«Wir wollen keine Sprachpolizei werden»
Auf dem Bajour-Podium vor rund 130 Zuschauerinnen kamen der Basler Autor Alain Claude Sulzer und die Basler Kulturbeauftragte Katrin Grögel zu Wort. Am Ende der emotionalen Diskussion rund um die Zensurvorwürfe im Literaturbetrieb gab es einen Handschlag – echten Frieden jedoch nicht.
«Frau Grögel, wer war der Absender?», möchte Bajour-Redaktorin Andrea Fopp von der Basler Kulturbeauftragten Katrin Grögel wissen und erinnert das Publikum, dass die ganze Debatte um Zensur-Vorwürfe im Literaturbetrieb mit einem Brief begonnen hatte. Mit einer E-Mail der Literaturförderung beider Basel an den Autoren Alain Claude Sulzer, der aufgefordert wurde, Kontext zu liefern. Sulzer hatte in seinem Manuskript mehrfach das Wort «Zigeuner» verwendet.
Grögel führt aus, über die Verantwortung des Amts, und darüber, dass die Diskussion sich um das Verhältnis von zwei Grundrechten drehe: Kunstfreiheit und Diskriminierungsverbot. Die Kulturbeauftragte räumt ein: «Die Verantwortung für den Brief liegt bei Esther Roth und mir.» Esther Roth, das ist Grögels Kollegin aus Baselland, mit der sie die Literaturförderung beider Basel verantwortet*. Grögel wolle ausserdem richtig stellen, dass mit dem Brief kein Entscheid über die Förderung ausgesprochen wurde. Der Fachausschuss habe eine Empfehlung gemacht, die sie und Roth nicht befriedigt habe, deshalb sei die Nachfrage an Autor Sulzer gefolgt. «Wir waren in diesem Fall der Meinung, es braucht eine Ergänzung und Kontextualisierung.» Der Fachausschuss habe jedoch nichts von dem Brief gewusst. «Da ist uns richtig ein Fehler passiert», räumt Grögel ein. Sie hätten später informieren wollen, aber Sulzer kam ihnen mit seinem Gang an die Medien zuvor. Er zog sein Gesuch gleichzeitig zurück.
So viel zum Brief. Kommen wir zum Beef.
«Wer das nicht versteht, versteht nichts von Literatur.»Alain Claude Sulzer, Autor
Sulzer erklärt, als er die E-Mail bekommen habe, habe er davon ausgehen müssen, dass sie vom Fachausschuss kommt – «fälschlicherweise», wie er sagt. Wenn dort gestanden hätte, dass die Nachfrage vom Amt kommt und nicht vom Ausschuss, «hätte ich wohl nicht anders reagiert, aber anders gedacht», sagt der renommierte Basler Autor. Daraus habe sein – rückwirkend betrachtet – «vielleicht übertriebener Zensur-Vorwurf» resultiert. Aber Sulzer schränkt gleich wieder ein: «Aber es gibt jemanden, der auf verdächtige Dinge schaut, auf die jemand von aussen reagieren könnte. Dann sage ich lieber Nein, ich verzichte, ich begründe nicht neun Seiten eines Textes. Wer das nicht versteht, versteht nichts von Literatur.» Für diese Aussage erntet Sulzer einen kurzen Applaus.
«Als Amtsleiterin trage ich eine gewisse Verantwortung», sagt Grögel, vor sich ihre Notizen, die ihre Worte mit Bedacht wählt, und ihre Behörde eine «Wächterin von übergeordneten Regelungen» nennt. Dazu gehöre, dass «wir unsere Sorgfaltspflicht wahrnehmen und nachfragen nach Kontextualität und der Intention des Autors.» Moderatorin Fopp fragt weiter: Gibt es eine Regel, dass man beim Wort «Zigeuner» nachfragt? Grögel verneint, man frage in vielen Fällen nach und jeweils aus unterschiedlichen Gründen.
«In meiner Wahrnehmung ist es eine Zumutung, wenn der Autor so etwas erklären muss.»Nicola Steiner, SRF-Literaturclub-Moderatorin
Über die Frage, ob sich Literaten überhaupt erklären müssen, scheiden sich die Podiumsgeister. SRF-Literaturclub-Moderatorin Nicola Steiner hat Mühe damit, wenn ein Autor sich legitimieren müsse für etwas, das er einreicht: «In meiner Wahrnehmung ist es eine Zumutung, wenn der Autor so etwas erklären muss.»
Jetzt schaltet sich Tages-Anzeiger-Redakteur Philipp Loser ein. Er sehe, wie solch eine Nachfrage beim Autoren als Zumutung empfunden werden kann. «Andererseits wollte Sulzer etwas vom Staat.» Nämlich mehrere zehntausend Franken.
Womit die Diskussion schlagartig hitziger wird. «Ich konnte ja Nein sagen und ablehnen», sagt Sulzer. Genau das habe er getan. Eine Ablehnung ohne Begründung wäre Sulzer lieber gewesen.
