Der Service Citoyen für Frauen ist ein Affront

Die Initiative will unter dem Deckmantel der Emanzipation Frauen denselben Dienst abverlangen wie Männern. Dabei ignoriert sie, dass Frauen bereits einen grossen Dienst an der Allgemeinheit leisten. Ein Kommentar.

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Am 30. November stimmt die Schweiz über die Service-Citoyen-Initiative ab. (Bild: Adobe/Collage:Bajour)

Solidarität und Gleichstellung – es sind diese linken Schlagworte, mit denen das Initiativkomitee im progressiven Lager nach Zustimmung fischt. Die Service Citoyen Initiative will den Militär- und Zivildienst grundsätzlich reformieren und unter anderem einführen, dass alle Schweizer*innen – also auch alle Frauen – einen Dienst an der Allgemeinheit leisten. Das Initiativkomitee besteht aus 27 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unter ihnen Politiker*innen aus allen grossen Parteien bis auf die SVP. Präsidiert wird sie von Noémie Roten, sie ist Referentin, Moderatorin und Militärrichterin. 

Bisher war es in der Schweiz so aufgeteilt, dass Männer den Militärdienst oder den Zivildienst absolvieren und Frauen nicht, weil sie diejenigen sind, die die Möglichkeit haben, Kinder zu gebären. Welch ein Irrglaube, es wäre ein Akt der Gleichberechtigung, die Forderung zu stellen, dass Frauen diesen Dienst auch absolvieren müssen. Kindergebären und Elternsein ist bereits ein Dienst an der Allgemeinheit. 

Strafe für biologische Überlegenheit

Die Argumentation der Solidarität und Gleichstellung der Geschlechter ist im Zusammenhang mit der Service Citoyen Initiative eine Farce. In unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft wird Kinderkriegen häufig als egoistische Entscheidung dargestellt. Immerhin verursachen Kinder – Menschen im Allgemeinen – ja Emissionen, verbrauchen Rohstoffe und wer weiss, welch ein verschwenderisches Leben sie einmal führen werden. Ausserdem haben Eltern weniger Ressourcen, um sich um andere Dinge zu kümmern, beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt hochzupushen.

Dabei geht vergessen: Unsere Gesellschaft braucht Kinder. Rein wirtschaftlich betrachtet, um unseren Sozialstaat, insbesondere unser Rentensystem am Laufen zu halten, aber nicht nur. Wir brauchen Kinder auch, weil sie uns auf den Boden der Tatsachen holen, weil sie uns Verbindlichkeit und Verantwortung lehren, weil sie uns die Konsequenzen unseres Handelns aufzeigen, weil sie die wirklich wichtigen Fragen stellen, weil sie uns das Leben spüren und die bedingungslose Liebe fühlen lassen. 

In einer technisierten Gesellschaft, in der Muskelkraft allein kein Erfolgskriterium ist, stellt sich heraus, dass Frauen so ziemlich alle Aufgaben übernehmen können, die bisher von Männern dominiert waren. Umkehren lässt sich das nicht. Menschen ohne Uterus können nicht gebären. Es kann nicht sein, dass Frauen* dafür bestraft werden, dass sie aus biologischen Gründen mehr können als Männer. Es kann nicht sein, dass Frauen nun zusätzlich auch noch alles leisten müssen, was bisher von Männern übernommen wurde. Solange nur Frauen gebären können, ist diese Forderung ein Affront. 

Fortschrittlicher Ansatz

Die Initiative will durchaus sinnvolle Reformen einführen. Sie will den Zugang zum Zivildienst für Männer nicht unnötig kompliziert übers Militär laufen lassen, sie will Frauen, die es wollen, den Zugang zum Zivildienst und Militär erleichtern und sie will die Chancen für Netzwerke und Ausbildung, die durch bezahlte Arbeit im Zivil- und Militärdienst entstehen, für alle öffnen und den Gemeinschaftssinn und die Verantwortung füreinander stärken. Aber all das darf nicht auf Kosten der Mütter – der Eltern – passieren. Mütter kriegen keinen ausreichenden Mutterschutz um ihre Kinder entsprechend den WHO-Empfehlungen zu stillen, sollen aber zwischen Arbeit, Haushalt, der Pflege von Angehörigen und Kindergebären noch das gesellschaftliche Zusammenleben der Eidgenossenschaft retten – das hat nichts mit Gleichberechtigung zu tun.

2025-10-29 Frage des Tages Service Citoyen-1 (1)
Dienstpflicht für alle?

Sollen alle jungen Schweizer*innen künftig einen Service Citoyen leisten müssen?

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Und selbst wenn das nicht alles gleichzeitig, sondern nacheinander passiert, verkennt diese Forderung, dass auch mit einer späteren Elternschaft ein Dienst an der Allgemeinheit geleistet wird und zusätzliche Absenzen vom Arbeitsplatz weitere berufliche Nachteile schaffen. Die Anerkennung der Leistungen von Müttern sollte möglich sein, ohne veraltete Rollenmuster zu glorifizieren. Entscheidend ist hier die Wahlfreiheit.

