Ein Gartenprojekt gegen Stigmatisierung

Mit einem 600 Quadratmeter grossen Nutzgarten am Hafen werden Randständige des Vereins Blaue Paula ab November zeigen, was sie drauf haben. Es ist ein grosses soziales Experiment.

Blaue Paula Gartenprojekt
Dampfwalze, Willi Moch und Yann Camüs (v.l.n.r.) von der Blauen Paula schaffen einen Ort, an dem sich die Gasse wohlfühlen soll. (Bild: zVg)

«Wir wollen zeigen, was wir können», sagt Yann Camüs, Vorstandsmitglied der Blauen Paula, einem Verein von armutsbetroffenen Menschen und Menschen in prekären Lebenslagen. Camüs, der selbst auf der Gasse lebt, sitzt auf seiner Veranda in einem Kleinbasler Hinterhof, zwischen Vogelkäfigen und Fischteichen. «Es geht um Gassenkompetenz, denn vieles bekommen wir alleine hin.» So gäbe es auf der Gasse gute Arbeitskräfte, welche durchaus die Fähigkeiten hätten, aus der Arbeitswelt aber ausgegrenzt seien.

Ab November wird die Blaue Paula, die 2022 gegründet wurde, am Basler Hafen einen 600 Quadratmeter grossen Nutzgarten aufbauen dürfen. Dieser liegt vor dem gelben Lager- und Logistikgebäude mit der Aufschrift Gondrand, das von Immobilien Basel-Stadt betrieben wird. Der Nutzgarten soll Beschäftigung und Herausforderung bieten für jene Menschen, die in ihrem Alltag mit Suchtproblemen zu kämpfen haben. Das Gemüse, welches gepflanzt und geerntet wird, soll in einer Gartenküche verwertet werden. Das Projekt wird vom Kultur- und Sozialschaffenden Willi Moch geleitet und soll helfen, der Stigmatisierung der Gassenleute entgegenzuwirken. Finanziert wird es zu Beginn durch Spenden.

Warum braucht es das?

«Wir sind randständig anständig!» Das betont Camüs im Gespräch mehrmals. Und fordert die Journalistin auf, den Satz doch bitte aufzuschreiben. Also nochmal: «Randständig anständig!» Und: «Klassisch gassisch!» Er lacht. Sein Kollege Dampfwalze (DW), so der Gassenname, lacht ebenso. DW ist ein weiteres der fünf Vorstandsmitglieder und sitzt neben dem von den Randständigen auserwählten Projektleiter Moch mit am Tisch, während unter dem Tisch Vierbeiner Bubbel schwänzelt.

«Wir wollen ein Ort sein, an dem die Gasse hingehört und sich der Gesellschaft zeigen darf.»
Willi Moch, Projektleiter

Nein, ein Selbsthilfeprojekt wolle man nicht sein, vielmehr ein «Ort, an dem die Gasse hingehört und sich der Gesellschaft zeigen darf», sagt Moch, der zudem im Hostel Volta arbeitet, das möblierten Wohnraum mit Begleitung für Menschen ab 25 Jahren anbietet. Moch packt mit den Randständigen ihren Alltag an, verbringt Zeit mit ihnen, ist mit Süchtigen vertraut. 

Stammtisch
Drogenstammtisch

Die vierte Säule Schadensminderung geht in der Drogenpolitik neben den Säulen Prävention, Therapie und Repression oft ein bisschen vergessen. Deshalb legen wir für den nächsten Drogenstammtisch, den wir wieder gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel organisieren, den Fokus darauf. Braucht es eine staatliche Kokain-Abgabe? Welche Wohnformen und Tagesstrukturen sind für die Drogensüchtigen unterstützend? Sollte es gar Begegnungszonen für Konsumierende wie in Freiburg geben? Und: Wie leben wir mit den vielen Einrichtungen im dicht besiedelten Kleinbasel? Diese Fragen stellt Moderatorin Martina Rutschmann am Dienstag, 19. November, ab 19 Uhr im Rheinfelderhof (Hammerstrasse 61, 4058 Basel) zur Debatte. Der Eintritt ist frei und eine Anmeldung ist nicht nötig. 

Es gibt zwar noch andere Begegnungsorte wie das Soup and Chill oder den Kleinbasler Treffpunkt. Doch die Schliessung des Hammertreffs Ende März 2024 als wichtiger Treffpunkt für Süchtige hat ein Loch in der Basler Gassenlandschaft hinterlassen, das nun gestopft werden könnte. «Der Garten soll ein Begegnungsort werden, an dem man zur Ruhe kommt», sagt Camüs. Die Randständigen sprechen gar von einer inoffiziellen «fünften Säule der Drogenpolitik»: der Freizeit (die Freizeitgestaltung gehört allerdings bereits heute zur Säule Schadensminderung – neben Prävention, Therapie und Repression). Und DW ergänzt: «Auch Eltern mit ihren Kinder sind willkommen, sollen das Erlebnis mit ihnen teilen können.» Den beiden ist es wichtig, zu betonen, dass an dem Ort nicht konsumiert werden soll. Klar könne mal ein Bier oder ein Prosecco getrunken werden, sagt Camüs, «aber harte Drogen haben hier nichts zu suchen». Willkommen sei indes jede*r, der*die sich respektvoll verhalte. Es gelte Selbstkontrolle.

