Basel braucht mehr Peter Knechtlis
Der Gründer von Onlinereports übergibt an Alessandra Paone und Jan Amsler. Das sind wunderbare News - unsere Region hat Journalismus im Geiste von Online-Reports verdient. Ein Bericht mit viel Würdigung.
Diesen Text hier könnte man wie eine trockene News runterschreiben. Das würde etwa so tönen (wenn du nur die Würdigung lesen möchtest, scrolle nach unten):
Peter Knechtli, Gründer von Onlinereports, verkauft sein Unternehmen. Nach 25 Jahren und im Alter von 73. Das Online-Pionier-Medium geht an die erfahrene Journalistin Alessandra Paone (46), seit zwei Jahren im Inland der Tamedia AG tätig, davor 14 Jahre im Basler Lokaljournalismus bei der BaZ und bz. Und an Jan Amsler, Leiter Politik bei der BaZ.
Ein Korrektiv zu BaZ und Co.
Die beiden Baselbieter*innen wollen dem «Geist von Onlinereports» treu bleiben, und mit unabhängiger, neutraler, fairer Politberichterstattung ein «Korrektiv» zu den grossen Medien BaZ und bz bilden, wie Paone und Amsler an der Pressekonferenz in der Onlinereports-Redaktion am Münsterplatz am Freitag sagten. Man werde weiterhin «gewisse Spitzfindigkeiten» bei ihnen finden, die man sich als unabhängiges agiles Medium weiterhin erlauben könne.
Onlinereports hat sich in den 25 Jahren seines Bestehens immer selbst finanziert, über Inserate und den Recherchefonds, wie Knechtli betont. In Zukunft wird Onlinereports nicht mehr nur eine Vollzeitstelle (Knechtli) ernähren müssen, sondern zwei: Amsler und Paone. Diese nehmen für ihr unternehmerisches Risiko am Anfang eine Lohneinbusse gegenüber ihren Tamedialöhnen in Kauf, hoffen aber, dass sich ihr Einkommen mittelfristig auf dem heutigen Niveau einpendelt.
Online-Reports wird weiterhin auf Inserate und den Recherchefonds setzen. Man kann sich aber auch vorstellen, allenfalls Stiftungen um Unterstützung zu bitten. Auch hofft man auf staatliche Förderung.
Ziel: In 5 Jahren noch zu existieren
Peter Knechtli betonte einmal mehr: «Das Geschäftsmodell von Onlinereports war immer die Handschrift.» Das Ziel sei, in fünf Jahren noch zu existieren.
Er kritisiert seit Jahren, dass die Politik ihre Augen vor dem Medienzerfall verschliesst. Im Gegensatz zu nationalen Reichweitebolzern wie 20 Minuten Online oder Blick.ch hat Onlinereports nie auf Clicks gesetzt – Knechtli beziffert die Zugriffe auf die Seite bei 1 bis 2 Millionen pro Jahr. So viele, wie20 Minuten Online je nach Newslage teilweise innerhalb von 60 Minuten macht. Onlinereports auf Primeurs, Analyse und Hintergründe. Seine Leser*innenschaft bestehe daher vor allem aus sehr politinteressierten Menschen aus Politik, Wirtschaft und den Basler Institutionen.
Knechtli kritisiert an der PK,, es sei zunehmend schwierig, kritischen, unabhängigen Journalismus zu machen: «Die sozialen Medien graben uns das Wasser ab. Das muss den staatlichen Behörden bewusst werden.» Ausserdem habe man als Journalist immer mehr mit Mediensprechern zu tun, statt mit authentischen Quellen. «Ich freue mich sehr, dass Alessandra Paone und Jan Amsler hier einen kritischen Blick darauf haben werden.»
Die Redaktion finanziert ihre Recherchen via Inserate und den Recherchefonds. Hilfst du mit?
Zur Würdigung
Soweit so sachlich.. Jetzt muss aber noch eine zünftige Portion Würdigung kommen. Erstens für Peter Knechtlis Leistung über die Jahre. Es ist unternehmerische Knochenarbeit, ein Onlinemedium 25 Jahre lang zu betreiben bei zunehmend schwierigerem kommerziellen Umfeld - andere wie Barfi.ch oder die TagesWoche haben das nicht geschafft.
Zweitens für diesen Schritt: Knechtli war und ist mit seinem Onlinereports der absolute Pionier unter den lokalen Online-Medien.Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sein Werk weiterlebt. Es braucht Grosszügigkeit vom Gründer, sein Unternehmen aus der Hand zu geben. Und viel Mut von den neuen Eigentümer*innen, sich als Journalist*innen in festen Anstellungsverhältnissen zu diesem Schritt zu entschliessen. In Zukunft sind Amsler und Paone selbst dafür verantwortlich, den eigenen Lohn zu erwirtschaften.
Für die Region ist es ein Segen, dass Onlinereports weiterlebt. Die Region Basel braucht den «Geist», den Knechtli geprägt und Paone und Amsler weiterleben möchten.
