«Falsche Dinge zu sagen, ist nicht verboten»

Sind «Alternativmedien», die Verschwörungstheorien verbreiten und sich antisemitischer Sprache bedienen, ein Angriff auf die Demokratie? Staatsrechtler Markus Schefer im Interview über politischen Extremismus und die Verantwortung der Öffentlichkeit.

Herr Schefer, wir diskutieren in der Frage des Tages die Expansion eines Mediums (Auf1), das Verschwörungstheorien verbreitet und sich antisemitischer Sprache bedient. Sind solche Medien ein Angriff auf die Demokratie?

Ich würde sagen: Es ist kein Angriff auf die Demokratie, aber es ist ein Problem für die Demokratie. 

Inwiefern?

Eine Grundvoraussetzung der Demokratie ist, dass wir alle offen bleiben für die Infragestellung unserer eigenen Position. Und das sind solche Personen nicht mehr.

Nimmt denn Extremismus in der Schweiz zu?

Das müssen die Berichte des Nachrichtendienstes und der Forscherinnen und Forscher auf diesem Gebiet sagen. Der Nachrichtendienst hat ein Auge auf gewalttätigen Extremismus, nicht allgemein auf Extremismus.

Markus Schefer
Zur Person

Markus Schefer ist Staatsrechtsprofessor der Universität Basel und einer von drei Mitgliedern des Kontrollorgans über den kantonalen Nachrichtendienst Basel-Stadt. Dieses Organ ist schweizweit einzigartig und publiziert einmal pro Jahr einen öffentlichen Bericht.

Manche sagen, dass es in der Schweiz offiziell keine Rechtsextremen gibt, weil es keinen Verfassungsschutz wie in Deutschland gibt, der sie als solche einordnen würde. 

Der Verfassungsschutz ist der Inlandsnachrichtendienst in Deutschland. Grosso Modo macht bei uns der Nachrichtendienst, was der Verfassungsschutz in Deutschland innerstaatlich macht, beschränkt auf gewalttätige Phänomene. Und der gewalttätige Extremismus wird durchaus ins Visier genommen, das sehe ich auch in der kantonalen Aufsicht über den Nachrichtendienst. 

Die Behauptung stimmt also nicht?

Es ist definitiv falsch, zu sagen, dass es offiziell keine Rechtsextremen gibt: Es gibt sie und der Nachrichtendienst beschäftigt sich mit ihnen, soweit sie einen Bezug zur Gewalt haben.

Was ist denn mit nicht-gewalttätigem Extremismus?

Ich wäre sehr skeptisch gegenüber einer Instanz, die generell gewisse Meinungsäusserungen kontrolliert, auch wenn sie extrem sind. Wir haben zum Beispiel während der Corona-Pandemie beobachtet, was alles im Bereich der sogenannten Verschwörungstheorien erzählt wurde. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, die Grundprinzipien der Meinungsäusserungsfreiheit zu verlassen. Sondern wir sollten uns auf das konzentrieren, wo effektiv ein gewalttätiger Hintergrund besteht. 

Warum?

Wegen der Meinungsfreiheit. Falsche Dinge zu sagen, ist nicht verboten. Man vergisst gerne, wie der Grundmechanismus der Meinungsfreiheit funktioniert: Wenn jemand etwas Falsches behauptet, kann dagegen vorgegangen werden, indem man am öffentlichen Diskurs teilnimmt und darauf hinweist, dass das nicht stimmt. Das demokratische Mittel ist die Überzeugung, nicht das Verbot.

Reicht das? Und wenn niemand im öffentlichen Diskurs zum Beispiel auf Hetze hinweist? Ist es nicht auch Aufgabe einer übergeordneten Institution, Extremist*innen in die Schranken zu weisen?

Nein. Die Demokratie ist auf eine lebendige Diskurskultur in der Öffentlichkeit angewiesen; diese Aufgabe darf man nicht an die Behörden delegieren. Wo keine strafbaren Äusserungen in Frage stehen, sind wir alle mit den uns je zukommenden Möglichkeiten aufgefordert, untragbaren Äusserungen entgegenzutreten.

2023-08-09 Frage des Tages-1
Bedrohen rechtsextreme Verschwörungsmedien unsere Demokratie?

Der österreichische Onlinesender «Auf1» will in die Schweiz expandieren. Er hat sich als Leitmedium für Verschwörungsideologien im deutschsprachigen Raum etabliert. Was bedeuten solche Medien für die Demokratie?

zur Diskussion

Kann es für eine Demokratie nicht auch ohne Gewaltbezug bedrohlich werden? 

Es ist völlig alltäglich und wünschbar, dass ein Staat und seine Exponenten im Rahmen des guten Anstands kritisiert und hinterfragt werden. Problematisch wird es eher dann, wenn grosse Parteien systematisch staatliche Institutionen schlecht machen. Zum Beispiel, wenn man dem Bundesrat insgesamt diktatorische Allüren vorwirft. Da erhebt man den Vorwurf, dass sich ein Staatsorgan insgesamt illegitim oder gar illegal verhält. Wenn derartige Kritik über längere Zeit systematisch von einer grossen Partei vorgebracht wird, haben wir ein Problem. 

So geschehen während der Corona-Pandemie von Seiten der SVP.

Da haben wir dann ein Problem der politischen Kultur. Auch hier wieder: Das ist kein Fall für staatliche Repression, sondern wir müssen umso mehr in der Öffentlichkeit dagegen halten. Eine genügend aktive und kritische Bevölkerung, die für die Demokratie einsteht, schützt dagegen, dass die Glaubwürdigkeit systematisch untergraben wird.

Müssen wir uns in der Schweiz denn um unsere Demokratie Sorgen machen angesichts von Verschwörungstheorien und extremistischen Positionen?

Bei einer Demokratie gibt es immer Grund zur Besorgnis, denn sie funktioniert nie perfekt. Wir sind nicht in einer besonderen Krisensituation, aber es gibt Herausforderungen in unserer Demokratie. 

Zum Beispiel? 

Es zeigt sich zum Beispiel, dass die politischen Pole stärker werden und gleichzeitig ihre Bereitschaft gering ist, die Richtigkeit der eigenen Ansichten immer wieder kritisch zu hinterfragen. Die politischen Argumentarien lassen immer weniger Spielraum dafür, dass das Gegenüber auch einen richtigen Punkt haben könnte. Es gibt häufiger rigide Bilder von Richtigem und Falschem, auf beiden politischen Seiten.

Beobachten Sie das jetzt im Wahlkampf?

Ich denke, im Wahlkampf muss man pointiert oder gar etwas kompromisslos argumentieren, sonst wird man nicht gewählt. Man muss sich ja von den anderen abheben. Aber bei sachpolitischen Vorlagen vermisse ich manchmal eine grundsätzliche Offenheit für die Gegenposition. Oder zumindest das Bewusstsein, dass der andere auch ein bisschen recht hat.

Finden Sie diese Herausforderungen für die Demokratie beunruhigend?

Nein, es ist systemimmanent. Eine Demokratie bleibt immer ein Ideal, es gibt immer etwas, das nicht stimmt. Aber das ist auch der Vorteil an einem demokratischen Ideal: Wir können uns immer hinterfragen mit dem Ziel, etwas zu verbessern.

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