Genie am Schlagzeug

In Kalifornien hörte ein Professor einen Jungen in einer Kirche Schlagzeug spielen, zwölf Jahre später tritt Genius Wesley in Basel auf. Der junge Musiker erzählt von Begegnungen mit den Jazz-Grössen der Gegenwart, einem unkonventionellen Weg in die Schweiz und einer nomadischen Kindheit in der Musikszene San Franciscos.

Wesley am Schlagzeug in der Bar "Schall und Rauch"
Wesley im Trio in der Bar Schall und Rauch.

Das Renée in Kleinbasel ist an diesem Freitagabend voll. Jazzmusik spielt in der Bar, das Saxophon und Schlagzeug klingen in den Innenhof. Am Schlagzeug sitzt Genius Wesley. Er hat den Kopf gesenkt, ist in seine Musik vertieft. Draussen regnet es. Im Raucherzimmer und an der Bar versammeln sich Studierende, Arbeitende nach Feierabend, Jazzliebhaber*innen. «Ich glaube, ganz Basel ist hier», sagt ein älterer Mann am Tresen zu seiner Begleitung.

Genius Wesley stellt sich als Kalifornier vor, wenn man ihn fragt. Er lebt seit zwei Jahren in Basel, studiert an der Musikakademie und tritt mit seinem Trio in der ganzen Stadt auf. Wesley stammt aus Oakland, der Heimatstadt von Jack London und Kamala Harris, die gegenüber San Francisco in der kalifornischen Bay Area am Pazifik liegt. Von Basel kannte er nur die Kunstmesse Art, er hatte seine Zukunft in der kalifornischen Jazzszene geplant. Dann besuchte Ambrose Akinmusire, Professor an der Musikschule Basel und ein renommierter Trompetenspieler, Wesleys Auftritte in San Francisco, schaute ihm zu. Die beiden freundeten sich an. «Ich könnte dich in die Schweiz bringen», meinte Akinmusire zu ihm. «Okay», sagte Wesley.

Die Begegnung war die letzte einer Reihe von Entdeckungen. Als «a prodigy jazz drummer», als Wunderkind, beschrieb ihn die YMCO, die young musicians collective – ein ehemaliges Programm der Universität Berkeley, an dem Wesley als Kind teilnahm – Jahre später. Der Jazzpianist William Bell, einer der Gönner der YMCO, hatte Wesleys Aufnahme in das Programm organisiert, nachdem er den damals achtjährigen Jungen in einer Kirche spielen hörte. Bell, in Kalifornien bekannt als «The Jazz Professor», unterrichtete Jazz an den Universitäten Stanford und Berkeley und gilt als renommierter Musikpädagoge. Eine Zufallsbegegnung, die einen der Grundsteine für Wesleys Karriere legte.

Jazz-Vinyl in Kalifornien
Jazz Vinyl in einem Musikladen in Kalifornien

Zur Musik hatte Wesley ein Jahr davor gefunden. Als er sieben Jahre alt war, kaufte seine Mutter ihm ein Schlagzeug, damit der unruhige Junge aufhörte, an die Wände zu hämmern. Wie er als Kind vom Üben im Wohnzimmer zu öffentlichen Auftritten kam, das weiss Wesley heute nicht mehr. Sein Vater habe einfach «gut geredet», sagt er, sei damit an die richtige Person geraten. Und so fing der Junge an, Konzerte zu geben, in den umliegenden methodistischen Kirchen beim Gospel, im Marriott Hotel in San Francisco. Dann begegnete ihm Bell.

Wesleys Aufnahme in das YMCO verzögerte sich nach der Trennung des Programms von Berkeley. In der Zwischenzeit organisierte Wesleys Vater ihm einen privaten Schlagzeuglehrer – einen Rockmusiker und Schallplattenverkäufer namens Jason – und liess seinen Sohn bei Oaktown Jazz vorspielen, einem Jazz-Programm in Oakland für junge Musiker. Wesley, damals erst acht Jahre alt und für eine Aufnahme eigentlich zu jung, wurde sofort angenommen. «Das war der Anfang davon, dass ich Jazz spielte, Jazz im Besonderen», erzählt er. «Und ich dachte, das ist grossartig. Das ist das, was ich machen will.»

Wesley als Kind bei Oaktown Jazz
Wesley als Kind im Oaktown Jazz.

Wesley erinnert sich an seinen ersten festen Gig: In San Franciscos historischem Club de Luxe an der 8th Street. Er war zwölf. «Sie hatten dort immer Livemusik und Pizza und eine volle Bar. Wahrscheinlich hätte ich dort gar nicht spielen dürfen.» In Kalifornien dürfen unter 21-jährige Bars nicht betreten. «Du läufst da rein, in diese volle Bar, biegst nach links ab, und dann kommst du zur Bühne. Sie hatten einen grossen Flügel und zwei Schlagzeugsets in der Ecke.» Über zwei Jahre lang spielte er jeden Mittwochabend im Club de Luxe das frühe Set, von sechs bis neun Uhr. 

