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Ultimatum des Klimastreiks

Das «Lützerath von Basel» ist abgesagt

Das LNG-Terminal entpuppt sich als Biogas-Terminalchen. Deshalb zieht der Klimastreik Basel vorerst die Klauen ein, will aber weiter kritisch bleiben.

05/21/23, 06:02 PM

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Helma Pöppel und Antonia Ossig vom Klimastreik würden gerne wieder über dir grüne Zukunft und nicht mehr über die fossile Vergangenheit reden.

Helma Pöppel und Antonia Ossig vom Klimastreik würden gerne wieder über dir grüne Zukunft und nicht mehr über die fossile Vergangenheit reden. (Foto: David Rutschmann)

Manchmal braucht es klare Statements, schwarz auf weiss. Zum Beispiel, wenn der Klimastreik einen der grössten Gasversorger des Landes, den Gasverbund Mittelland (GVM), in die Mangel nimmt. Am 20. Mai endete das Ultimatum, das die Aktivist*innen dem GVM gesetzt haben: «Sistiert das Projekt eines Flüssiggasterminals im Industrieareal Schweizerhalle bei Muttenz, oder wir machen ordentlich Lärm.»

«Wenn solche grossen fossilen Projekte im Raum stehen, bleibt uns angesichts der Deutlichkeit des Klimasachstandberichts IPCC nichts anderes übrig, als mit einem Aufschrei zu reagieren», sagte Klimastreik-Mediensprecherin Helma Pöppel damals. Deshalb kündigte sie bei Bajour an, einen grossangelegten Protest zu orchestrieren. Auch sie versprach Grosses: «Das Lützerath von Basel». Jetzt kommt wohl alles anders – das Terminal und auch der angekündigte Protest.

Lützewas?

Lützerath war ein Dorf im deutschen Nordrhein-Westfalen. Weil der Energiekonzern RWE unter dem Dorf Braunkohle abbaggern will, wurden die Bewohner*innen sukzessive umgesiedelt. Aktivist*innen aus der Klimabewegung ist das Projekt ein Dorn im Auge, deshalb besetzten sie den Ort während zwei Jahren. «Lützi» wurde im Januar 2023 endgültig geräumt – vorausgegangen war eine grosse Demonstration mit Aktivismus-Prominenz wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer, sowie Scharmützel zwischen Polizei und Demonstrant*innen bei der Räumung.

Pünktlich zum Ablauf der Frist hat der GVM nun in einer Medienmitteilung klargestellt, dass er kein Gaskraftwerk und keinen Gasspeicher plane. Und auch das vieldiskutierte LNG-Terminal (LNG steht für liquified natural gas, also flüssiges Erdgas) sei eben kein LNG-Terminal sondern ein LBG-Terminal – also flüssiges Biogas, das aus Gülle und Kompost gewonnen wird. In der Medienmitteilung wird erklärt:

«Das heisst, dass diese Anlage von Beginn an nur für erneuerbares Flüssiggas und nicht fossiles Flüssiggas genutzt wird. Bei der möglichen LBG-Containeranlage handelt es sich um eine kleine Flüssiggasanlage und nicht, wie teilweise dargestellt, um ein riesiges Terminal für grosse Schiffe, wie man diese von anderen Ländern kennt.»

Wie eine Sistierung des Projekts liest sich das nicht – vielmehr wie eine Erklärung à la: «Ihr habt uns falsch verstanden.» Die Erklärung war aber auch nötig, denn noch an Heiligabend 2022 hatte GVM-CEO Rolf Samer in der Sonntagszeitung Grosses versprochen: Ein LNG-Terminal zur Versorgungssicherheit der Schweiz, Umschlagkapazität 150 Container pro Jahr; ein Gasspeicher mit Fasskraft von 6 Prozent des Wintergasbedarfs der Schweiz. Und vielleicht noch ein Gaskraftwerk dazu?

