Studio in der Stube

In seinem Wohnzimmer im Gundeli hat Matthias Roth einen Raum von Musiker*innen für Musiker*innen geschaffen. In seinem Heimstudio trifft sich die Basler Jazz-Szene in Kapuzenpulli und Adiletten.

Studio Matthias Roth Porträt Jazz
Jam-Session in Matthias Roths Stube. (Bild: Jan Soder)

Steht man an der Güterstrasse, scheint das Gebäude mit den blauen Fensterläden und der kleinen blauen 168 ein gewöhnliches Wohnhaus mitten im Gundeli zu sein. Eingeklemmt zwischen Hairstyling-Geschäft und portugiesischem Restaurant versteckt sich ein Treffpunkt der Basler Jazz-Szene: Das Studio von Matthias Roth.

Der 65-jährige Bassist und pensionierte Lehrer nimmt hinter der schweren Holztüre in Adiletten seine Gäste in Empfang. Es sind Jazz-Musiker, die an einem Mittwochabend für eine Jam-Session vorbeikommen. An Roths Seite springt sein Hund Timo auf, der es sich wenig später – sobald die Musik erklingt – unter dem Flügel im Studio bequem macht.

Studio Matthias Roth Porträt Jazz
Hinter den blauen Fensterläden versteckt sich ein Jazz-Treffpunkt. (Bild: Jan Soder)

In der Küche stehen Bier, Wein, Wasser, Chips und Salzbrezel bereit. Den ankommenden Pianisten und den Schlagzeuger zieht es aber in den gegenüberliegenden Raum. Dort warten der Flügel und ein E-Piano, ein Schlagzeug, drei Kontrabässe sowie unzählige Mikrofone. Ein Notenständer mit einer gefüllten Sichtmappe darauf lässt erahnen, wo der Saxophonist stehen wird, der später dazustösst.

Im dritten Raum stehen ein Computer, ein Mischpult und zwei grosse Lautsprecher. Früher hat Roth hier unten gewohnt. Jetzt hat er sich in den beiden oberen Stockwerken einquartiert. Das Erdgeschoss gehört der Musik. Im einen Raum wird sie gemacht, im nächsten abgemischt und in der Küche angehört.

«Hier habe ich eine Wand rausgerissen, damit ich mehr Platz habe», erzählt Roth. Dort, wo mal zwei Räume waren, befindet sich jetzt der wohl best versteckte Jazz-Club Basels. Bodenlange Schiebewände verdecken die Fenster und schützen vor Rückhall. Die turbulente Güterstrasse auf der anderen Seite der Wand scheint Kilometer weit weg. Ein Tram oder ein Auto hört man kaum.

Studio Matthias Roth Porträt Jazz
Klingt's gut? Matthias Roth im Nebenraum. (Bild: Jan Soder)

Während Roth im Nebenraum sicherstellt, dass Mischpult und Computer für die Aufnahme bereit sind, spielen der Pianist und der Schlagzeuger die erste Nummer an. Roth wechselt das Zimmer, ergreift seinen Bass und schon sind sie mitten im Jam. Nach dem Pianisten setzt der Gastgeber zum Solo an und verzieht dabei voller Emotionen das Gesicht.

Matthias Roth ist in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Zwölf Jahre lang spielte er Geige, «dann bin ich als Revoluzzer auf den E-Bass umgestiegen und habe, abgesehen von Unterhaltungsmusik, vor allem Blues-Rock und so Zeug gemacht», erinnert er sich. Schlussendlich hat ihn aber der Jazz gepackt und er wechselte zum Kontrabass. Der hauptberufliche Lehrer war nebenbei stets als Musiker aktiv in grossen Orchestern, in der Kirchenmusik und im Jazz. Letzterer bleibt seine Leidenschaft. Der Bassist begründet: «Jazz wird dann spannend, wenn etwas Eigenes entsteht.» Im Gegensatz zur klassischen Musik sei er nicht nur Handwerker und Interpret, sondern auch Solist. Gerade vom Bass her habe er viele Gestaltungsmöglichkeiten. «Das gibt mir eine gewisse Freiheit und Kreativität.»

