Der Service Citoyen für Frauen ist ein Affront
Die Initiative will unter dem Deckmantel der Emanzipation Frauen denselben Dienst abverlangen wie Männern. Dabei ignoriert sie, dass Frauen bereits einen grossen Dienst an der Allgemeinheit leisten. Ein Kommentar.
Solidarität und Gleichstellung – es sind diese linken Schlagworte, mit denen das Initiativkomitee im progressiven Lager nach Zustimmung fischt. Die Service Citoyen Initiative will den Militär- und Zivildienst grundsätzlich reformieren und unter anderem einführen, dass alle Schweizer*innen – also auch alle Frauen – einen Dienst an der Allgemeinheit leisten. Das Initiativkomitee besteht aus 27 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unter ihnen Politiker*innen aus allen grossen Parteien bis auf die SVP. Präsidiert wird sie von Noémie Roten, sie ist Referentin, Moderatorin und Militärrichterin.
Bisher war es in der Schweiz so aufgeteilt, dass Männer den Militärdienst oder den Zivildienst absolvieren und Frauen nicht, weil sie diejenigen sind, die die Möglichkeit haben, Kinder zu gebären. Welch ein Irrglaube, es wäre ein Akt der Gleichberechtigung, die Forderung zu stellen, dass Frauen diesen Dienst auch absolvieren müssen. Kindergebären und Elternsein ist bereits ein Dienst an der Allgemeinheit.
Strafe für biologische Überlegenheit
Die Argumentation der Solidarität und Gleichstellung der Geschlechter ist im Zusammenhang mit der Service Citoyen Initiative eine Farce. In unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft wird Kinderkriegen häufig als egoistische Entscheidung dargestellt. Immerhin verursachen Kinder – Menschen im Allgemeinen – ja Emissionen, verbrauchen Rohstoffe und wer weiss, welch ein verschwenderisches Leben sie einmal führen werden. Ausserdem haben Eltern weniger Ressourcen, um sich um andere Dinge zu kümmern, beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt hochzupushen.
Dabei geht vergessen: Unsere Gesellschaft braucht Kinder. Rein wirtschaftlich betrachtet, um unseren Sozialstaat, insbesondere unser Rentensystem am Laufen zu halten, aber nicht nur. Wir brauchen Kinder auch, weil sie uns auf den Boden der Tatsachen holen, weil sie uns Verbindlichkeit und Verantwortung lehren, weil sie uns die Konsequenzen unseres Handelns aufzeigen, weil sie die wirklich wichtigen Fragen stellen, weil sie uns das Leben spüren und die bedingungslose Liebe fühlen lassen.
In einer technisierten Gesellschaft, in der Muskelkraft allein kein Erfolgskriterium ist, stellt sich heraus, dass Frauen so ziemlich alle Aufgaben übernehmen können, die bisher von Männern dominiert waren. Umkehren lässt sich das nicht. Menschen ohne Uterus können nicht gebären. Es kann nicht sein, dass Frauen* dafür bestraft werden, dass sie aus biologischen Gründen mehr können als Männer. Es kann nicht sein, dass Frauen nun zusätzlich auch noch alles leisten müssen, was bisher von Männern übernommen wurde. Solange nur Frauen gebären können, ist diese Forderung ein Affront.
Fortschrittlicher Ansatz
Die Initiative will durchaus sinnvolle Reformen einführen. Sie will den Zugang zum Zivildienst für Männer nicht unnötig kompliziert übers Militär laufen lassen, sie will Frauen, die es wollen, den Zugang zum Zivildienst und Militär erleichtern und sie will die Chancen für Netzwerke und Ausbildung, die durch bezahlte Arbeit im Zivil- und Militärdienst entstehen, für alle öffnen und den Gemeinschaftssinn und die Verantwortung füreinander stärken. Aber all das darf nicht auf Kosten der Mütter – der Eltern – passieren. Mütter kriegen keinen ausreichenden Mutterschutz um ihre Kinder entsprechend den WHO-Empfehlungen zu stillen, sollen aber zwischen Arbeit, Haushalt, der Pflege von Angehörigen und Kindergebären noch das gesellschaftliche Zusammenleben der Eidgenossenschaft retten – das hat nichts mit Gleichberechtigung zu tun.
Sollen alle jungen Schweizer*innen künftig einen Service Citoyen leisten müssen?
Und selbst wenn das nicht alles gleichzeitig, sondern nacheinander passiert, verkennt diese Forderung, dass auch mit einer späteren Elternschaft ein Dienst an der Allgemeinheit geleistet wird und zusätzliche Absenzen vom Arbeitsplatz weitere berufliche Nachteile schaffen. Die Anerkennung der Leistungen von Müttern sollte möglich sein, ohne veraltete Rollenmuster zu glorifizieren. Entscheidend ist hier die Wahlfreiheit.
Die Befürworter*innen argumentieren mit der Dienstpflicht für alle Geschlechter in den familienfreundlichen skandinavischen Ländern. Aber in diesen Ländern wird Familie mitgedacht. Es gibt eine echte Elternzeit, familiäre Verpflichtungen werden in der Arbeitswelt berücksichtigt, Eltern können den Dienst aufschieben, wenn sie kleine Kinder haben – all das gilt aktuell nicht für die Schweiz.
Care-Arbeit in Service Citoyen integrieren
Die Initiative sprengt die üblichen Pro- und Contra-Lager, innerhalb der Parteien herrscht keine Einigkeit. Neben den hohen Kosten für die Organisation der neuen Strukturen und den Sorgen der Wirtschaftsvertreter*innen wegen des Fachkräftemangels, ist die Debatte über die zusätzliche Belastung für Eltern vorherrschend. Wären die Begriffe Solidarität und Gleichstellung in diesem Zusammenhang tatsächlich zu Ende gedacht und nicht nur Schlagworte – sprich würden die Anliegen von Familien berücksichtigt – wäre die Initiative sicherlich breiter abgestützt. Die Baselstädtische GLP-Nationalrätin Katja Christ argumentiert für die Initiative und schreibt: «Gleiche Pflichten für alle – beim bezahlten, aber auch beim unbezahlten Dienst an unserer Gemeinschaft» und die Präsidentin des Initiativkomitees Noémie Roten sagt im Interview, dass sie sich vorstellen könnte, dass bei jungen Paaren die bereits Kinder haben, gegebenenfalls nur ein Elternteil den Dienst absolvieren muss. Das schafft zwar die langfristige Doppelbelastung nicht aus dem Weg, ist aber ein Anfang.
Mein Vorschlag: Anerkennen wir familiäre Care-Arbeit von Männern und Frauen als das, was sie ist, nämlich ein Dienst an der Allgemeinheit, integrieren wir ihn im Service Citoyen und entlohnen ihn entsprechend. Das Wording liefert die Initiative schon selbst: «Raus aus der Komfortzone, hinein ins echte Leben: Ob draussen sein, Menschen kennenlernen, gemeinsam anpacken, Verantwortung übernehmen oder Schlüsselkompetenzen erwerben», steht auf der Website des Initiativkomitees. All das gilt auch für die Elternschaft. Wir müssten nur im letzten Satz «Im Dienst für Sicherheit und Gemeinschaft» mit «Durch Carearbeit» ersetzen. Dann hiesse es: Durch Carearbeit lernen alle Menschen, was wirklich zählt – Frauen wie Männer.» Welch ein wahrer Satz.