«Die mediale Berichterstattung führt zu einer diffusen Angst»

In der Silvesternacht kam es im Hirscheneck offenbar zu Vorfällen mit K.o.-Tropfen – in einem Fall ist sogar von Needle-Spiking die Rede. Im Interview erklärt Jill Zeugin vom Drug-Checking, weshalb viele «Needle-Spiking» als «Urban Legend» bezeichnen – und warum man die Opfer trotzdem ernst nehmen muss.

Jill Zeugin
Jill Zeugin arbeitet beim Drug-Checking der Suchthilfe Region Basel. (Bild: zVg)

Derzeit geben Fälle von K.o.-Tropfen im Hirschi zu reden. Besonders aufhorchen lassen hat der Fall eines Jugendlichen, der vermutet, Opfer von Needle-Spiking geworden zu sein. Er vermutet also, dass ihm gegen seinen Willen mit einer Spritze K.o.-Tropfen verabreicht worden sind. Auf Nachfrage sagen das Unispital beider Basel und die Opferhilfe beider Basel, Needle-Spiking sei bei ihnen kein Thema. Sie geben daher auch keine weitere Auskunft. Anders Jill Zeugin vom DIBS (Drogen Info Basel) Drug-Checking der Suchthilfe Region Basel.

Jill Zeugin, ist Needle-Spiking beim Drug-Checking ein Thema?

Bis jetzt zum Glück noch gar nicht. Ich möchte aber betonen, dass Needle-Spiking extrem schwierig umzusetzen ist. 

Wie meinen Sie das?

Dass man jetzt im Winter durch die Kleidung hindurch mit einer so dünnen Nadel stechen kann, ist sehr schwierig. Und auch ohne Kleidung dazwischen müsste man eine solche Substanz mehrere Sekunden lang injizieren. Dass man die Injektion eines derart starken Lösungsmittels nicht spürt, ist ebenfalls schwierig. Damit eine solche Tat unbemerkt bleibt, müsste das Opfer zudem ganz ruhig stehen – und das in einer Menschenmenge. Es gibt deshalb viele, die das Phänomen als «Urban Legend» bezeichnen. Die mediale Berichterstattung, wie es aktuell der Fall ist, führt dann auch zu einer diffusen Angst.

K.o.-Tropfen und Needle-Spiking

Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) kann in geringen Dosen entspannend oder enthemmend wirken – so wird es als Partydroge verwendet. Wenn jemand GHB verwendet, um ein Opfer zu betäuben, spricht man von «K.o.-Tropfen» in einem Getränk. Man sagt dann auch: Ein Drink wurde gespiked. Wenn ein Täter einem Opfer ohne sein Wissen eine Substanz wie GHB mit einer Spritze injiziert, spricht man von «Needle-Spiking». Medial sorgen solche Fälle häufig für grosse Aufmerksamkeit – in der Schweiz zuletzt 2022 im Zusammenhang mit der Street Parade. Gemein ist den bekannten Fällen, dass es zwar Opfer gibt – Personen, die von unerklärlichen Nadelstichen und z.T. Symptomen berichten – Täter*innen jedoch nicht ermittelt werden konnten. Schon 2022 sagte ein Experte für Massenpsychologie gegenüber dem Tagesanzeiger: «Die mediale Berichterstattung steht in einem deutlichen Missverhältnis zu den nachgewiesenen Fällen. Es sind bei den Opfern auch noch nie injizierte Substanzen nachgewiesen worden.» Im Zusammenhang mit dem aktuellen Fall im Hirschi sagt ein Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft zur bz: «In den vergangenen Jahren sind den Basler Strafverfolgungsbehörden weniger als eine Handvoll mutmasslicher Fälle zur Kenntnis gebracht worden; bislang hat sich ein solcher Sachverhalt in keinem Fall erhärten lassen.»

Der Tagesanzeiger thematisierte im Zusammenhang mit der Street Parade 2022 und Needle-Spiking das Phänomen von «kollektiver Angst». 

Jede Flinta-Person, die in den Ausgang geht, denkt eh schon: Scheisse, jetzt muss ich auf mein Getränk aufpassen und hoffentlich werde ich nicht irgendwie dumm angemacht. Und wenn dann noch Artikel dazu in den Medien erscheinen, macht das die Angst noch grösser und dient nicht der Sache, wenn dazu nicht auch gleich aufgeklärt wird. 

Auch wenn es keine nachgewiesenen Fälle von Needle-Spiking gibt: Personen, die befürchten, davon betroffen zu sein, gibt es.

Ja, mir ist es wichtig, hier kein Victim Blaming zu betreiben. Wenn eine Person denkt, dass einem K.o.-Tropfen verabreicht worden sind – sei das durch ein Getränk oder eine Nadel – würde ich unbedingt empfehlen, sofort einen Bluttest zu machen. 

Weil GHB im Blut nur für eine kurze Zeit nachweisbar ist.

