Brandy Butler: «Kinder können die härtesten Aktivist*innen sein»
Sie ist Musikerin, Schauspielerin, Aktivistin, Mutter und Lehrerin. Ein Gespräch mit Brandy Butler über Dicksein, Dickpics und Rassismus – im Gastbeitrag von tsüri.ch.
Dies ist ein Gastbeitrag von tsüri.ch, dem unabhängigen Partnermedium von Bajour.
Lara Blatter: Auf Instagram hast du dich in einer Story über einen Typen lustig gemacht, der deine Bilder sexistisch kommentierte. Wie gehst du damit um?
Brandy Butler: Indem ich diese Kommentare öffentlich mache. Diese Männer denken niemals daran, dass das sofort öffentlich gepostet wird. Das ist Teil meiner Gegenwehr. Die Reaktionen von diesen Männern finde ich traurig und gleichzeitig lustig.
Lustig?
Anstatt schockiert zu sein, mache ich mich über diese Angriffe lustig. Sehr oft mache ich auch Memes daraus. So verwandle ich die negative Energie. Es bereitet mir viel Freude, dass ich andere Menschen zum Lachen bringen kann.
Ist Humor deine Waffe?
Natürlich, aber nicht nur. Die Arena-Sendung vom 12. Juni beispielsweise war schrecklich. Ich habe es satt, dass wir überhaupt noch darüber diskutieren müssen, ob es Rassismus gibt. Aber ich musste lachen. Es war so absurd. Ich konnte Satire noch nie so gut beschreiben, das war zwar keine Satire, aber es beschreibt sie perfekt. Es ist wichtig, dass diese Arena passierte. Es löste Diskussionen aus, die schon lange überfällig waren.
Auf Social Media sprach ich mich gegen die Sendung aus und bekam deswegen Drohungen. Aus diesen Drohungen Witze machen, kann ich schlecht. Sie sind ein Verbrechen und alles andere als lustig.
Im März schrieb Tsüri.ch über das Performance-Festival «zürich moves!». Das Festival wurde aufgrund der Corona-Krise abgesagt. «Avoir du pois» war dein Stück, auch dort setzt du dich intensiv mit Körper auseinander.
Mich interessiert die Thematik Fett und Körper sehr. Es wird – gerade in der Theaterszene – viel zu wenig darüber diskutiert. Mein Stück befasst sich mit dem Wort «Gewicht» und den wissenschaftlichen Aspekten. Auf dem Mars haben wir ein anderes Gewicht als auf der Erde, dennoch spielt für viele Gewicht eine sehr grosse Rolle. Das Konzept von Gewicht kann auch als flüchtig interpretiert werden.
«In den letzten Jahren konnten weisse Menschen im Theater alles sein, was sie wollten.»Brandy Butler
Woher kam die Idee, Gewicht wissenschaftlich auf der Bühne in Szene zu setzen?
Durch das Buch «Fearing the Black Body: The Racial Origins of Fat Phobia». Es geht unter anderem um die Geschichte von Fettphobien, die fest mit der Wissenschaft von Gewicht zusammenhängt. Der BMI als Beispiel. Wer oder warum wurde dieser erfunden? Das war eine Bewegung von weissen Männern im 18. Jahrhundert, die die Rassenwissenschaft erfunden hatten. Schon da spielte Gewicht eine grosse Rolle und prägt uns bis heute.
Was hat für dich Aktivismus mit Theater zu tun?
In den letzten Jahren konnten weisse Menschen im Theater alles sein, was sie wollten. Sie können Böse, Alte, Junge, Behinderte, Homosexuelle und, bis vor kurzem, sogar Schwarze Menschen spielen. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir dies hinterfragen: Wenn du nicht homosexuell bist, kannst du einen Homosexuellen spielen oder als junger Mensch einen alten Greis darstellen? Darum ist Theater jetzt extrem spannend geworden. Es geht plötzlich vermehrt um Repräsentation. Du kannst nicht alles spielen, was du willst.
Stichwort Repräsentation. Findest du, dass der Feminismus in der Schweiz gewisse Frauen ausschliesst?
Feminismus ist für alle. Punkt. In der Schweiz ist der Feminismus eher weiss. Für mich persönlich, und das ist meine Meinung, wünschte ich mir, dass der Frauenstreik sich mit der «Black Lives Matter»-Demo am Wochenende vom 14. Juni zusammengetan hätte. Das wäre ein klares Zeichen gewesen, dass diese Bewegungen zusammen gehören. Zwei Bewegungen, doch im Kern geht es um dasselbe und zwar um Gleichberechtigung. But that’s a long way.
«Ich als queere, Schwarze, dicke, ausländische Frau und Single-Mutter sehe vieles, was andere nicht sehen.»
Wieso ist es so wichtig, dass sich Bewegungen zusammenschliessen?
Wir müssen verstehen, dass wir alle unterschiedlich sind. Ich verstehe nicht jeden Menschen, nur weil er Schwarz oder weiblich ist. Darum ist es wichtig, dass man die Vielfalt von Sein akzeptiert und kennenlernt. Je mehr du dich in diesem intersektionellen Topf befindest, desto mehr begreifst du die Zusammenhänge.