Die Befürworter*innen argumentieren mit der Dienstpflicht für alle Geschlechter in den familienfreundlichen skandinavischen Ländern. Aber in diesen Ländern wird Familie mitgedacht. Es gibt eine echte Elternzeit, familiäre Verpflichtungen werden in der Arbeitswelt berücksichtigt, Eltern können den Dienst aufschieben, wenn sie kleine Kinder haben – all das gilt aktuell nicht für die Schweiz. 

Care-Arbeit in Service Citoyen integrieren

Die Initiative sprengt die üblichen Pro- und Contra-Lager, innerhalb der Parteien herrscht keine Einigkeit. Neben den hohen Kosten für die Organisation der neuen Strukturen und den Sorgen der Wirtschaftsvertreter*innen wegen des Fachkräftemangels, ist die Debatte über die zusätzliche Belastung für Eltern vorherrschend. Wären die Begriffe Solidarität und Gleichstellung in diesem Zusammenhang tatsächlich zu Ende gedacht und nicht nur Schlagworte – sprich würden die Anliegen von Familien berücksichtigt – wäre die Initiative sicherlich breiter abgestützt. Die Baselstädtische GLP-Nationalrätin Katja Christ argumentiert für die Initiative und schreibt: «Gleiche Pflichten für alle – beim bezahlten, aber auch beim unbezahlten Dienst an unserer Gemeinschaft» und die Präsidentin des Initiativkomitees Noémie Roten sagt im Interview, dass sie sich vorstellen könnte, dass bei jungen Paaren die bereits Kinder haben, gegebenenfalls nur ein Elternteil den Dienst absolvieren muss. Das schafft zwar die langfristige Doppelbelastung nicht aus dem Weg, ist aber ein Anfang. 

Mein Vorschlag: Anerkennen wir familiäre Care-Arbeit von Männern und Frauen als das, was sie ist, nämlich ein Dienst an der Allgemeinheit, integrieren wir ihn im Service Citoyen und entlohnen ihn entsprechend. Das Wording liefert die Initiative schon selbst: «Raus aus der Komfortzone, hinein ins echte Leben: Ob draussen sein, Menschen kennenlernen, gemeinsam anpacken, Verantwortung übernehmen oder Schlüsselkompetenzen erwerben», steht auf der Website des Initiativkomitees. All das gilt auch für die Elternschaft. Wir müssten nur im letzten Satz «Im Dienst für Sicherheit und Gemeinschaft» mit «Durch Carearbeit» ersetzen. Dann hiesse es: Durch Carearbeit lernen alle Menschen, was wirklich zählt – Frauen wie Männer.» Welch ein wahrer Satz.

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Das ist Helena (sie/ihr): Helena hat Kultur studiert, um über Kultur zu schreiben, während dem Studium aber in so vielen lokalen Redaktionen gearbeitet, dass sie sich in den Lokaljournalismus verliebt und die Kultur links liegen gelassen hat. Nach Bachelor und Praktika startete sie den zweiten Anlauf zur Versöhnung mit der Kunst, ein Master in Kulturpublizistik sollte es richten. Dann kam das Leben (Kinder, Festanstellung bei der bz) dazwischen. Finally beim FRIDA Magazin gab’s dann kurz richtig viel Kultur und die Entdeckung, dass mehr eben doch besser ist. Deshalb macht sie bei Bajour jetzt beides.

Kommentare

Christoph Hagmann
30. Oktober 2025 um 16:25

Ernsthafigkeit

Es sollte etwas Ernsthaftigkeit in die Diskussion einkehren. Es gibt keinen Geschlechtervertrag, dass Frauen einem gleichaltrigen Mann ein Kind austragen. Man sollte das wirklich ganz nüchtern angehen und im Sinne von der Geschlechtergleichheit. Falls Ungleichheiten bei Löhnen bestehen, müssen diese dort angegangen werden und nicht bei irgendwie überwälzt bei der Dienstpflicht. Total unfair, wenn ein Mann Kurzsichtigkeit hat, muss er erst einmal alle die Sehhilfen selber bezahlen, weil die Krankenkassen diesbezüglich ein Witz sind, Brillen heilen nicht von der Seheinschränkung (keine Krankheit). Und nachher darf er noch Zivilschutz-Dienst leisten oder Ersatzpflicht bezahlen, wenn er nicht genügend aufgeboten wird. Alles darum, dass im Ernstfall die UBS bewacht und gerettet werden kann.

Monia Amacker
29. Oktober 2025 um 12:58

Frauen/Eltern noch mehr belasten?

Ich verstehe gut, was du ansprichst. Viele von uns empfinden solche Vorlagen zunächst als zusätzliche Belastung, gerade weil Care-Arbeit in unserer Gesellschaft immer noch zu wenig anerkannt wird. Dieses Gefühl ist berechtigt & ich verstehe es, weil ich es am Anfang genauso empfunden habe. Wir kommen aus einer langen Geschichte, in der wir Frauen so vieles selbstverständlich geleistet haben, ohne dass es je wirklich gezählt hat. Doch genau deshalb sehe ich im Service Citoyen ein Licht am Ende dieses Tunnels. Zum ersten Mal können wir gemeinsam, mit denselben Rechten & Pflichten, ins Erwachsenenleben starten. Es ist keine zusätzliche Last, sondern eine Chance: Er macht sichtbar, dass Fürsorge, Verantwortung & Einsatz für andere nicht weiblich oder männlich sind, sondern menschlich. Wenn wir alle uns einbringen - sozial, ökologisch, zivil oder militärisch - dann wird das, was heute oft unsichtbar bleibt, Teil unseres gemeinsamen Verständnisses von Dienst an der Gesellschaft.