Schon als Reaktion auf die Ankündigung des Klimastreiks, ein «Lützerath von Basel» heraufbeschwören zu wollen, veröffentlichte er ein Statement «zur Richtigstellung des Artikels in der Sonntagszeitung». Damals klang dann alles nach Kommunikationspanne vonseiten Samer, der Projektumfang und -ziel falsch kommuniziert habe. «Samer hat an Weihnachten die letzten fossilen Muskeln spielen lassen», sagt Helma Pöppel. Im Regionaljournal hiess es damals aber dennoch, dass nicht versprochen werden könne, dass kein fossiles Flüssiggas durch die Leitung fliesst.

Der Klimastreik gab sich deshalb skeptisch, schrie «Greenwashing!» und mobilisierte eine Protestaktion vor dem Hauptsitz des GVM in Arlesheim (Bajour berichtete). In diesem Zusammenhang wurde auch das jetzt abgelaufene Ultimatum gesetzt.

Mit Kreide gegen Flüssiggas

Mit Kreide gegen Flüssiggas

Der Klimastreik mobilisierte Ende März nach Arlesheim, um gegen die LNG-Pläne des GVM zu protestieren. Die Demonstration blieb friedlich, einzig der Boden vor dem Hauptsitz des Gasunternehmens wurde mit Kreidebotschaften vollgekritzelt. Der Tenor war klar: Der Klimastreik will selbst vermeiden, dass Schweizerhalle wirklich zum Lützerath von Basel wird. Lieber könnte man den GVM schon vorher dazu bewegen, die Pläne abzusagen.

Zur Reportage

Man könnte also meinen, dass sich der Klimastreik auch dieses Mal nicht mit dem Statement des GVM begnügen wird und wie angekündigt den Protest weiterzieht. Oder?

Nun, zumindest für den Moment wird eine weitere Eskalation ausbleiben, wie Helma Pöppel sagt. Sie bestätigt in diesem Zusammenhang, dass in der Zwischenzeit Gespräche zwischen dem GVM und dem Klimastreik stattgefunden haben. «Wir haben Zahlen gesehen. Wir wissen, warum wir uns zurückziehen», sagt sie.

Bedeutet das nun also, dass die Aufregung um ein gigantisches Flüssiggasterminal tatsächlich vergebens war? Eine Kommunikationspanne des GVM, die zu hohe Wellen schlug? Hat der Klimastreik Monate vor der Abstimmung zum Klimaschutzgesetz und zum Muttenzer Windrad auf das falsche Pferd gesetzt? 

Downsizing dank Aktivismus?

Antonia Ossig vom Klimastreik verneint: «Wir wissen nicht, ob wirklich von Anfang an nur ein Biogas-Terminal geplant war – die detaillierten Angaben im Sonntagszeitungs-Artikel sprechen dagegen. Wir gehen deshalb davon aus, dass unser Streik zu einem Downsizing des Projekts beigetragen hat.» Der GVM war am Sonntag nicht für eine Stellungnahme hierzu erreichbar (Update folgt). Aus älteren Medienmitteilungen gehe aber hervor, dass das Projekt bereits als Biogas-Anlage konzeptioniert worden sei.

Dass der GVM nun vor Ablauf des Ultimatums erstmals schwarz auf weiss schreibt, dass die Anlage nicht für flüssiges Erdgas genutzt werden soll, wird somit als Erfolg des Widerstands angesehen. An dieser Aussage will der Klimastreik den GVM nun messen. Man wolle darauf drängen, dass sobald dem Verwaltungsrat das Projekt vorliegt, die Details öffentlich gemacht werden, damit eine sachliche Debatte darüber geführt werden kann, so Pöppel.

Auch der Austausch mit diversen Parteien und Jungparteien im Baselbiet sei erfolgreich gewesen. «Das Netzwerk ist geknüpft, um bei Bedarf wieder gegen den Ausbau fossiler Infrastruktur zu mobilisieren», sagt Ossig. Für den Moment wolle der Klimastreik aber «mit Triumph einen Punkt setzen» – und gleichzeitig wachsam bleiben.

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