Ich als queere, Schwarze, dicke, ausländische Frau und Single-Mutter sehe vieles, was andere nicht sehen. Ich kreuze mich mit vielen anderen «Minderheiten» – wobei für mich das Wort «Minderheiten» sich falsch anhört. Andere Menschen kommen mit gewissen Problemen unserer Gesellschaft null in Kontakt und diesen muss man die anderen Realitäten, die existieren, vor Augen führen.
Wie macht man diese Realitäten sichtbar?
Hinschauen! Es macht mich teils sauer, wenn ich sehe, welches Bild der Gesellschaft in der Schule vermittelt wird. Meine Tochter ist neun Jahre alt. Zuhause lesen wir feministische Märchen und Bücher, die Klassenunterschiede und verschiedene Familienbilder thematisieren und worin POCS vorkommen und die Held*innen sind. Es ist mir wichtig, dass mein Kind mit einem Bild der Welt aufwächst, das sie auch wirklich repräsentiert.
Fühlst du dich als Schwarze Frau in der Schweiz gesehen?
Ich habe viele Schwarze Freund*innen, aber wenn ich einen Film oder Werbung – ja eigentlich alle Produkte, die von der Schweiz «gestempelt» sind – sehe, da fühle ich mich nicht repräsentiert. Oder gerade im Kulturbereich, wo ich tätig bin, werden Preise selten an People of Color vergeben, ausser der Quote wegen. Ich will gespiegelt werden und wissen, dass auch mein Beitrag als Schwarze Frau an die Gesellschaft gewürdigt wird.
«Weisse Menschen sehen sich oft als Norm.»
Und genau diese Widerspiegelung in der Gesellschaft ist gerade für Kinder sehr wichtig. Ich als Primarschullehrerin (momentan im Sabbatical) erschrecke immer wieder, wie wenig über Diversität an Schulen gesprochen wird. Viele Texte zeichnen immer noch das Bild auf, dass Menschen aus Afrika aus dem Dschungel kommen und Asiat*innen nur Reis essen. Diese Stereotypen sind schrecklich und bereiten unsere Kinder nicht auf die Realität dieser Welt vor.
Macht dich diese Unterrepräsentation wütend?
Jein. Weisse Menschen sehen sich oft als Norm, das ist den rassistischen, patriarchalen, gesellschaftlichen Strukturen zu verdanken. Genau wie ich als Schwarze Frau, seid ihr als weisse Menschen in diesen Strukturen aufgewachsen: Als Kinder hat man euch den «hautfarbenen» Farbstift hingehalten und ihr habt wild drauf los gezeichnet. Niemand sagte «Hey, eigentlich gibt es auch noch andere Hautfarben als die da.» Ich bin nicht unbedingt wütend auf Einzelpersonen, aber es frustriert mich definitiv, wenn ihr nicht begreift, dass auch ihr Teil dieses rassistischen Systems seid und aktiv dagegen kämpft.
Gibt die junge Generation Hoffnung auf Verbesserung?
Kinder haben grosses Verständnis für menschliche Gefühle. Wenn sie merken, dass etwas verletzend oder ungerecht ist, so können sie die härtesten Aktivist*innen werden. Der Vater meiner Tochter erklärte ihr, was Nestlé ist. Nun sagt sie auch zu mir, wenn ich ihr ein Müesli von Nestlé auftische, «nein, das geht nicht Mama».
Darum mache ich so gerne Theater oder Schule mit Kindern. Es ist so wichtig, Werte zu vermitteln. Und die Kinder von heute haben auch einiges mehr an Wissen als wir damals.
Inwiefern mehr Wissen?
Zum Beispiel wenn es um Sexualität geht, ich hatte in meiner Jugend lange kein Bild davon; man sprach nicht darüber, das höchste der Gefühle waren «verbotene» Videokassetten... Heute hat man das Internet mit seinen endlosen Möglichkeiten oder es gibt wunderbare Serien, wie «Sex Education», die Sexualität thematisieren. Die junge Generation hat viele Ressourcen, darum glaube ich fest daran, dass sie es besser machen werden – auf vielen Ebenen.»
«Schweizer*innen sind sehr kritisch und urteilen schnell über andere Lebensformen.»
Woher holst du all diese Zuversicht und positive Energie?
Ich bin eine starke Persönlichkeit, aber auch als Frau sozialisiert worden. Das heisst, Selbstbewusstsein steht nicht unbedingt an erster Stelle. Trotzdem, I love myself. Würde ich mich selber nicht lieben, so könnte ich diese Arbeit nicht machen, denn ja, es gibt viele Ungerechtigkeiten. Vielleicht hat mich die Schweiz darauf vorbereitet, denn Schweizer*innen sind sehr kritisch und urteilen schnell über andere Lebensformen. Vor gut 15 Jahren wusste ich, wenn ich hier bleiben will, dann muss ich mich selbst wirklich lieben.