Sanie
29. Oktober 2025 um 06:38

Mehr als leere Worthülsen

Eben weil die Initiative das Ziel verfolgt, die allg. Dienstpflicht grundlegend neu zu organisieren und sich dabei deutlich stärker an den individuellen Lebensumständen der Dienstpflichtigen orientieren möchte... kann ich die Kritik zur Vereinbarkeit für Familien und den Vorwurf "die Initiative sei zu wenig durchdacht" nicht nachvollziehen. Wer sich intensiv mit der Initiative beschäftigt und sich dafür mehr als die gängisten drei pro und contra Argumente durchgelesen hat, kann Verstehen was die Initiative unter Gleichstellung versteht. Z.B. weshalb soll eine alleinerziehende Frau nicht im gleichen Umfang zum Dienst verpflicht werden, wie ein alleinerziehender Mann?! Und was konkret dagegen spricht, dass eine kinderlose, unabhängige Frau, die selbe Dienstzeit absolviert wie ein Mann, mit vergleichbaren Voraussetzungen..?! Weshalb selbst Feministinnen weiterhin Männer und Frauen gegeneinander ausspielen und nach Gründen suchen um jeden Vorstoss konsequent zu bekämpfen, verstehe ich nicht.

Monia Amacker
29. Oktober 2025 um 13:11

Auf dem Feld mitspielen oder vom Zuschauerplatz reinrufen?

Für mich ist der Service Citoyen kein Zwang, sondern ein Grundstein für echte Gleichstellung: gleiche Rechte, gleiche Pflichten, gleiche Anerkennung. Er eröffnet Frauen neue Möglichkeiten & bringt Vorteile, die bisher fast nur Männern offenstanden: Netzwerke, Erfahrungen, Kompetenzen wie Zusammenarbeit & Solidarität. Jugendliche, denen man so oft Faulheit/Egoismus vorwirft, können zeigen, wie viel sie beitragen können. Ja, wir Frauen übernehmen (wieder einmal) Verantwortung, aber genau das ist unsere Stärke. Ich will keine Gleichstellung, die auf Gegnerschaft beruht, sondern auf Vertrauen, Haltung & gleichen Startbedingungen. Gleichberechtigung heisst für mich: nicht Opfer bleiben, sondern gestalten. Der Service Citoyen ist ein Schritt dorthin. Wenn wir Frauen uns dafür einsetzen, sitzen wir mit am Tisch und gestalten mit. Heute müssen wir dieses Feld den Männern überlassen. Wollen wir das wirklich für unsere Kinder, dass sie weiterhin mit diesen Strukturen kämpfen müssen?

Sanie
29. Oktober 2025 um 09:13

Zusätzliche Belastung

Das Argument, dass Familien nicht zusätzlich belastet werden sollen, ignoriert jedoch die realen Belastungen die bereits bestehen. Die bisherige Dienstpflichtregelung ist leider kaum noch mit den mordernen Familienmodellen zu vereinbaren. Konkret führt es häufig dazu, dass z.B eine 100% berufstätige Ärztin gezwungen wird, unbezahlten Urlaub zu nehmen. Weil ihr Mann, der sich überwiegend um die Kinderbetreuung kümmert und zusätzlich mit einem kleinen Pensum als Lehrer arbeitet, zum WK aufgeboten wird.

Daniel
31. Oktober 2025 um 23:57

44 Jahre nach Aufnahme des Gleichberechtigungsartikels in die Bundesverfassung

1981 schrieb das Volk in die Bundesverfassung: «Mann und Frau sind gleichberechtigt.» Wie der Bundesrat 1986 in einem Bericht zur Gleichstellung erläuterte, lag im alten Eherecht noch jene Familie als Modell zugrunde, «in welcher der Mann einem Erwerb nachgeht, während die Frau den Haushalt führt, die Kinder betreut und allenfalls im Gewerbe des Mannes mithilft». Dieses Leitbild sollte ersetzt werden durch «jenes des partnerschaftlichen Zusammenwirkens von Mann und Frau». Des weiteren schrieb der Bundesrat im Bericht: «In Bereichen, wo die Frau heute privilegiert ist, soll die Gleichstellung in erster Linie durch eine Verbesserung der Rechtsposition des Mannes und nicht durch die Aufhebung von Vorteilen der Frauen verwirklicht werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass Privilegien der Frauen in allen Punkten beibehalten werden müssen. Denn diese können ebenfalls zur Rollenfixierung beitragen und dadurch letztlich diskriminierend wirken.» Daher ein «Ja» zur Service-Citoyen-Initiative.