Besondere Basler Alltagsbilder

Die Familie Jeck hat über 80 Jahre lang das gesellschaftliche Leben in Basel fotografisch festgehalten. Ein neuer Bildband würdigt einen der wohl bedeutendsten Schweizer Fotografiebestände des 20. Jahrhunderts. Ein Einblick.

Foto Jeck Basel: Eine Welt aus Bildern
(Bild: Christoph Merian Verlag)

Wir schätzen und bewundern gerne «fertige» Fotos und sind uns dabei wenig bewusst, unter welchen Umständen sie entstanden sind. Ein neuer Bildband beleuchtet nun genau diesen Prozess. Er würdigt die Fotoproduktion des Familienunternehmens Jeck. Das erste Geschäft von Foto Jeck wurde 1924 am Spalenberg in Basel eröffnet. Über 80 Jahre haben die Jecks – vor allem Lothar Jeck (1898–1983) und Rolf Jeck (*1935) – das gesellschaftliche Leben in Beruf, Alltag und Freizeit fotografisch dokumentiert. 

Ausgangspunkt des Bildbands sind 400'000 Negative und Filme, 2000 Glasplattennegative, 15'000 Dias, die Auftragsbücher und andere Archivalien aus den Jahren 1924 bis zur Gegenwart. Das etwas redimensionierte Archiv ist einer der bedeutendsten Schweizer Fotografiebestände des 20. Jahrhunderts.

Das Buch, erschienen im Christoph Merian Verlag, erläutert die technischen Voraussetzungen der Bildproduktion, insbesondere gegeben durch die verschiedenen Kameratypen. Es zeigt aber auch auf eindrückliche Weise, wie sehr die Fotoprodukte davon abhängen, wie sich die tägliche Arbeit der Fotograf*innen gestaltet – z. B. durch kommerzielle Konditionen – und davon, welche Aufträge eingehen, etwa von Zeitungsredaktionen.

Porträts, Reportagen und Hochzeitsbilder

Die Jecks haben in hoher Zahl «Brotbilder» produziert: Postkarten, Porträt- und  Hochzeitsbilder, Schallplatten-Cover, Aufträge für Unternehmen, für die Mustermesse, für die in Basel domizilierte Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), für die Stadtgärtnerei, den Zolli und – ganz wichtig – die Reportagen für die neu aufkommenden illustrierten Zeitungen und da speziell die Sportbilder. Lothar Jeck gilt als einer der wichtigsten Schweizer Sportfotografen des 20. Jahrhunderts.

Die grossformatigen Bildstrecken zeigen aber auch viele bislang unveröffentlichte Fotos. Erstmals publiziert werden persönliche Aufzeichnungen, in denen die Fotografen den Entstehungsprozess einzelner Bilder schildern. Der Band umfasst aber auch acht substanzielle Textbeiträge verschiedener Fachautor*innen, etwa zur Frage, inwiefern Fotos als Zeitzeugen verstanden werden können (Jens Jäger), oder zur Frage, wie sich die Basler Geschichte der Jahre 1920-1960 in den Fotos spiegelt (Pierre Felder). Ein von Florian Blumer, Professor für Wirtschaftskommunikation an der FHNW, initiierter Verein beteiligte sich mit seinem Engagement u. a. an der Mittelbeschaffung für die Kosten des Transfers für die Sicherung und Überführung dieses wichtigen Bestandes ins Staatsarchiv sowie des jetzt vorliegenden Bildbands.

Wir dürfen hier eine Auswahl der Bilder zeigen.

Die Fallschirmspringerin

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(Bild: Staatsarchiv BSL 1060c 3/9/207)

Eine ideale Wahl des Motivs für den Umschlag des neuen Buches: zwei Menschen, die intensiv etwas verfolgen, was wir als Betrachter dieses Bildes selbst nicht erkennen können und das darum unsere Aufmerksamkeit steigert. Die Blicke verfolgen, wie man erst der Bildlegende entnehmen kann, eine Fallschirmspringerin an einer Aviatikveranstaltung der 1930er-Jahre. Abbildung eines einmaligen Moments als Ausdruck des zeitlosen Menschseins. Das Bild figuriert in der Kategorie der Sportberichterstattung. Ausgangspunkt war sicher professionelles Können, doch wieviel Zufall war am Zustandekommen beteiligt?

