Backstage kein Sand im Getriebe

Damit das Gezeigte auf der Theaterbühne faszinieren kann, ist viel Tüftelarbeit im Hintergrund nötig. Bajour-Kolumnistin Cathérine Miville war neugierig und hat bei «Dido und Aeneas» hinter die Kulissen geschaut.

Sand Ma ville
Nach dem Sturm – der Sand hat den Salon geflutet (Bild: Cathérine Miville)

Es ist schon eine Weile her, seit ich die Aufführung der Barockoper «Dido und Aeneas» bei der Premiere im Theater Basel erlebt habe. Die Vielfalt der zumeist surrealen Bilder der Inszenierung hatten eine Sogwirkung, der ich mich bis zum Verklingen der letzten Akkorde keinen Moment entziehen konnte. 

Aber wie ist diese besondere Faszination entstanden? Klar, es sind Ausnahme-Theaterkünstler*innen und -Musiker*innen am Werk: Tänzer*innen, Sänger*innen, Schauspieler*innen agieren gemeinsam als phänomenales Ensemble und kreieren mit dem Orchester aus den fein musizierten Barock-Klängen und zeitgenössischen Kompositionen eine neue wunderbare Einheit.

Am Gesamtkunstwerk haben jedoch auch szenisch-technische Vorgänge einen wesentlichen Anteil, nicht zuletzt, weil in den grandiosen Bühnenraum im Lauf des Abends eine unfassbare Menge Sand fliesst. Man staunt immer wieder, ob er nun als dünner Strahl von der Decke rieselt oder im Sturm massig durch Türen einbricht.

Cathérine Miville
Cathérine Miville – Ma ville

Cathérine Miville ist in Basel geboren und aufgewachsen. Sie unternahm ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel, später lebte sie lange Zeit in Deutschland, führte an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie und leitete zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer neuen Kolumne «Ma ville» wirft die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt und reflektiert, wie sich Basel entwickelt hat.

Seit ich mich mit Theater beschäftige weiss ich, Bühnen und Natur passen eigentlich nicht zusammen. Und wer jemals dabei war, wenn Regieteams bei der Präsentation ihrer Inszenierungs-Konzepte Naturprodukte als szenische Spielelemente vorschlagen, wird den schmerzvollen Muss-das-sein-Gesichtsausdruck technischer Direktor*innen nicht mehr vergessen.

Sand, Erde, Torfmull oder Grasflächen – alles riesige Herausforderungen für diejenigen, die Ausstattungen auf Bühnen realisieren, denn sie bringen zahllose Unwägbarkeiten mit sich: Staub, Schimmel oder kleine Tierchen, die sich darin einnisten, um nur wenige Beispiele zu nennen. Und weil mich die Frage, «wie kriegen die bloss den ganzen Sand in Griff», einfach nicht mehr losliess, habe ich im Theater nachgefragt und vom technischen Direktor Peter Krottenthaler zunächst erfahren, wie es anfing mit «Dido und Aeneas».

Benedikt von Peter hatte den Wunsch, diese internationale Erfolgsproduktion des Grand Théâtre de Genève auch seinem Basler Publikum zeigen zu können. Nach Sichtung des Videos war für die technischen Fachleute des Hauses jedoch eigentlich klar, der Bühnenraum ist für Dimensionen der Basler Bühne zu hoch und die technischen Abläufe sind kaum realisierbar.

Aber aus von Peters «ist eine Übertragung möglich» wurde halt bald «macht es bitte möglich». Und so tüftelten Peter Krottenthaler und seine Teams über Monate an Lösungen: Damit das Bühnenbild nicht nach jeder Vorstellung auseinandergenommen werden muss, steht es in Basel auf einem 9 mal 15-Meter-Bühnenwagen. So kann der grösste Teil des zweistöckig begehbaren Raums als Ganzes gefahren werden. Leichte Übung also? Von wegen.

Warum aber ist diese Aufführung für Basel eine so besonders hohe Herausforderung? Ganz einfach: Dieses «effektreiche Bühnenspektakel» wurde für Theater mit Ensuite-Bespielung wie in Genf konzipiert, also für Häuser, die eine Produktion auf ihrer Bühne einrichten und erst nach der Dernière wieder demontieren.

In Basel – wie in allen Repertoire-Betrieben – werden aber verschiedene Produktionen im Wechsel gespielt und Dekorationen daher immer wieder auf- und abgebaut. Dies macht die täglichen Abläufe zwar komplexer, ermöglicht es jedoch, dem Publikum einen abwechslungsreicheren Spielplan anzubieten.

Zusätzlich zu theaterüblichen Herausforderungen gesellte sich bei der Übernahme von «Dido and Aeneas» also noch die Frage: Wie kann, trotz Repertoire-Betrieb, sichergestellt werden, dass immense Mengen Sand optisch attraktiv aus zahlreichen Schlitzen, Löchern oder Türen auf die Bühne kommen, sodass die vorgesehenen Sandhügel entstehen –  verlässlich und wiederholbar, an den richtigen Stellen, in vorgegebener Höhe? Diese Vorgänge durfte ich dankenswerterweise hinter der Bühne anschauen.

Am Vorabend meiner Verabredung mit Peter Krottenthaler wurde auch «Dido and Aeneas» gespielt. Als ich nun in der Früh ins Theater kam, herrschte auf der Bühne eine Atmosphäre wie in einem Bergdorf, wenn über Nacht extrem viel Schnee gefallen ist und alle Dorfbewohner*innen gemeinsam die Strassen freiräumen müssen.

