Doppelt skandalös: die Frau am Kreuz

Noch bis zum 1. Juli sind in der Galerie Müller die Bilder von Kurt Fahrner zu sehen. Das Gemälde der gekreuzigten Frau hat grosses Aufsehen erregt. Historiker Georg Kreis hat den Fall aufgearbeitet.

Barfi_Affäre1, Kurt Farner
Die «Klagemauer» am 29. April 1959 (links aussen Kurt Fahrner) mit der noch verhüllten «Kreuzigung» .

Das Bild des Malers Kurt Fahrner, das eine an einem Kreuz festgemachte, entblösste Frau zeigt, erlangte grosse Berühmtheit: 1959 wurde es von der Basler Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und während über 20 Jahren unter Verschluss gehalten. Nun zeigt eine Ausstellung in der Galerie Müller, an der Rebgasse 46 in Basel, die Bilder des Aktionskünstlers noch bis zum 1. Juli.

Das Bild mit der gekreuzigten Frau erblickte am 29. April 1959 das Licht der Welt beziehungsweise der zunächst lokalen Öffentlichkeit. Es wird auf dem Basler Barfüsserplatz, auf der «Klagemauer», präsentiert, zunächst noch verhüllt, dann bei Trommelwirbel und Trompeten- und Klarinettenklang feierlich enthüllt.  

Doch nur wenig später verladen fünf behelmte Polizisten das Gemälde in einen Kastenwagen. Die Polizei greift wohl wegen des symbolischen Gehalts des Gemäldes ein und nicht wegen seiner künstlerischen Form.

Damit nicht genug: Die Behörden holen noch weiter aus – mit Verhören, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen von Privatkorrespondenzen, von Fotoapparaten und Tonbändern, mit Telefonkontrollen und einem Gang zum Gericht. Die Intervention kommt nicht von Leuten, die sich direkt betroffen gefühlt haben könnten, sondern von der Staatsanwaltschaft. Diese glaubt zu wissen, welche Sensibilität geschützt werden muss. Sie ist, wie auch ihr Rekurs an eine weitere Instanz zeigt, die treibende Kraft.

Eine Reihe von Gerichtsurteilen

Fahrner wird wegen Veröffentlichung einer unzüchtigen Darstellung und Verletzung religiöser Gefühle verurteilt. Sein Rekurs ist zunächst erfolgreich, das Appellationsgericht spricht ihn am 23. Oktober 1959 frei. Dagegen rekurriert die Staatsanwaltschaft mit einer Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht, und dieses fordert eine Neubeurteilung des Falls. Die oberste Gerichtsinstanz der Schweiz stellt am 26. Februar 1960 in ihrem Urteil nicht auf die Absicht des Künstlers (einen allfälligen Angriff auf den Glauben) ab, es stützt sich auf das angenommene «Durchschnittsempfinden» der Anhänger des betroffenen Glaubens und erkennt in der Darstellung eine «grobe Entwürdigung des Christuskreuzes». Basel muss den Fall neu beurteilen: Fahrner wird am 7. Juni 1960 doch noch zu einer Busse von 100 Franken verurteilt – das Bild bleibt beim Staat verwahrt.

Man raubt dem Künstler einen Teil seiner Wirkung, und nimmt den Bürgern das Recht, das für Fahrner sein Schaffen zentrale Bild zu betrachten.

von Hansjörg Schneider, Schriftsteller

Die öffentliche Meinung ist gespalten: Auf der einen Seite gibt es Verständnis und sogar Anerkennung für das künstlerische Schaffen, auf der anderen den Vorwurf, christliche Grundwerte würden unterhöhlt. Jean-Christophe Ammann, Konservator der Basler Kunsthalle, bemüht sich ohne Erfolg, das Bild für eine Luzerner Ausstellung freizubekommen. Doch ohne formelle Revision des Gerichtsurteils geht das nicht. Er muss sich mit einem Foto im Katalog begnügen. Als Fotografie ist das Bild vorher und nachher mehrfach verbreitet worden.

Nicht erstaunlich: Während des gesellschaftlichen Aufbruchs von 1968 fühlt sich Fahrner ermuntert, in einem Rundschreiben auf die frühere Aktion zurückzukommen und das noch immer konfiszierte Bild zurückzufordern. Er droht mit einer Unterschriftensammlung oder mit Hungerstreik. Doch es bewegt sich nichts. Fahrner versteht es hingegen als seine Aufgabe, sich für Werke anderer Künstler einzusetzen, die in Basel (wie im Fall von Michael Grossert oder Josef Beuys) auf vehemente Ablehnung gestossen sind. 

Veränderte Anschauungen

Was «1968» noch nicht zustande gekommen ist, tritt erst Ende 1979/Anfang der 1980er-Jahre ein: Eine Welle von Wortmeldungen gegen die Repression von 1959/60 sorgt für einen Stimmungsumschwung und belegt diesen zugleich. Der Schriftsteller Hansjörg Schneider macht den Anfang: Die Vorenthaltung des Bildes sei mehr als ein Schildbürgerstreich, nämlich eine «demütigende Schande» für Basel. Man raube dem Künstler einen Teil seiner Wirkung, und man nehme den Bürgern das Recht, das für Fahrner sein Schaffen zentrale Bild zu betrachten – «das Recht, die Bilder anschauen zu dürfen, die ich will». 

Die Mehrheitsverhältnisse der gesellschaftlichen Einstellungen ändern sich bis 1980 so weit, dass man mittlerweile eher die obrigkeitliche Reaktion als Skandal taxiert. Einerseits erfahren in diesen Jahren die Schranken des Tolerierbaren eine deutliche Erweiterung und damit auch die Kunstfreiheit. Andererseits ist die Rücksichtnahmen auf religiöse Gefühle zurückgegangen. Skandal ist, worüber wir skandalisiert sind.

 

Es besteht ein «berechtigtes Bedürfnis» für eine Freigabe des Bildes. 

von Peter Noll, Strafrechtsprofessor

Aus den vielen Wortmeldungen ragt diejenige des Strafrechtsprofessors Peter Noll hinsichtlich argumentativer Substanz wie auch Ausführlichkeit heraus. Er fordert die entscheidenden Instanzen auf, ihr Urteil auch in einem grösseren historischen Zusammenhang zu stellen und sich zu überlegen, wie viele klassische Kunstwerke von der urgeschichtlichen bis zur heutigen Zeit nicht mehr vorhanden wären, wenn jede Zeit diejenigen Darstellungen vernichtet hätte, die ihren gerade geltenden moralischen oder religiösen Überzeugungen widersprochen hätten. Noll vertritt die Auffassung, dass ein «berechtigtes Bedürfnis» für eine Freigabe des Bildes bestehe. 

Auf Antrag von Fahrners Angehörigen befasst sich das Appellationsgericht mit der Frage, ob die Konfiskation des Bildes endgültig sei, und gibt das Bild mit Urteil vom 29. August 1980 schliesslich frei. Es bezahlt sogar eine Parteientschädigung von 1500 Franken. 

Fahrner erlebt die Freigabe nicht mehr, er stirbt im September 1977 mit 45 Jahren überraschend an einem Herzinfarkt. Das «Skandalbild» hat ihm eine gewisse Bekanntheit gegeben, es hat aber auch die Sicht auf sein gesamtes Schaffen verdeckt.

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