Basel-Stadt und die Bundesverfassung von 1848

Die Bundesverfassung hat Geburtstag – eine Gelegenheit sich zu erinnern, wie sie auf die Welt gekommen ist. Sie fiel nicht einfach vom Himmel, sie wurde erarbeitet und in einem mehrstufigen Verfahren gutgeheissen und dann vor genau 175 Jahren in Kraft gesetzt.

Fahnen
Zur Verabschiedung des Verfassungsentwurfs von 1848 brauchte es nicht die Zustimmung aller Kantone. Eine Mehrheit genügte. Basel-Stadt und Basel-Landschaft stimmten dafür. (Quelle: Vincent Ghilione auf Unsplash)

Die Schweiz erinnert sich dieser Tage der Bundesverfassung. Sie wurde vor 175 Jahren in bemerkenswert kurzer Zeit ausgearbeitet und in einer gesamtschweizerischen Kaskade von verschiedenen Abstimmungen angenommen. Am 12. September 1848 – einem Datum, das heute manche anstelle des 1. Augusts zum Nationalfeiertag machen wollen – validierte die sogenannte Tagsatzung, das alte Gesandtenparlament, das Ergebnis der kantonalen Abstimmungen über die neue Bundesverfassung.

15 ½ Kantone (oder 1'897'887 «Seelen») hatten zugestimmt; in 6 ½ Kantonen kamen erwartungsgemäss hingegen keine Mehrheiten zustande. Die halben Stimmen waren diejenigen der Halbkantone.

Die Basler Stellungnahme ist das Ergebnis eines Prozesses, an dem verschiedene Akteure beteiligt waren.

Welche Haltung hatte Basel-Stadt eingenommen? Diese Frage ist erstaunlicherweise nicht einfach zu beantworten, in der Literatur finden sich nur dürftige Angaben dazu. Selbst das Datum der Basler Volksabstimmung lässt sich nicht einfach feststellen. 

Was wir wissen: Die Basler Stellungnahme ist das Ergebnis eines Prozesses, an dem verschiedene Akteure beteiligt waren. Das waren die Regierung, d.h. der Kleine Rat, der Grosse Rat, und  schliesslich die Bürger in der dazu angesetzten Volksabstimmung. Begleitet wurde dieser Prozess von verschiedenen Zeitungen, zudem brachten auch eminente Rechtsexperten ihre Meinungen ein.

Etappen des Basler Entscheidungsprozesse

Aus dem «Allgemeinen Intelligenzblatt der Stadt Basel» geht hervor, dass die Regierung am 3. August 1848 trotz ihrer konservativen Zusammensetzung dem Parlament die Gutheissung des Verfassungsentwurfs empfahl. Am 7. August folgte der Grosse dem Kleinen Rat mit einer deutlichen Mehrheit von 66:5 Stimmen dieser Empfehlung, und am 17. August bestätigte das Volk mit einer Zustimmung von 88 Prozent den Vorentscheid des Parlaments. Basel-Landschaft, besonders fortschrittlich eingestellt, hatte zuvor ein noch besseres Resultat erzielt: 89,5 Prozent.

Ist von Volksabstimmungen die Rede, lässt uns das an grosse Zahlen denken. An der Abstimmung zur Bundesverfassung nahmen aber lediglich 1550 Basler Bürger teil (1364 zustimmend, 186 ablehnend). Es gab insgesamt bloss etwa 2'130 Stimmberechtigte. 

Das Ergebnis wurde nach Quartieren ausgezählt, es zeigten sich aber kaum Unterschiede in den Ja- und Nein-Anteilen, etwa im Vergleich zwischen dem Grossbasler St. Alban- und dem Kleinbasler St. Bläsiquartier.

Georg Kreis
Zum Autor

Georg Kreis ist Historiker und emeritierter Professor für Neuere Allgemeine Geschichte und Geschichte der Schweiz an der Universität Basel. Bis Mitte 2011 leitete er das Europainstitut Basel und bis Ende 2011 präsidierte er die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR).

Anders als in Baselland waren die in der Stadt niedergelassenen ausserkantonalen Bürger nicht zur Abstimmung zugelassen. Es war abzusehen, dass die in der Bundesreform vorgesehene Erteilung des Stimmrechts an die in der Stadt niedergelassenen Schweizer – immerhin ein drittel der Männerwelt im Stimmrechtsalter –, das Lager der freisinnigen Opposition verstärken wird. 