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Frühschicht beim gemeinsamen Frühsport «Sandschippen». (Bild: Cathérine Miville)

Mit Schneeschippen bewaffnet schiebt die Frühschicht den nach der Vorstellung zum Trocknen über die riesige Fläche der Hauptbühne verteilten Sand wieder zusammen und dann nach hinten in riesige Holzkisten, die auf einer weit heruntergefahrenen Versenkung bereitstehen. Damit es rascher geht, wird diese Aufgabe in abteilungsübergreifender Zusammenarbeit erledigt. 

Zum Erzielen der gewünschten Bühneneffekte kommen sogenannte «Sandmaschinen» mit unterschiedlichem Fassungsvermögen zum Einsatz, die grössten bei den seitlichen Schwing-Türen. Diese bis zu zehn Meter hohen Holzkonstruktionen sind in verschiedene Kammern unterteilt, die durch Schrägen verbunden und durch Schieber getrennt sind.

Zur Befüllung der Maschinen wird die Versenkung hochgefahren, sodass ihre Nachbestückung von oben möglich wird. Das in den Holzkisten gesammelte Material wird immer wieder verwendet, nur was direkt über Menschen fliesst, wird aus hygienischen Gründen bei jeder Vorstellung erneuert.  Dafür liegen jeweils grosse Säcke Sand bereit.

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Blick von oben aus der Galerie der doppelstöckig begehbaren Bühnenkonstruktion für die rund 3 Tonnen Stahl und 2,9 Tonnen Holz verbaut wurden. (Bild: Cathérine Miville)

Im nächsten Arbeitsschritt folgt der Auftritt gleich mehrerer Staubsauger. Alles was sich in Ritzen und Nischen versteckt hat, wird minuziös herausgesaugt. «Dennoch», so ein Requisiteur, «werden wir die letzten Reste erst beim jährlichen Grossreinemachen rauskriegen.» Es ist ein bisschen wie mit den Räppli nach der Fasnacht. Da schafft es die Strassenreinigung auch nicht, ganz alle weg zu putzen.

Während der Vorstellung werden die riesigen Sandmaschinen zunächst auf den Seitenbühnen in Wartepositionen deponiert, da vor deren Einsatz die Türen für Auftritte der Darsteller*innen frei sein müssen. Auch stehen zu Beginn Beleuchtungselemente in diesen Gassen, damit beispielsweise Gewitter dramatisch beleuchtet werden können.

Daher schieben mehrere Bühnentechniker*innen erst kurz vor deren Auftritt im Dunkeln die recht klobigen Maschinen ganz leise zum eigentlichen Einsatzort. Holz-Schienen am Boden sorgen auf dem letzten Meter dafür, dass die Türme exakt auf Position zu stehen kommen. Nur so ist garantiert, dass die szenischen Vorgänge präzise funktionieren, wenn auf Anweisung die Schieber weggezogen werden, sodass der Sand aus der Maschine fliessen kann.

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Servierwägeli mit Champagner-Frühstück und Monster-Sandmaschine einträchtig beieinander auf Warteposition. (Bild: Cathérine Miville)

Sand staubt nicht nur. Sand ist auch sehr schwer, ein Kubikmeter wiegt ungefähr 1500 Kilo. Und Gewicht ist bei Ausstattungen durchaus ein Thema, zum Schutz der Bühnenhandwerker*innen und wegen der Belastungsgrenzen des Bühnenbodens. Damit sind wir beim eigentlichen Problem.

Und nachdem ich so viel ausgeführt habe, lasse ich jetzt die Katze aus den bereitstehenden Sandsäcken: Diese sind ganz leicht. Sie wiegen kaum 2 Kilo pro Stück, denn für die ganze Bühnenpracht kommt nicht wirklich Sand zum Einsatz, sondern insgesamt rund 50 Kubikmeter eines Granulats aus natürlichem Leicht-Mineralstoff: kleine Teilchen in unterschiedlichen Beige- und Brauntönen, die einen leicht funkelnden Glanz haben. Obwohl ich einen Platz weit vorne hatte, konnte ich die Täuschung, die durch gekonntes Lightdesign perfektioniert wird, in keinem Moment erkennen.

Aber auch dieses Material hat so seine Tücken und wegen der Staubentwicklung muss es wie Sand angefeuchtet werden, wodurch es jedoch seine Fliessgeschwindigkeit ändert. «Es war schon ein Prozess, bis wir für jede Maschine die jeweils richtige Wasserdosierung im Griff hatten», erzählt der Bühnenmeister, während er von einer Leiter aus das Granulat in einer der Sandmaschine mit einer Giesskanne bewässert. 

Theater lebt von diesen Menschen, die durch ihre innovative Kompetenz, ihr künstlerisches Feeling, ihre Einsatzbereitschaft und ja, auch durch ihre Theaterliebe, noch so komplexe Produktionen möglich machen. Besonders anspruchsvolle Ausstattungen sind jedoch nicht nur anstrengend, sie sind auch reizvoll, motivierend und sie machen die Beteiligten –  vollkommen zu Recht – stolz: Weil sie es sind, die uns Bühnenwelten zaubern, von denen wir uns gerne auch mal blenden lassen. Sie verdienen –  genauso wie die Künstler*innen auf den Bühnen – unseren höchsten Respekt, denn sie machen Backstage-Theaterkunst as its best.

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Das Theater Basel zeigt «Dido & Aeneas» noch am 11., 12., 13., 16. und 20. Juni. Tickets und weitere Infos gibt es hier.

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