Wieder einmal diskutiert die Schweiz über Vereinbarkeit. Ausgelöst hat die Debatte der Fall von Julia Panknin, ehemalige Strategiechefin bei «20 Minuten». Sie schreibt, die Geburt ihrer Tochter sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie berichtet u. a. von Schlafstörungen und Panikattacken. «Ich ignorierte sie, bis plötzlich nichts mehr ging. Ich brauchte ein Jahr, um mich davon zu erholen.» In unserer Leistungsgesellschaft seien die Erwartungen «an uns alle, insbesondere an Mütter» zu hoch. Panknin ist damit nicht alleine. Erst im Frühling gab die Annabelle-Chefredaktorin ihren Posten aus den gleichen Gründen ab. Das Konzept «Kind und Karriere» habe nicht funktioniert, solche Berichte gibt es auch aus anderen Branchen und von Eltern ohne Kaderstellen.
Karriere und Baby: Ein Ammenmärchen?
Kontext
Patriarchale Werte und Strukturen führen zur Erschöpfung
"Arbeitest du noch?" "Wie viele Tage muss das Kind also im die Kita?" Müttern wird andauernd, mal subtil, mal weniger subtil, die Verantwortung für Kinder und Haushalt zugeschoben. Dauernde Schuldgefühle sind das Resultat. Selbst wenn Paare bewusst aufteilen, bleibt viel Mehrarbeit bei den Frauen hängen. Welche männlichen Partner übernehmen z.B. ernsthaft das ganze Kleidermanagement ihrer Kinder? Wer macht die umständliche Organisation der Betreuung in den Schulferien? Hiesige kulturelle Werte müssen sich ändern, und Väter ebenso. Insbesondere aber müssen Strukturen geändert werden, es braucht bezahlbare Kitaplätze mit gut entlöhntem Personal, es braucht Arbeitgeber*innen, die Teilzeit ermöglichen und die Betreuungspflichten der Mitarbeitenden ernsthaft mitdenken. Es muss aufhören, dass Mütter alle strukturellen Probleme persönlich ausbaden müssen.
Warum stellen sich mur Frauen diese Fragen?
Ich verstehe nicht, warum es sich so hartnäckig hält, dass sich nur Frauen diese Fragen stellen, ihr Pensum reduzieren oder ganz hinschmeissen. Es scheint wie eine Selbstverständlichkeit, dass nur Frauen für diesen Teil verantwortlich seien. Warum? Warum stellt sich diese Frage denn nicht den Vätern? Fangen wir doch mal damit an, den Männern gleiches zuzutrauen. Bieten wir auch Ihnen genug die Möglichkeit, Papi-Zeit mit dem Nachwuchs zu verbringen. Ebenso zu reduzieren. Es wird immer davon geredet, dass Familien sich für ihr Modell entscheiden können sollen. In der Realität sind es aber ja nur die Frauen die sich für ein entweder -oder entscheiden. Emanzipation wäre für mich, wenn auch die Väter sich gleichem Masse diese Frage stellen und in gleichem Masse sagen, sie reduzieren oder verzichten eine Weile auf den Beruf.
Teilzeit fördern für mehr Vereinbarkeit
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht einfach. Ich habe das Glück, dass ich einen tollen Arbeitgeber habe, viel Flexibilität geniesse. Es braucht aber ein Umdenken in der Wirtschaft und es braucht unbedingt mehr Teilzeitstellen auch für verantwortungsvolle Aufgaben. Würden mein Partner und ich beide 100 Prozent arbeiten, ginge es nicht. Dadurch, dass beide Teilzeit arbeiten, sind es bei uns nur jeweils zwei Tage in der Woche, die schwierig zu überbrücken sind und das übersteht man auch. Aber nur weil man nicht 100 Prozent arbeiten will, heisst es nicht, dass man nicht gut im Job ist und nicht auch verantwortungsvolle Aufgaben machen kann. Leider ist hier das Angebot bspw. bei 60 Prozent noch immer gleich null. Hier braucht es neue Wege.
Es könnte so schön sein
Vorgeburtlicher Mutterschutz (macht auch für die Unternehmen Sinn. Gibt es in allen anderen europäischen Ländern) und die Möglichkeit für einen sanften Wiedereinstieg in die Berufswelt wären dringende erste Schritte. Aber langfristig, sehe ich zurzeit nur die Bezahlung der Carearbeit als zielführend. Nur dann können Eltern wirklich frei entscheiden, wo sie arbeiten möchten und nur dann wird dieser enorm wichtige, herausfordernde, inspirierende und wunderschöne Job vielleicht endlich als das anerkannt, was er ist.