Anhänger der Revision hatten sich vor der Abstimmung besorgt gefragt, ob die in anderen Kantonen sich manifestierende Teilnahmslosigkeit «bei diesem wichtigen Akt» auch in Basel zu spüren sein werde.  Nach der Abstimmung wurde die Beteiligung mit derjenigen am kantonalen Plebiszit zur kantonalen Verfassung vom 8. April 1847 verglichen und dann mit Beruhigung festgestellt, dass jene nicht stärker beachtet worden sei, so dass «der Vorwurf der Gleichgültigkeit in schweizerischen Angelegenheiten» nicht angebracht sei.

Argumente dafür und dagegen

Das Basler «Intelligenzblatt» befürwortete die Verfassungsreform und ermunterte die Basler Bürger mit Nachrichten über Zustimmungen in anderen Kantonen.

Im Falle eines Scheiterns des Revisionsprojekts gäbe es keine valable Alternative, hiess es aus dem Grossen Rat, und es müsste mit nicht absehbaren Unruhen gerechnet werden. Zudem würden die in ganz Europa ausgebrochenen Unruhen zeigen, wie wichtig es sei, dass der politische Aufbruch in der Schweiz in friedlichen Bahnen verlaufe. 

Dezidierte Gegner gingen hingegen davon aus, dass das Reformprojekt keinen Bestand habe und schon bald nach anderen Staatsmodellen gesucht werden müsse. Die Konservativen würden sich mit der Zustimmung ihr eigenes Grab schaufeln, der jetzige Schritt sei bloss ein Übergang vom Föderalismus zum Einheitsstaat. Hinter der Reform stecke die Lust nach Veränderung und Revolution. Und die Reform mache Basel nicht stärker, sondern schwächer.

Die Verhältnisse in Basel waren bestimmt durch den Gegensatz zwischen den konservativ-liberalen Inhabern der Macht und den freisinnigen Kräften, die damals radikal-liberal eingestellt und noch in der Minderheit waren. Die Konservativen lehnten eine vollständige Bundesrevision ab, mussten sie doch damit rechnen, dass diese zu einer Einschränkung der kantonalen Unabhängigkeit und zu einem Ausbau des freisinnigen Einflusses führen wird. 

Hinter der Reform stecke die Lust nach Veränderung und Revolution.

Anfänglich vertrat auch Basel, wie zum Beispiel das erzkonservative Schwyz, die Meinung, dass die Bundesrevision nur einstimmig und nicht nach dem Mehrheitsprinzip durchgeführt werden könne. Schliesslich gab man halbwegs nach, um sich nicht von der Mehrheit der reformwilligeren Kantone abzusondern. Während der basellandschaftlich Gesandte in der Vorberatung den Reformentwurf der Tagsatzung guthiess, enthielt sich der basel-städtische Gesandte der Stimme. 

Es war ausserdem damit zu rechnen, dass das protestantische Basel einem verstärkten Zustrom von Katholiken ausgesetzt sein werde. Ihnen wollte man zwar Religionsfreiheit, nicht aber Kulturfreiheit gewähren. Der ausschliesslich reformierte Grosse Rat überliess den Katholiken erst 1858 die Clarakirche (als vorerst einzige Örtlichkeit) zur Nutzung.

Versöhnliche Note

Basel war grundsätzlich an der Liberalisierung des Warenverkehrs interessiert. Die Aufhebung der Binnenzölle war erwünscht. Nicht willkommen war hingegen die Einführung eines nationalen, die lokalen Einnahmen schmälernden Aussenzolls. Die Vereinheitlichung des Münzwesens wurde begrüsst, die Nationalisierung des Postwesens aber abgelehnt, weil man nicht einen gut funktionierenden kantonalen Betrieb gegen eine unsichere gesamtschweizerische Lösung eintauschen wollte.

Die konservativen «Basler Nachrichten», würdigten das Schlussergebnis der kantonalen Abstimmung mit einer bemerkenswert versöhnlichen Note: Jetzt, da wieder stabile Zustände eingetreten seien, solle sich alle Mitbürger «ohne alle Rückgedanken in das Neue» fügen und konstruktiv am Aufbau des Bundesstaats beteiligen. In diesem Sinn stellten denn auch hochkompetente Basler Experten wie Johann Jakob Speiser, Achilles Bischoff und Benedikt La Roche ihr Wissen und Können dem neuen Bund zur Verfügung.

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