Für seine kritische, fundierte Berichterstattung hat der ebenso unbestechliche wie knorrige Gründer Vorbildfunktion. Er ist diese Art von Lokaljournalist, die eine Region verdient, aber immer weniger hat. Knechtli kennt die politischen Verhältnisse in der Region wie kaum ein zweiter. Durch sein Netzwerk sind ihm immer wieder politische Primeurs gelungen, welche die Region und manchmal auch die Schweiz durchgeschüttelt haben (siehe unten).
Dabei schwamm er auch immer wieder gegen den Strom, Rudeljournalismus ist ihm fremd. Spontan erinnert man sich beispielsweise an seinen Kommentar zum Wohnschutz. Während wir anderen Medien schnellschnell halbgare Kommentare zur überraschend deutlichen Abstimmung rausgehauen haben, dachte er zwei Tage lang nach, recherchierte und präsentierte dann eine präzise, und wesentlich intelligentere Analyse.
Ausserdem hat Peter Knechtli immer wieder Skandale aufgedeckt. Hier ein Best-of-Knechtli-Primeurs:
- ASE-Affäre. Onlinereports deckte im April 2012 den Zusammenbruch der ASE Investment auf. Der Fall gehört zu den spektakulärsten Anlageskandalen der letzten Jahre und gab national und international zu reden.
- Drämmli mit Rissen: Onlinereports fand heraus, dass die Combino-Trams Risse hatten. Basel-Stadt musste die ganze Flotte von 28 Stück retour an Siemens schicken.
- Entlassener Baselbieter Kantonsingenieur. Onlinereports deckte auf, dass der damalige Baselbieter Kantonsingenieur gegen das Gesetz verstossen hatte und nach Erteilung der Baubewilligung die Baupläne für das Eigenheim abänderte. Der Kantonsingenieur verliess danach seinen Job, seine Ehefrau, damals gewählte Politikerin, wurde nicht wiedergewählt.
- Als Hitzfelds Bruder starb. Am Tag vor dem Weltmeisterschafts-Achtelfinal der Schweiz gegen Argentinien verlor Nationalrtrainer Ottmar Hitzfeld seinen Bruder Winfried, wie Onlinereports – und danach auch die nationalen Medien – berichtete.
- IWB-Ausstieg: Die industriellen Werke Basel wollten sich mit 43 Millionen Franken an einem Offshore-Windpark in der Nordsee beteiligen. Doch dann wurde ihnen das Investment zu riskant, wie Onlinereports herausfand.
Die Gerichtsfälle
Knechtli wurde von kritisierten Behörden und Personen auch hin und wieder vor Gericht geschleppt. Ein einziges Mal wurde er zivilrechtlich verurteilt – wegen Persönlichkeitsverletzung. Strafrechtlich wurde die Klage abgewiesen – finanziell war es ein Nullsummenspiel.
Es ging um einen Bericht vom 10. Oktober 2004 über die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Transportfirma, deren Revisor ein SVP-Politiker war. Das Gericht war kam zum Urteil, dass die Leser den Eindruck bekommen könnten, dass gegen den Revisor selbst ermittelt wurde – und nicht gegen die Firma.
Peter Knechtli sagt rückblickend: «Das war äusserst unangenehm und zeitraubend.» Gerade für einen Unternehmer ohne Firma mit Medienanwalt im Rücken ist so eine Klage viel Arbeit. Knechtli musste sich nach eigenen Angaben durch einen «10 cm dicken Aktenstapel» kämpfen, «der journalistische Betrieb war mehrere Tage stillgelegt.»
Er habe aber auch viel gelernt, so habe der Fall sein Bewusstsein über die formaljuristischen Regeln beim Persönlichkeitsschutz geschärft.
Bezahlte Wahlwerbung
Es gab auch immer wieder Kritik am Geschäftsmodell von Onlinereports. Beispielsweise, weil Knechtli nur an Pressekonferenzen von Parteien oder anderen Verbänden auftauchte, die Inserate schalten. Bezahlte Werbung für politische Parteien machen, das geht doch nicht, kritisieren Journalist*innen. Knechtli argumentierte gegenüber Bajour so: «Ich sehe nicht ein, weshalb wir auf unsere Kosten Personen- oder Wahlwerbung machen sollen. Da geht es ja um interessengesteuerte Selbstdarstellung.» Und wie wir wissen ist Tranparenz die neue Objektivität im digitalen Medienzeitalter.
Seine Hintergrundberichte und Kommentare bestechen hingegen durch fundierte und präzise Analysen. Knechtli hat sich nie gescheut, das Establishment anzugreifen, wenn er es für nötig befand. Das ist Knechtli auch wichtig: «Wenn du als Journalist Angst hast, hast du schon verloren.» Es gebe im Journalismus die Tendenz, sich mit Politiker*innen zu arrangieren, um nicht von Informationen abgeschnitten zu werden.
Wie fasst man als Journalist*in den Mut, trotzdem unabhängig und kritisch zu bleiben? «Man muss sich seiner Recherche bombensicher sein», sagt Knechtli. «Du darfst nicht spekulieren, sondern musst Belege sammeln.» Wer sich sicher ist, erträgt auch Gegenwind besser.
Nun übernehmen Alessandra Paone und Jan Amsler Onlinereports. Der Gegenwind bleibt ihnen sicher. Peter Knechtli wird ihnen beratend zur Seite stehen und ab und zu weiter etwas schreiben. Gut so.