Spiel mit dem Feuer

Grausame Geschichten erzählt die chilenische Regisseurin Manuela Infante im Schauspielhaus des Theater Basel. Es geht um Frauen, die von Männern verbrannt werden, um Frauen, die sich schliesslich selbst verbrennen und um Feuer überhaupt.

Theater Basel
Schauspiel
Stück Was wir im Feuer verloren
Inszenierung: Manuela Infante
Komposition: Diego Noguera
Bühne und Lichtdesign: Rocío Hernandez
Kostüme: Robin Metzer
Dramaturgie: Kris Merken, Camila Valladares
Mit: Elmira Bahrami, Gina Haller, Marie Löcker, Annika Meier, Gala Othero Winter

Foto: Lucia Hunziker
April 2025
Brennbare Holzlatten, Zigaretten und fünf Schauspielerinnen im Basler Theater, das auch schon mal (1904) lichterloh gebrannt hat. (Bild: Ingo Höhn)

Es ist Manuela Infantes Spezialität, komplexe theoretische Themen auf die Bühne zu bringen. Die Dramatikerin, Schriftstellerin und Musikerin wurde 1980 in Santiago de Chile geboren. Sie ist eine begehrte Künstlerin und eine typische Erscheinung des internationalisierten, zeitgenössischen Theaters. Mit ihrem Team, dem Musiker Diego Noguera und der Bühnenbildnerin Rocio Hernandez, hat sie in Basel 2022 schon das Endspiel «Wie alles endet» inszeniert. Nun setzt sie ihre Arbeit hier z. T. mit denselben Schauspielerinnen wie damals fort.

Diesmal hat sie eine Erzählung von Mariana Enriquez (geb. 1973 in Buenos Aires) dramatisiert:  «Las cosas que perdimos en el fuego» heisst die Erzählung, die auch den Sammeltitel für Enriquez’ Erzählband von 2016 abgab. Ein Jahr später erschien der Sammelband auf Deutsch unter dem Titel «Was wir im Feuer verloren» . «Diese starken, schönen Geschichten wird man nicht leicht vergessen», urteilte die Spezialistin für spanischsprachige Literatur Michi Strausfeld

Die Zitate aus der Erzählung von Enriquez sind die stärksten Teile des ganzen Theaterabends.

Sechs Auszüge aus der Erzählung von Enriquez strukturieren den Abend Infantes. Der erste Ausschnitt erzählt vom «U-Bahn-Mädchen»: «Gesicht und Arme waren von grossflächigen, durchgehenden, tiefen Brandwunden vollkommen entstellt. Ihr Mund hatte keine Lippen mehr. Ihr ganzes Gesicht war eine von Spinnweben überzogene Maske (…) Sie stieg in den Waggon und begrüsste die Fahrgäste mit einem Kuss auf die Wange.» Ihr Mann hatte sie mit Alkohol übergossen und angezündet, behauptete aber nachher, sie habe sich selbst verbrannt. «Und sie haben ihm geglaubt», wiederholte die schwer gezeichnete Frau in der U-Bahn eins ums andere Mal. «Sie haben ihm geglaubt.» «Sie haben ihm geglaubt.»

Um es gleich zu sagen: Die Zitate aus der Erzählung von Enriquez sind die stärksten Teile des ganzen Theaterabends. Infante lässt auf das Einleitungszitat eine Szene von Schauspielerinnen folgen, die sich mit dem Feuerwehrmann über Sicherheitsmassnahmen im Theater auseinandersetzen. Sie bangen um ihre Auftritte, die Wirkung ihrer Kostüme, das Recht zu rauchen. Sicher, man versteht die Intention, die Ängste vor Feuer in unserem Alltag zu verorten und etwas humorvolle Entspannung in den Abend zu bringen. Man versteht es über den Kopf. Emotional ist es schwierig, sich nach der aufwühlenden Begegnung mit dem «U-Bahn-Mädchen» für die Eitelkeiten von Theaterdiven zu interessieren.

