Die Suche nach der Solidarität
Die Basler SP beschliesst die Stimmfreigabe für die OECD-Steuerreform im Juni, auch wenn das Parteiestablishment für ein «Ja» plädiert. Viele hätten sich eine klare Parole gewünscht, aber so umgeht die Partei den Zwist mit den Schweizer Genoss*innen.
Am Ende war es denkbar knapp: Mit 64 zu 60 Stimmen entschied sich die Basler SP bei ihrer Delegiertenversammlung am Dienstagabend im Volkshaus für eine Stimmfreigabe anstatt einer Ja-Parole zur OECD-Steuerreform. Die Ja-Parole hatte zuvor mit 63 zu 49 Stimmen bei 9 Enthaltungen gegen die Nein-Parole gesiegt. Der Entscheidung war eine intensive Debatte vorausgegangen.
Die OECD ist eine internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Organisation verlangt mit der 2021 von den G7-Staaten beschlossenen Steuerreform, dass grosse, international tätige Unternehmen (mit mindestens 750 Millionen weltweit erwirtschaftetem Umsatz pro Jahr) mindestens 15 Prozent Gewinnsteuern abgeben.
Auch die Schweiz als Mitgliedstaat der OECD muss die Steuerreform umsetzen. Der Bundesrat schlägt vor, dass das mit einer Ergänzungssteuer zusätzlich zur Gewinnsteuer umgesetzt wird. Die jährlichen Mehreinnahme werden auf 1 bis 2,5 Milliarde Franken geschätzt. Das ganze unterliegt dem obligatorischen Referendum, deshalb stimmt das Volk am 18. Juni darüber ab.*
Nun ist eine globale Mindeststeuer für grosse Unternehmen eigentlich genau das, was die Sozialdemokratie unter Solidarität versteht: Umverteilung der Gewinne von Unternehmen in Form von Steuern an die Gesamtbevölkerung. «Ich bin Fan einer Mindeststeuer, aber es ist ein Witz, was daraus gemacht wurde», sagte Leonie Bolz als eine von 18 Votant*innen im Rahmen der Parolenfindung bei der Delegiertenversammlung. «Und wenn die Basler SP mit Ja stimmen würde, würde ich mir vorkommen wie die FDP innerhalb der Schweizer SP», so Bolz weiter. Die nationale Partei hatte im Februar die Nein-Parole beschlossen (wenn auch der Parteivorstand die Stimmfreigabe gefordert hatte).
Der Knackpunkt liegt für die kritischen Genoss*innen darin, wie die Mehreinnahmen verteilt werden sollen, welche die Steuer generieren würde. Das nationale Parlament beschloss eine Aufteilung von 75 Prozent für die Kantone und 25 Prozent für den Bund. Die SP hätte sich aber eine 50/50-Verteilung gewünscht – in der Hoffnung, dass der Bund die Mehreinnahmen für Investitionen in Klimaschutz, Kitas und Prämienverbilligungen aufwendet.
Dass nun mehr Geld an die Kantone statt an den Bund fliessen soll, davon profitieren vor allem die wirtschaftlich starken Kantone. «Die bürgerlichen Steuerparadiese in der Innerschweiz werden die Mehreinnahmen für eine Steuersenkungs-Orgie nutzen und den Steuerwettbewerb weiter anzuheizen», sagte David Roth, Vizepräsident der Bundespartei, der für seine Nein-Argumente aus Luzern angereist war.
Wohin soll das Geld?
Basel-Stadt ist einer der Kantone, der von der Mindeststeuer besonders profitieren würde, weil hier viele grosse, international tätige Unternehmen ansässig sind: 250 wären betroffen – sie machen die Hälfte der Wertschöpfung aus, die im Kanton entsteht, wie Finanzdirektorin Tanja Soland ihren Parteigenoss*innen erklärte. Sie, wie auch die anderen Regierungsmitglieder, sprechen sich daher für eine Ja-Parole aus.
Ihr Argument ist: Mehr Geld für Klimaschutz und Kitas, wie ursprünglich gewünscht, das kriegen wir sogar früher, wenn wir das Geld nach Basel holen. «Wir werden Sinnvolleres mit dem Geld machen als der Bund, denn hier sind die Mehrheitsverhältnisse besser als im nationalen Parlament», so Regierungspräsident Beat Jans. Und Ex-Regierungsrat Hans-Peter Wessels spitzte es so zu: «Habt ihr mehr Vertrauen in Karin Keller-Sutter, unterstützt von Guy Parmelin – oder in Tanja Soland, unterstützt von Kaspar Sutter?»
«Ihr wisst viel Gescheites mit dem Geld anzufangen», sagte der Luzerner Gast David Roth, «aber als Sozialdemokraten müssen wir weiterdenken als Kantonsgrenzen.» Und damit eröffneten die Gegner*innen eine Sinndebatte über den Begriff Solidarität. Denn Solidarität, so hiess es an einer Stelle, bräuchten die Kantone, die keine Tanja Soland zum Verteilen der Mehreinnahmen hätten. Oder die Mutterpartei, der man im Wahljahr mit der Frontalkonfrontation durch eine Ja-Parole in den Rücken fallen würde. Und auch die Länder des globalen Südens, die von der Vorlage gar nicht profitieren würde.
«Solidarität ist der Grund für die Mindestbesteuerung, aber die stand bei der Ausgestaltung dieser Vorlage ganz hinten an»Beda Baumgartner, Grossrat SP
Kein*e Sozialdemokrat*in lässt sich gerne als «unsolidarisch» bezeichnen. Deshalb verteidigten auch die Befürworter*innen ihre Positionen als solidarisch: Beat Jans sagte, dass ein reicherer Kanton Basel auch mehr in den Finanzausgleich zahlen werde, während andere Kantone davon profitierten. «Das ist reale Solidarität», sagte er. David Roth widersprach, dass es sich dabei um lediglich 3,7 Prozent handle, was für ihn keine Solidarität sei. Und Soland erklärte dann noch, dass das 50/50-System, das sich viele gewünscht hätten, im Endeffekt zu einem niedrigeren Finanzausgleich führen würde.
Letztlich obsiegte der Pragmatismus, die Delegierten folgten knapp dem Vorschlag des Parteivorstands auf Stimmfreigabe. Damit können auch die Gegner*innen leben – auch wenn sich beide Seiten wohl gerade im Wahljahr eine klare Positionierung gewünscht hätten.
* Update, 20.04.2023: In einer früheren Fassung des Artikels haben wir fälschlicherweise geschrieben, dass die Schweizer SP das Referendum gegen die OECD-Steuerreform ergriffen habe. Das stimmt nicht. Richtig ist, dass die Vorlage untersteht dem obligatorischen Referendum. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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