Hafen
Am Basler Hafen soll ein 600 Quadratmeter grosser Nutzgarten entstehen.

Wollen sie, die ihre Sucht einigermassen im Griff haben, anderen Süchtigen die Chance bieten, in ein geregeltes Leben zurückzufinden? «Wer eine Chance haben will, soll sie bekommen», sagt DW. 

Lehren aus dem Lysbüchel

So lobenswert die Absichten sind und so unterstützenswert das Projekt ist, muss realistischerweise gesagt werden, dass dort, wo Drogensüchtige sind, früher oder später auch gedealt wird. Camüs zeigt sich dennoch zuversichtlich: «Wir geben uns die Sicherheit selber.» Sprich: Sie wollen sich Sorge geben, selbst schauen, dass die Situation nicht eskaliert.

Der Hafen ist ohnehin ein kritischer Ort, mit feierfreudigen Gästen, insbesondere am Wochenende. Was bei einer Vermischung der Szenen passieren kann, konnte man zuletzt auf dem Lysbüchel beobachten, wo das Kulturlokal des Schwarzen Peter sowie die Art Stage Volta standen. Hier kamen auch süchtige Obdachlose unter, hausten teils sogar in den Räumlichkeiten der Zwischennutzungen wie dem Kulturlokal. Die Auswirkungen aufgrund des recht freien Drogenkonsums habe zu verschiedenen Konflikten geführt, welche Einzelne auf die schiefe Bahn bringen könnten, sagen Vertreter*innen der Artstage Volta. 

«Wir geben uns die Sicherheit selber.»
Yann Camüs, ein Mann von der Gasse

Die wenig orchestrierten Entwicklungen auf dem Privatgelände der SBB waren demnach nicht immer nur erfreulich, bestätigen die Involvierten. Doch die Stadt dürfte ihre Learnings daraus gezogen haben; bei der Basler Kantonspolizei (genauer: bei den Polizeiwissenschaften) war eine Stelle ausgeschrieben, die auf Anfang des kommenden Jahres besetzt werden dürfte und sich eben dieser Schwierigkeiten annehmen soll. Gemäss Mediensprecher Adrian Plachesi soll aus diesem 30-monatigen Forschungsprojekt, unterstützt von der Fondation Botnar, eine Art behördenseitiges «Best Practice» resultieren für Zwischennutzungen. Der Hafen könnte dabei auch betroffen sein. 

Meinungsverschiedenheiten

Die Blaue Paula war anfangs ebenfalls involviert auf dem Lysbüchel-Areal. Ihre Mitglieder hatten das Kulturlokal mitaufgebaut und es später erfolgreich bespielt: Sie hat Konzerte organisiert, Live-Kicker mit Moderation durchgeführt, zu Gassenkaraoke und diversen Essen geladen. Um die Anlässe zu organisieren, wurde auf dem Marktplatz Bouillon verkauft, mit der Aktion «Hesch mr e Stutz» Geld gesammelt. Es gab Laternenumzüge mit Bierdosen, mit Prosecco-Dosen wurden Weihnachtsbäume dekoriert. Es fand ein Bastelnachmittag statt und ein Arme-Leute-Frühstück, zu dem sogar die Waldmenschen aus dem Elsass, also Aussteiger, die ennet der Grenze abseits der Zivilisation leben, kamen. «Die Aktionen haben immer Freude gemacht», sagt Camüs.

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Ein mit Prosecco-Dosen dekorierter Weihnachtsbaum. (Bild: zVg)

Zwischen dem Schwarzen Peter und der Blauen Paula kam es später zu Meinungsverschiedenheiten. Das Kulturlokal des Schwarzen Peters ist mittlerweile auf die Zwischennutzung Erleperle verschoben worden, wo nun gemeinschaftliche Projektideen für ein Generationen übergreifendes Angebot gesucht werden. Auch dieses Projekt birgt seine Risiken, befindet es sich doch direkt neben der Anlaufstelle für Drogensüchtige (K&A) am Riehenring. Doch so explosiv derartige Projekte sein mögen, so wichtig sind sie. Denn: Auch wenn manche Zielgruppen anders ticken, vielleicht schwieriger integrierbar sind, brauchen auch sie einen Ort, an dem sie sein dürfen. Und diese Orte bleiben selten. 

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