«Ich spielte Jazz, damals», erzählt Wesley über diese Zeit, «aber ich hörte nicht wirklich Jazz. Alle diese Lieder, die ich heute kenne – ich denke daran, wie ich das damals spielte. Ich wusste damals gar nichts, ich spielte einfach. Ich hatte kein Bewusstsein für irgendetwas, es war einfach ich.» Der Club sei immer voller Musiker*innen und Künstler*innen gewesen, alle älter als Wesley. Er freundete sich mit ihnen an, sie vermittelten ihm andere Gigs. «Da wusste ich, ich will Musik zu meinem Beruf machen.»

Mit Dreizehn brach er die Schule ab. Die Middle School hatte er noch abgeschlossen, knapp. In der letzten Schulwoche sei er suspendiert worden, sein Zeugnis wurde ihm per Email zugeschickt. Die anderen Kinder hatten ihn wenig interessiert, gleichaltrige Freunde hatte er keine. «Alle meine Freunde, mit denen ich Jazz spielte, waren doppelt so alt wie ich», erzählt er. «Ich sah, dass sie ihren Lebensunterhalt mit Musik verdienten, und ich dachte, das kann ich auch.»

Ab Vierzehn tourte Wesley durch die ganze Bay Area. Jede Woche fünf Gigs, er verdiente gut damit. «Die Jazz-Szene in Kalifornien ist wie ein Spinnennetz», sagt er, mit einem fixen Gig sei es einfach, dort reinzukommen. «Aber ich war so jung damals, man rief einfach meinen Vater an.» 

Die Oakland Bay Bridge
Blick auf die Oakland Bay Bridge

Wesley spielte mit Jazz-Grössen wie Sean Jones, Geechi Taylor, Marcus Shelby. Mit Faye Carol, einer Sängerin aus Mississippi, trat er monatlich in San José auf. Mit ihrem Quintett verliess Wesley das reine Jazzgenre: Diese Gruppe spielte alles, Aretha Franklin, Duke Ellington, Stevie Wonder. Er erweiterte sein Repertoire. «Ich traf so viele unterschiedliche Leute, erlebte so viele verschiedene Situationen», erzählt er begeistert.

Die Bay Area sei voller Musiker*innen, die wie er ihre ersten Gigs als Teenager hatten und dann mit Dreissig, Vierzig immer noch durch die Hafenstädte touren. «Ich war bereit, das auch zu tun», sagt Wesley. Er sparte Geld, plante einen Umzug nach San Francisco, wollte dort neben den Auftritten Privatschüler unterrichten. Dann kam die Begegnung mit Akinmusire. «Er kam manchmal vorbei, wenn ich einen Gig hatte, und stand etwas abseits, immer im Schatten. Ich hatte zuerst keine Ahnung, wer er war.» Der renommierte Jazztrompeter kontaktierte ihn, sie planten gemeinsame Auftritte. «Ich glaube, er mochte mich, oder er sah etwas in mir.» 

Akinmusire fing an, in Basel zu unterrichten, setzte Wesley in Kontakt mit dem Campus in der Utengasse. Der Teenager organisierte seine Dokumente, besorgte sich einen Pass. «Ein paar Tage vor meinem neunzehnten Geburtstag bekam ich den Bescheid, dass ich nach Basel gehe.» Wesley spielte am selben Abend in einem Weingut, wurde gut bezahlt, ein paar Tage zuvor hatte der Lockdown in Kalifornien geendet. «Ich dachte, jetzt wird alles gut. Ich war voller Hoffnung.»

Wesley am Schlagzeug in Basel
Wesley in Basel

Das ist zwei Jahre her. Vor seinem Studium in Basel hatte Wesley den Bundesstaat Kalifornien nur einmal verlassen, für eine Reise nach Las Vegas. In den letzten zwei Jahren ist er durch ganz Europa getourt, ging nach Israel für ein Konzert. «In Basel bist du im Zentrum Europas, du triffst all diese Leute mit unterschiedlichen Hintergründen, all die Kultur, man lernt so viel», sagt Wesley über seine Wahlheimat. «Alle reisen hier durch und du triffst lauter internationale Künstler.»

In Basel habe er gelernt, «mit Leuten zu sprechen», habe sich persönlich und musikalisch weiterentwickelt. Seine Mitstudent*innen, die selbst oft einen internationalen Hintergrund haben, integrierten ihn sofort, sagt er. «Ich habe das Gefühl, ich bin schon ewig hier, weil ich Freunde gefunden habe und nie einsam war.» Die Basler Jazzschule sei eine der besten in Europa, schwärmt Wesley, mehrmals im Monat unterrichten amerikanische Musiker am Campus: Mark Turner, Larry Grenadier, Jeff Ballard. 

An ein paar Dinge in der Stadt musste sich Wesley aber erst gewöhnen, zum Beispiel, dass die Läden am Sonntag geschlossen sind und daran, dass alles auf Deutsch ist. Aber trotzdem. «Ich glaube, im Moment ist Basel der beste Ort, an dem ich sein könnte.»

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