Studio Matthias Roth Porträt Jazz
Die Emotionen stehen Matthias Roth während eines Solos ins Gesicht geschrieben. (Bild: Jan Soder)

Dieser lässt er im Solo zu «Lament» von J. J. Johnson freien Lauf. Es ist das erste von zehn Stücken, die Roth für die Jam-Session vorbereitet hat. Darunter sind auch Wünsche der Gäste. Bei «Dear Old Stockholm» scheitern die drei Musiker beim ersten Versuch. Sie nehmen einen erfolgreichen zweiten Anlauf – ein Privileg, das sie hier haben, im Gegensatz zu öffentlichen Jazz-Clubs, wo Publikum vor ihnen sitzt. Ansonsten ist die entstehende Musik jedoch kaum vom Sound in Lokalen wie dem Bird’s Eye zu unterscheiden. Bloss wird hier in Kapuzenpulli und Adiletten gejammt.

Das Studio an der Güterstrasse gibt es seit etwa zwei Jahren. Jede Woche finden zwei bis drei solcher Jams statt. Früher habe er seine Band hier aufgenommen, war aber mit dem Resultat unzufrieden, erzählt Roth. Er hat das Studio, das mal sein Wohnzimmer war, Stück für Stück ausgebaut. «So ist das immer weiter gewachsen. Ich begann, Mauern rauszunehmen und Löcher zu bohren.»

Studio Matthias Roth Porträt Jazz
Spielen nicht in Konkurrenz: Die Musiker an den Jams. (Bild: Jan Soder)

Nun lädt er seine Musikkolleg*innen regelmässig hierher ein. Immer wieder stossen neue Leute auf Hinweis der anderen Musiker*innen dazu. «Da kommen wildfremde Leute rein, stehen hin und spielen», schildert Roth. «Wer hier spielt, wird nicht reich und nicht berühmt damit.» Es gehe einfach darum, zusammen Musik zu machen. «An Jams in Lokalen wie dem Schall und Rauch spielen die Musiker in Konkurrenz. Das will ich nicht.»

Die Idee zu den Jam-Sessions bei sich zuhause kam Matthias Roth vor allem aus praktischen Gründen. «Ich werde langsam alt», gesteht er ein. Einen Kontrabass mit Verstärker und allem Zubehör rumzuschleppen sei mühsam. Deshalb dachte er sich: «Wieso muss ich zu anderen gehen mit dem ganzen Gschleik? Sie sollen zu mir kommen. Das heisst aber im Umkehrsatz auch, dass ich ihnen eine gute Infrastruktur hinstellen und dass der Raum gut klingen muss.» Es sei auch eine Chance für ihn. «Dass ich nun mit so vielen ausgezeichneten Musikern spielen darf, ist für mich ganz toll.» Jedes Mal lerne er viel dazu – technisch aber auch als Musiker. Denn Aufnahmen können für Musiker*innen Stress bedeuten, sagt Roth. «Da ich hier nun regelmässig aufnehme, habe ich mich daran gewöhnt und kann entsprechend entspannt mit der Situation umgehen.»

Studio Matthias Roth Porträt Jazz
Musikstil Bird's Eye, Kleidungsstil Stube. (Bild: Jan Soder)

Zehn Minuten vor zehn verkündet Roth: «Wir können noch zwei machen, danach müssen wir aufhören.» Wer mitten im Wohnquartier musiziert, muss sich an die Regeln halten. «Ich mache normalerweise immer alle Türen und Fenster zu und spiele nur bis um Punkt zehn», erklärt er. Von draussen höre man nicht viel von der Musik und reklamiert habe bislang niemand.

Nach Beginn der Nachtruhe wechseln die Musiker in die Küche. Sie trinken Bier und Apfelschorle, essen Salzbrezel und plaudern über Gott, die Welt und Jazz. Aus den Lautsprechern klingt die Aufnahme von der gerade gespielten Session, welche Roth noch schnell im Nebenraum etwas zurechtgeschnitten hat. Immer wieder unterbricht jemand das Gespräch, um auf eine besonders schöne Musikphrase oder einen eigenen Fehler hinzuweisen.

«Vom Nicht-Spielen wirst du nicht besser», merkt Roth an – und sucht im Kalender bereits einen nächsten Termin für einen Jam mit der heutigen Besetzung.

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Jan Soder Autorenbild

Das ist Jan (er/ihm):

Nachdem er einen 1-Mann-Musikblog führte, stiess Jan für fünf Monate als Praktikant zu Bajour. Währenddessen moderierte er die lokale Radiosendung BSounds auf Radio X. Nun ist er neben dem Studium bei Bajour als Briefing-Schreiber und Beat-Beauftragter tätig.

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