Der Zaun

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(Bild: Staatsarchiv BSL 1060c 3/10/147)

Gleich nochmals eine indirekte Aufforderung zum genauen Hinschauen: neugierige Menschen vor einer Bretterwand in den 1930er-Jahren. Was die vier Erwachsenen (drei Männer und eine Frau) hinter der Wand wohl erspähen? Das Mädchen schaut den Fotografen an, einzig das Kleinkind blickt nur vor sich hin.

Die Tour de Suisse

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(Bild: Staatsarchiv BSL 1060b 2/1792)

Erste Tour de Suisse 1933 anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des Schweizer Radfahrerbunds. Das Bild zeigt die Wechselbeziehungen zwischen Sport und Medien: Es wird vermittelt, was interessiert – es interessiert, was vermittelt wird und mediale Aufmerksamkeit erhalten hat. Lothar Jeck ist dabei und manifestiert sich mit seinem Bild selbst als Fotograf.

Die Turnerinnen

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(Bild: Staatsarchiv BSL 1060d 5/54554/1)

Turnerinnen auf der Pruntrutermatte, 1926, im Hintergrund das St. Margarethen-Kirchlein. Hier ist Sport noch nicht Spitzensport, sondern Volkssport und trotzdem ein Fotosujet. Das Bild lebt vom richtigen Moment – wenn die Bälle ihre unterschiedlichen Kulminationspunkte erreicht haben.

Die Kundschaft

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(Bild: Lothar Jeck, Sign. 149)

Das Fotounternehmen macht sich hier selbst zum Bildmotiv in einem Moment, da die vor dem Schaufenster versammelte Menge das grosse Interesse am Ausgestellten manifestiert. Daneben einer der zusätzlich in der Innerstadt angebrachten Schaukästen mit der Aufgabe, Kundschaft ins Fotoatelier zu locken.

Die Flucht

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(Bild: Staatsarchiv BSL 1060c 3/7/609)

Dieses Bild, entstanden am 14. Mai 1940 auf dem Bahnhofplatz, hält eine scheinbar harmlose Situation fest, die aber einem höchst dramatischen Moment entspringt: Hunderte, ja Tausende fliehen in Erwartung eines deutschen Angriffs aus der Stadt, um sich – und ihre Kostbarkeiten – im Hinterland in vermeintliche Sicherheit zu bringen. Man kann nur rätselt, was sich in den Koffern befindet.

Die Fasnacht

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(Bild: Staatsarchiv BSL 1060c 3/1/2974)

Auch wenn man es ihm nicht gleich ansieht, dies ist ein besonderes Fasnachtsbild aus dem Jahr 1959: Der Tambourmajor, hier auf der Mittleren Brücke, ist die Hauptfigur einer Clique, die sich über Iris von Rotens Kampf um die politische Gleichstellung von Mann und Frau lustig macht. Es dauerte noch sieben Jahre, bis in Basel das kantonale Frauenstimmrecht eingeführt wurde.

Die Herbstmesse

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(Bild: Staatsarchiv BSL 1060h 3/1061)

Heute mit Farbfotos beinahe überbedient, erfreuen sich die auf eigene Weise anspruchsvollen Schwarz-Weiss-Bilder besonderer Wertschätzung. Rolf Jeck machte sich recht früh, das heisst in den 1950er-Jahren, mit den neuen Möglichkeiten der Farbaufnahmen vertraut, etwa mit dem Nachkorrigieren der Filterung und mit dem Bearbeiten der Farbtöne. Hier ein die Farbigkeit der Ballone hervorhebendes Bild der Herbstmesse auf dem Barfüsserplatz um 1977.

Der Alltag

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(Bild: Privatbesitz DSCF 14549)

2013 nicht in Basel, sondern in Paris aufgenommener Abfallsack, ein ortsungebundenes und zeitloses Motiv, ein konkretes Objekt, das auf eine allgemeine und zeitlose Problematik hinweist.




Florian Blumer (Hg.), Foto Jeck Basel. Eine Welt aus Bildern. 284 Seiten, 278 teils farbige Abbildungen. Basel Christoph Merian Verlag 2024. 68 Fr.

Buchvernissage & Gespräch im Kulturhaus Bider & Tanner, 8. November 2024, 19.30 Uhr.

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Georg Kreis ist Historiker und emeritierter Professor für Neuere Allgemeine Geschichte und Geschichte der Schweiz an der Universität Basel. Bis Mitte 2011 leitete er das Europainstitut Basel und bis Ende 2011 präsidierte er die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR).

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