Forschung unter Druck
Er wurde ungeduldig erwartet: Der interne Bericht zur Einhaltung wissenschaftlicher Standards im Fachbereich Urban Studies. Darin steht, die Uni Basel wolle den Fachbereich künftig stärker kontrollieren. Was harmlos klingt, belastet die Wissenschaftsfreiheit und verunsichert Studierende, kommentiert Valerie Wendenburg.
«Keine systematischen Mängel im institutionellen Qualitätsmanagement von Fakultät und Universität sind festgestellt worden», heisst es im Bericht. Auch wenn «verschiedene Problemfelder identifiziert» werden konnten, scheint es also auf den ersten Blick, als habe es in den letzten beiden Monaten viel Lärm um nichts gegeben. «Kritik an Urban Studies bleibt ohne Konsequenzen» bilanziert beispielsweise die bz.
Doch das stimmt so nicht ganz. Die Forscher*innen und Studierenden des Fachbereichs Urban Studies in Basel können nicht wirklich aufatmen. Denn die Universität hat verschiedene Massnahmen angekündigt. Auch wenn sie auf den ersten Blick als verschmerzbar angesehen werden können, wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass der Fachbereich Urban Studies von nun an strenger kontrolliert werden soll. Das betont auch die Rektorin der Uni Basel, Andrea Schenker-Wicki, in der Sonntagszeitung. Die Kontrolle reicht vom Vier-Augen-Prinzip, wenn Beiträge gepostet werden, über die Angleichung der Website an den Gesamtauftritt der Universität bis hin zur vorgesehenen Mitbestimmung der durch die Fakultätsversammlung bei der Einstellung von Assistent*innen. Das Fach soll nun stärker in das Departement Gesellschaftswissenschaft eingebunden werden.
«Keine grundsätzliche Politisierung»
Sind die Massnahmen verhältnismässig? Nein. So wurde dem Fachbereich vor allem ein pro-palästinensischer und postkolonialer Aktivismus vorgeworfen. Es war gar von Fanatismus die Rede. Im Bericht wird nun von «Einzelfällen» innerhalb der Uni Basel gesprochen. Der Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät, Martin Lengwiler, sagt in der BaZ: «Wir können diese Vorfälle an einer Hand abzählen. Deshalb beobachte ich keine grundsätzliche Politisierung der Urban Studies.» Dennoch wird dem kleinen, sehr international ausgerichteten Fachbereich Urban Studies mit 55 Student*innen künftig genauer auf die Finger geschaut.
In der Kritik stand neben einem pro-palästinensischen Solidaritätsschreiben, das für kurze Zeit auf der Website der Urban Studies aufgeschaltet wurde, vor allem eine Dissertation, in welcher der Verfasser beschreibt, wie die «Besatzungsmacht» Israel Wildschweine aussetzt, um die Ernten der palästinensischen Bäuer*innen zu zerstören. Das Promotionsverfahren wurde vorübergehend sistiert. Die Arbeit wird nun auf ihre wissenschaftlichen Standards hin überarbeitet und im Anschluss vor Verleihung des Doktorgrads erneut überprüft. Das ist sinnvoll. Dennoch überrascht die Heftigkeit, mit der ein ganzer Fachbereich in die Schusslinie geraten ist.
Die Verunsicherung ist gross
Wie konnte es so weit kommen? Eine Mitverantwortung daran trägt die Universität, die sich nicht schützend vor ihre Forscher*innen gestellt und die Wissenschaftsfreiheit nicht von Beginn an verteidigt hat. Die Universität hat keine Gegendarstellung oder Erklärung abgegeben, als den Urban Studies von der BaZ vorgeworfen wurde, der Studiengang habe sich in den letzten Jahren «ganz dem Postkolonialismus verschrieben».
Dekan Lengwiler bezog in der NZZ Ende November zwar Stellung und versuchte klarzustellen, dass der Fachbereich kein «Hort von Aktivisten» sei. Doch die Betroffenen selbst konnten sich nicht verteidigen, weil die Universität umgehend eine interne Untersuchung angekündigt hatte. Wie ein Student zu Bajour sagt, seien viele Student*innen nur aus den Medien über den Skandal informiert worden. Sie fühlten sich wehrlos und die Verunsicherung sei nun gross. Zum einen, weil der Ruf der Fakultät stark gelitten habe, und zum anderen, weil Forscher*innen sich nun fragen würden, welche Themen sie überhaupt noch bearbeiten könnten, ohne kritisiert oder kritisch beäugt zu werden.
Bei aller Kritik darf nicht vergessen werden: Die Urban Studies sind eine institutionelle Kooperation zwischen der Universität Basel und der Universität Kapstadt. Sich unter diesen Umständen nicht mit Kolonialismus zu beschäftigen, wäre geradezu verwunderlich.
Die Vorgänge stossen daher auch bei Departementsmitarbeiter*innen wie auch bei Professor*innen anderer verwandter Disziplinen an der ETH oder in Neuchâtel auf breites Unverständnis, wie Bajour in Gesprächen erfahren hat. Es heisst unter anderem, die Universität hätte sich in einem ersten Schritt hinter ihre Forschenden stellen müssen. Zudem handele es sich um einen Studiengang, der sich stark auf postkoloniale Studien und Theorien stützt. Dies sei im internationalen Vergleich, in dem das Institut sich bewegt, durchaus üblich und gewollt. Zudem ist die Sorge ist gross, dass künftig auch andere Fakultäten wie Gender Studies, Klima- oder Umweltwissenschaften unter besonderer Beobachtung stehen.
Der Ruf des Fachbereichs ist beschädigt
Das Institut geht geschwächt aus dem Shitstorm hervor, dem es ausgesetzt war und ist, denn die Medienkritik hält an. Die Kampagne gegen den kleinen Fachbereich, der in den vergangenen fünf Jahren hochrangige Forschungsmittel im Umfang von rund fünf Millionen Franken im Rahmen der Projekt- und Personenförderung des Schweizerischen Nationalfonds eingeworben hat, geht weiter. Kritisiert wird auch die Universität, da sie die Angelegenheit nur intern und nicht extern hat prüfen lassen. So heisst es, der interne Bericht sei «beschönigend».
Der Ruf des Fachbereichs ist beschädigt. Forschung und Forscher*innen sind unter Druck, da sie stärker kontrolliert werden. Künftig stehen nicht nur die Urban Studies im Fokus, es soll vielmehr bei allen Fächern genau hingeschaut werden, die «anfällig für die postkoloniale Theorie» sind, so sagt es Andrea Schenker-Wicki. Die Wissenschaftsfreiheit steht in Basel also ein weiteres Mal innerhalb kurzer Zeit auf dem Prüfstand und die Konsequenzen für die Forscher*innen sind grösser als es auf den ersten Blick scheint.
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