«Es wäre viel einfacher gewesen, einfach Nein zu sagen.»Katrin Grögel, Basler Kulturbeauftragte
«Der Staat will Sicherheit, das kann ich verstehen», sagt Sulzer und wird dann polemisch: «aber dann will ich das wissen und brauche eine Liste mit zu vermeidenden Begriffen», ansonsten könne der Kanton ja nur einen bestimmten Teil des Buchs fördern, nämlich den ohne problematische Wörter.
«Genauso machen wir es nicht», stellt Grögel klar. Es gebe eben keine Liste mit Wörtern, die nicht verwendet werden dürfen. «Wir wollen keine Sprachpolizei werden.» Grögel pocht erneut auf ihre Verantwortung, als Amt nachzuweisen, «dass wir es sorgfältig geprüft haben.» Es stimmt, man hätte einfach ablehnen können. Das habe man aber nicht gewollt, sondern zusätzliche Informationen. «Es wäre viel einfacher gewesen, einfach Nein zu sagen», sagt Grögel und ein Teil des rund 130-köpfigen Publikums feiert sie dafür mit Applaus.
Auf unserem Podium über die Zensurvorwürfe gegen die Literaturförderung beider Basel diskutierten wir mit der Basler Kulturbeauftragten Katrin Grögel und Autor Alain Claude Sulzer über Kunstfreiheit in Zeiten der kulturellen Korrektheit. Verpasst? Hier kannt das Podium in voller Länge nachschauen.
Andrea Fopp kommt zum Vorwurf Sulzers zurück, der Kanton habe Angst vor Kritik und wolle sich absichern. Grögel verneint, sie habe keine Angst, sie stelle sich gern der Debatte und kommt erneut zu ihrem Lieblingswort: Verantwortung. Diese betreffe die ganze Gesellschaft und alle Kulturschaffenden – «das sieht man daran, wie aufgeheizt die Debatten sind».
Zensur? Ein Graubereich.
Seinen Zensur-Vorwurf lässt Autor Sulzer inzwischen nicht mehr so absolut stehen und differenziert: «Es ist für mich ein Graubereich», sagt er. Ihm gehe es um die Stellungnahme, um die man ihn gebeten habe, die führe aus seiner Sicht zu einer «Selbstzensur». Sulzer, preisgekrönter, bekannter Autor, erklärt, andere Autor*innen bräuchten das Geld aus der Förderung vielleicht dringender als er. Genau diese Situation fände er problematisch: Dann würde ein Autor doch das machen, was die Behörde hören will, um das Geld zu bekommen. «Das ist für mich eine gewisse Art der Zensur. Die beginnt nicht erst, wenn jemand ein fertiges Buch verbietet.» Aber man beginne, achtsam mit Wörtern umzugehen.
Ist das Zensur? Der Journalist Loser findet nachvollziehbar, was Sulzer meint und bringt es als «Schere im Kopf» auf den Punkt. Loser fühlt sich an seine Zeit bei der Basler Zeitung unter Eigentümer Christoph Blocher erinnert.
Auch das Publikum meldet sich zu Wort. Buchhändlerin Annemarie Pfister bringt den Umgang mit dem Begriff «Zigeuner» ins Spiel und erwähnt den Gastkommentar des Jenischen Venanz Nobel auf Bajour.
Nobel meldet sich daraufhin aus dem Publikum. Er habe in der Debatte etwas vermisst: «Wir sprechen nicht über das Z-Wort», darüber müsse man aber reden, wenn über so etwas wie Wortlisten diskutiert werde. Nobel findet: «Wenn ein Literat einen Begriff wie Zigeuner benutzt, weiss er, wovon er schreibt. Das ist nicht zu vergleichen mit Hetze unter einem Weltwoche-Artikel.»
Jetzt ist das Podium mittendrin in dem, was die Medien aus dem Fall gemacht haben und welche Diskussionen der Zensur-Vorwurf losgetreten hat.
Loser öffnet den Kontext und warnt davor, vor einem Problem der Literatur-Bubble zu sprechen, «wenn man überlegt, dass die grösste Partei dieses Landes ihren Wahlkampf darauf aufbaut» und spielt auf die Kampagne der SVP an.
Genug Beef
Würden Sie den Brief noch einmal schreiben? Andrea Fopp erinnert an dieser Stelle daran, dass nur zwei Leute auf dem Podium – Sulzer und Grögel – das gesamte Manuskript kennen. «Wir würden den Brief nochmal schreiben, aber anders formulieren», sagt Grögel. Ausserdem würde sie Sulzer vorher anrufen und vorbereiten.
Und was würde Sulzer dann tun? Dieser findet das zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu bewerten: «Keine Ahnung.»
Man merkt, Sulzer und Grögel hatten genug Beef. «Mir reicht es dann jetzt auch», sagt Sulzer. Er und Grögel lachen, schütteln sich die Hände. Ein schönes Bild, ist jetzt Frieden eingekehrt? Nicht ganz, am Schluss bleibt die Erkenntnis: Es gibt noch Diskussionsbedarf. Grögel will sich bald mit den verbleibenden Fachausschuss-Mitgliedern an einen runden Tisch setzen.
* Update 22.6.23: In einer früheren Version stand hier «leitet», es muss aber verantwortet heissen, da Basel-Stadt den Fachausschuss leitet, die Literaturförderung ist jedoch ein bikantonales Gefäss.
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