Ja. Wenn ich am Samstagabend mit der Substanz in Kontakt komme, ist sie am Montag weder im Blut noch im Urin nachweisbar – im Gegensatz zu zum Beispiel Ecstasy oder Kokain. Von unseren Freund*innen im Drugchecking Luzern wissen wir zudem, dass bei Personen mit Verdacht auf K.o.-Tropfen in der Notaufnahme in Luzern nicht routinemässig ein Blutcheck gemacht wird. Sie untersuchen nur auf GHB, wenn eine Anzeige vorliegt.

Auf dem Notfall im Basler Unispital gibt es keinen routinemässigen Bluttest. Man macht ihn aber, wenn jemand Anzeige erstatten möchte.

Die Tat anzuzeigen, kann für Betroffene sehr schwierig sein, vor allem wenn sie keine Beweise haben.

«Wenn ich am Samstagabend mit GHB in Kontakt komme, ist sie am Montag weder im Blut noch im Urin nachweisbar.»
Jill Zeugin

Was sollte man tun, wenn man merkt, dass es einem ganz plötzlich schlecht geht?

Man sollte auf jeden Fall jemanden informieren, dass es einem nicht gut geht. Und wenn man noch dazu in der Lage ist, kann man der Person sagen: Schau, das war mein Getränk, nimm es mit. Aber das ist nicht immer möglich in so einer Notsituation. Wenn das Unwohlsein wirklich stark ist, sollte man sofort in den Notfall gehen und auch den Club informieren. Er könnte Videoaufnahmen von Überwachungskameras haben. Wenn man zu lange wartet, sind die dann vielleicht bereits wieder überschrieben. Neben der Polizei ist auch die Opferhilfe eine niederschwellige Anlaufstelle.

Beschäftigt ihr euch beim Drug-Checking auch mit K.o.-Tropfen?

Uns beschäftigt es insofern, dass wir ab und zu Anfragen haben von Personen, die GHB konsumieren wollen und fragen, ob wir es analysieren würden. Letztes Jahr hatten wir eine. Wir mussten sie ablehnen, weil wir dafür nicht die geeignete Methode haben. 

Wenn es nur selten Anfragen gibt, wird die Substanz in Basel auch nicht häufig konsumiert?

In unserer Erfahrung nicht, auch nicht in den Clubs. Es ist eher ein Szene-Ding, zum Beispiel in der Chemsex-Szene, bei Sex von Männern mit Männern im Rahmen von sexpositiven oder privaten Parties.

Weshalb ist es so gefährlich, GHB als Freizeitdroge zu konsumieren?

GHB ist wahnsinnig schwierig zu dosieren. Es geht da um Milliliter. Ein Milliliter zu viel kann bereits zu Ohnmacht führen, noch einer zu viel zu komaähnlichem Zustand. In der Clubszene in Berlin gab es viele Fälle, bei denen sich die Leute selber auf dem Dancefloor in Ohnmacht konsumiert haben. GHB ist ein sogenannter Downer, er verlangsamt unter anderem die Atemfrequenz. Wenn das mit anderen Downern wie Alkohol konsumiert wird, besteht die Gefahr, dass man ins Koma fällt und aufhört zu atmen. Das war den Clubs zu gefährlich, also haben sie teilweise eine Nulltoleranz eingeführt. 

«Grundsätzlich finde ich schwierig, dass die Täter nicht adressiert werden.»
Jill Zeugin

Die Balz Bar gibt an, gute Erfahrungen mit Getränkedeckeln gemacht zu haben, um dem Verabreichen von K.o.-Tropfen entgegenzuwirken. Was könnten Clubs sonst noch tun?

Grundsätzlich finde ich schwierig – und das kritisiere ich auch am Statement des Hirschi –, dass die Täter nicht adressiert werden. Es wird viel darüber geredet, was potenzielle Opfer machen können, aber über die Konsequenzen für Täter wird nicht geredet. Es wäre aus meiner Sicht ganz wichtig zu sagen: «Das ist Körperverletzung. Wenn wir dich erwischen, hat das Konsequenzen.» Ausserdem hilft Awareness.

In Form eines Awareness-Teams vor Ort, an das man sich wenden kann?

Das wäre Goldstandard. Es ist aber finanziell ein enormer Aufwand. Was schon mal hilft, ist, wenn alle im Club ganz genau wissen, wie sie vorgehen sollen. Im Idealfall gibt es dann eine Kaskade, was zu tun ist. Zum Beispiel mit Fragen wie:

  • Bist du alleine?
  • Hast du Hilfe?
  • Hast du dein Getränk noch?
  • Soll dich jemand auf den Notfall begleiten?

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Kommentare

Martin
11. Januar 2025 um 17:26

Gesellschaftlicher Bankrott

Needle-Spiking wie auch K.O.-Tropfen sind eine völlige Bankrott-Erklärung an die Gesellschaft und an das Kulturmilieu.