Theater Basel
Schauspiel
Stück Was wir im Feuer verloren
Inszenierung: Manuela Infante
Komposition: Diego Noguera
Bühne und Lichtdesign: Rocío Hernandez
Kostüme: Robin Metzer
Dramaturgie: Kris Merken, Camila Valladares
Mit: Elmira Bahrami, Gina Haller, Marie Löcker, Annika Meier, Gala Othero Winter

Foto: Lucia Hunziker
April 2025
Qualmende Kostüme: Aus der Wut der Frauen ist eine Bewegung der Selbstverbrennung geworden. (Bild: Ingo Höhn)

Abwege und ein wirkungsvoller Schluss

Immer eingeleitet durch Zitate aus der Erzählung von Enriquez nehmen die Szenen ihren Lauf. Eine Opernsängerin spielt die Rolle der berühmten französischen Frühaufklärererin Emilie du Châtelet, die sich philosophisch mit dem Feuer befasst hat. Sie und andere Frauen werden beschuldigt, ihre Häuser angezündet und dabei ihre Kinder gefährdet zu haben. Danach karikieren die fünf Schauspielerinnen Feuerwehrmänner, die zuerst einen Kollegen entschuldigen, der seine Frau umgebracht hat, und danach sich bei einem vergeblichen Einsatz blamieren. Die Parodie der Macho-Posen soll, so verspricht das Programmblatt, von schwarzem Humor geprägt sein. Zu sehen sind Klischees. 

Nach langer Durststrecke verdichtet sich der Abend dann aber doch noch zu einem eindrücklichen Schluss: Die Spielerinnen errichten einen Scheiterhaufen, formieren sich zu einer düsteren Prozession und verschwinden in einer Versenkung. Im dazu projizierten und vorgelesenen Text von Enriquez erzählt eine Frau von ihrer eigenen Verbrennung. Aus der verzweifelten Wut argentinischer Frauen ist nämlich eine Bewegung der Selbstverbrennung geworden. Frauen lassen sich anzünden, kurz vor ihrem Tod löschen und zeigen ihren entstellten Leib dann in der Öffentlichkeit.

Feuer Theater Basel
Am Schluss sind die Latten zum Scheiterhaufen geschichtet. (Bild: Lucia Hunziker)

Sprache als Nebensache 

Mit viel gutem Willen kann man sagen, der Abend steigere sich aus müde glimmenden Anfängen zum grossen Brand. Infante erfindet keine durchgehenden Personen und entwickelt ihre Szenen aus Improvisationen. Die fünf Spielerinnen Elmira Bahrami, Gina Haller, Marie Löcker, Annika Meier und Gala Othero Winter sind zu einem engen Kollektiv verbunden. Sie wechseln laufend ihre Rollen, verkörpern in schneller Rotation wechselnde Identitäten. Das kann funktionieren und in der Phantasie des Publikums Bilder erzeugen, setzt aber eine präzise Choreographie voraus, die selten erreicht wird.  

Hauptproblem des Abends scheint mir das mangelnde Interesse an der Sprache. Infante zerstört als Regisseurin selbst die sprachlichen Möglichkeiten, die im Text liegen, den sie selbst geschrieben hat. In ihrem Text gibt es ein paar funkelnde Feuermetaphern, unsere Sprache ist ja voll davon. Ich brenne für jemanden, ein Liebhaber muss feurig sein, sie ist Feuer und Flamme für ihn, sich die Finger verbrennen – usw., usf. Auf der Bühne aber kommen sie zu wenig zur Geltung. Selbst der Zugang zu den grossartigen Texten von Enriquez ist verstellt durch ein zu schnelles Projektionstempo, Begleitgeräusche und eine verfremdete Stimme, die zu viel Aufmerksamkeit beansprucht. 

Die adäquate Theaterform für Selbstverbrennung von Frauen mutig zu suchen, wie in Basel geschehen, ist ein Verdienst.

Zugegeben: Feuer ist ein Megathema mit einer Geschichte, die weit in die Mythen zurückreicht. Auch Frau und Feuer ist ein Riesenthema. In der Schweizer Literatur gibt es eine erregende und gleichzeitig luzide Gestaltung davon: Die zwei Romane «Brandzauber» und «Angeklagt» von Mariella Mehr. Wenn Mehrs Architektentochter Kari Seib wieder ein Gebäude in Brand steckt, dann erscheint ihre einzige Freundin Malik mit den roten Schuhen. Die roten Schuhe sind ein Geschenk des Vaters, der seine Tochter verlassen und wohl vergewaltigt hat. Malik verkörpert die dunkle, aber eben auch lebendige Seite von Kari. Solche Figuren vergisst man nicht. 

Die Selbstverbrennung von Frauen als Akt des Widerstands ist eine derart ungeheure Tat, dass eine adäquate Theaterform dafür noch nicht gefunden ist. Sie mutig zu suchen, wie in Basel geschehen, ist ein Verdienst.

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