Umdenken: 2 Massnahmen
1. Kind ins Zentrum: Die meisten Menschen sind die ersten 15 Jahre und die letzten 15 Jahre des Lebens in irgendeiner Form auf Hilfe angewiesen. Wir sind als Gesellschaft in der Pflicht, gute Kinderbetreuung zu gewährleisten. Die Rahmenbedingungen für die externe Kinderbetreuung müssen verbessert werden. 2. Kinderbetreuung ist Management: Der sogenannte «Karriereknick», aufgrund dessen Arbeitnehmer:innen nach einer Erwerbspause zwecks Kinderbetreuung eine Lohneinbusse droht, ist in Frage zu stellen. Kinderbetreuung ist eine Management-Erfahrung und sollte als Berufserfahrung angerechnet werden.
Bessere Rahmenbedingungen
Karriere und Kinder zu vereinbaren ist eine alltägliche Herausforderung für viele Eltern in diesem Land. Wenn die Rahmenbedingungen besser wären, wäre es wesentlich einfacher. Namentlich: erschwingliche Kinderbetreuungsinfrastrukturen, eine Elternzeit zu gleichen Teilen, verlässliche Tagesstrukturen. Und es würde unserer Wirtschaft, dem Fachkräftemangel und unserem Wohlergehen dienen, weil wir ja schliesslich ein Interesse daran haben, dass Eltern erwerbstätig sein können.
Das Märchen von der Karriere
Das Ammenmärchen an der Geschichte ist die Karriere. Während Kinder sehr reale Mitmenschen sind, ist Karriere eine Kopfgeburt für Strebsame. In den wenigsten Unternehmen (ja wirklich, bitte mal nachzählen) gibt es überhaupt nennenswerte Hierarchien, in denen das Wort "beruflicher Aufstieg" einen Sinn ergibt. Die Frage müste eher lauten: Übergriffige Ansprüche an Beschäftigte und Kind? Müssen Unternehmen umdenken? Die Erfahrung zeigt dass Unterstützung für Eltern deren performance, Loyalität und ihren Beitrag zum guten Betriebsklima verbessert. Also vielleicht weniger auf die Möglichkeiten schauen, die ohnehin nur wenigen offenstehen (können), und für die Mehrheit der Arbeitenden denken. Die "Eliten" sind häufiger als andere wohlhabend, gebildet, wohlorganisiert und autonom. Und unter solchen Voraussetzungen, das zeigen sehr zahlreiche Beispiele, klappts (natürlich) gut mit Kindern beruflich voranzukommen.
Bedeutung der Elternzeit schärfen
Als selbständige Unternehmerin weiss ich selbst, was für einen Spagat man zwischen Familie und Beruf oftmals machen muss. Deswegen wünsche ich mir, dass wir das Bewusstsein für die Bedeutung der Elternzeit schärfen und die Unterstützung für Eltern verbessern. Ich bin überzeugt, dass davon langfristig Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen profitieren und sich das positiv auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft auswirkt.
Höchste Zeit für eine echte Elternzeit JETZT!
Frauen sind nach der Geburt oft im Nachteil. In der Schweiz müssen Eltern einen hohen Anteil ihres Einkommens für die Kinderbetreuung ausgeben, was in keinem anderen Land so extrem ist. Zusätzlich haben Frauen nur 16 Wochen Mutterschaftsurlaub und Väter lediglich zwei Wochen - das zeigt deutlich, dass es noch viel Verbesserungsbedarf gibt bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Land. Eine paritätische Elternzeit wäre dringend notwendig zur Förderung von Gleichstellung sowie Stärkung der Volkswirtschaft.
Nein, aber die Wirtschaft muss umdenken.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein wichtiges und brisantes Thema, das immer noch zu wenig Beachtung findet. Um den Fachkräftemangel zu reduzieren, die Gleichberechtigung zu fördern sowie die effektive Betreuungszeit mit den eigenen Kindern zu ermöglichen, braucht es ein Umdenken auf politischer und gesellschaftlicher Ebene.
In erster Linie Frage der Organisation
Mich stört, dass es bei der Diskussion über Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer nur um die Mütter geht. Die Herausforderungen eine Familie zu managen und gleichzeitig berufstätig zu sein sind für Mütter und Väter gleichermassen gross. In erster Linie ist die Vereinbarung eine Frage der Organisation. Diese könnte aber dahin vereinfacht werden, dass in der Schweiz endlich einmal flächendeckende Tagesschulen eingeführt werden.
Immer zu wenig
In einer zerrissenen Gesellschaft ist es schwierig, ein gutes Leben zu führen. Und wer immer noch mehr will, wird immer zu wenig haben.
Viel Vereinbarung ist möglich
Ich glaube nicht, dass es allgemeingültige Antworten gibt. Grundsätzlich denke ich, viel Vereinbarung ist möglich. Am Schluss ist es doch eine Abwägung, was man sich alles zutraut, zu machen – das muss jede Person für sich entscheiden.