu verletzen, wenn sie bei einem bestehenden GAV weitere Aktionen planen, etwa gar in Streik gehen?
Die Unia darf, wie Thomas Geiser, emeritierter Professor für Privat- und Handelsrecht an der Universität St. Gallen, auf Anfrage sagt: «Es gibt kein Monopol auf die Vertretung im Rahmen der Sozialpartnerschaft.» Die Unia habe das Recht, zu verhandeln, insbesondere, wenn sie eine substanzielle Zahl der Arbeitnehmer*innen vertrete.
Gemäss Unia ist das der Fall. Laut Gewerkschafterin Daria Frick sind alle Balletttänzer*innen, die vom Theater angestellt sind, von der Unia mandatiert.
Und, so Geiser: Da die Unia selbst bislang nicht Bestandteil des Gesamtarbeitsvertrags ist, kann sie wohl auch direkt mit dem Theater selbst über Gagen verhandeln und muss nicht den Umweg über den Arbeitgeberverband, den Bühnenverband, machen. Sollte sich das Theater dem verweigern, könnte es die Unia einklagen.
Die Szene Schweiz hat zu den rechtlichen Aspekten am 7. Juni eine Stellungnahme* veröffentlicht.
Laufen die Tänzer*innen nicht trotzdem Gefahr, die Friedenspflicht zu verletzen? Laut Thomas Geiser kommt es darauf an, ob die Tänzer*innen Mitglied der Gewerkschaft Szene Schweiz sind oder nicht. Sind sie Mitglied, sind sie an die Friedenspflicht gebunden und dürfen nicht streiken. Sind sie dagegen nur Unia-Mitglied, müssen sie sich nicht an den GAV halten. Unia-Gewerkschafterin Daria Frick konnte am Donnerstagnachmittag nichts dazu sagen.
Wenn die Tänzer*innen die Friedenspflicht verletzen, verletzen sie damit ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag. Erleidet dadurch das Theater einen Schaden, können die Tänzer*innen schadenersatzpflichtig werden. Handelt es sich um eine schwere Verletzung der Friedenspflicht, kann dies auch ein Grund für eine fristlose Entlassung sein. Bislang haben die Tänzer*innen allerdings nicht gestreikt, sondern nur Transparente hochgehalten. Ob das bereits als Verletzung der Friedenspflicht angesehen werden kann, ist fraglich.
Zeit der Gespräche
Der Mindestlohn für Balletttänzerinnen und -tänzer am Theater Basel liegt bei 4500 Franken – das sind 200 Franken über der Mindestgage für Berufseinsteiger*innen gemäss GAV. Laut Theaterintendant Benedikt von Peter soll die Durchschnittsgage bis im Sommer 2024 auf knapp 4900 Franken klettern, zuzüglich 13. Monatsgehalt, das sagte er der BaZ. Das Ensemble und die Gewerkschaft fordern jedoch ein Minimum von 5300 Franken.
Im Theater Basel ist offenbar die Zeit der Gespräche: Zurzeit laufen auch Verhandlungen über den Gesamtarbeitsvertrag des technischen Personals, schreiben Vpod und Unia in einer Medienmitteilung.
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*Update am 8. Juni 2023 des Artikels: Zum Zeitpunkt der Recherche von Bajour hat Szene Schweiz zu den rechtlichen Aspekten nichts gesagt. Jetzt hat sie eine Stellungnahme veröffentlicht und wir haben diese ergänzt.
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