Management by Excel: Stellenabbau bei Tamedia

Tamedia will landesweit sechs Millionen Franken einsparen und baut deshalb fast 50 Arbeitsplätze ab. Der Medienkonzern begründet die Sparrunde mit einem Rückgang bei den Printabos. Bloss: So, wie Tamedia heute rechnet, hätten gedruckte Zeitungen nie rentiert.

Das Logo des Tages-Anzeigers am Gebaeude der TX Group und Tamedia an der Werdstrasse, aufgenommen am Donnerstag, 21. September 2023 in Zuerich. Tamedia hat im Rahmen eines Sparprogramms am Donnerstag einen Stellenabbau bei seinen Deutschschweizer Medien angekuendigt. Bis zu 20 Stellen soll abgebaut werden. Bereits am Mittwoch wurde der Abbau von 28 Stellen in der Romandie angekuendigt. (KEYSTONE/Michael Buholzer)
Das Logo des Tages-Anzeigers am Gebäude der TX Group an der Werdstrasse in Zürich.

Nachrichten über Stellenabbau in den Medien sind mittlerweile so selbstverständlich wie Staumeldungen oder Warnungen vor Starkregen. Und wie bei den Staumeldungen besteht die Gefahr, dass man gar nicht mehr richtig hinhört. Man registriert nur noch Textbrocken: Tamedia muss sparen. Print rentiert nicht mehr. Digitalmarkt wächst nicht schnell genug.

Das alles haben wir schon so oft gehört, dass wir die Nachricht schon abhaken, bevor sie zu Ende ist. Aber wie war das noch mal? Schauen wir uns die Sache genauer an.

Die Erosion im Printmarkt

Die Verantwortlichen von Tamedia begründen den Stellenabbau in der ganzen Schweiz mit der Erosion im Printmarkt, also damit, dass Umsatz und Ertrag der gedruckten Zeitungen schrumpfen. Gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS sagte Andreas Schaffner, Geschäftsleiter Bezahlmedien bei Tamedia, es sei fast unmöglich, jemandem unter 30 Jahren ein Printabonnement zu verkaufen. Diese Erosion werde sich fortsetzen.

Um ein Printabo zu kompensieren, brauche es zwei digitale Abos. Das sei eine Herkulesaufgabe. «Wir werden es nicht schaffen, diesen Umsatzverlust zu kompensieren. Wenn wir nicht reagieren, werden sich unsere Ergebnisse noch weiter verschlechtern», sagte er. Das klingt vernünftig: Tamedia muss Kosten einsparen, weil die Digitalerlöse nicht schnell genug wachsen, um die sinkenden Erträge aus dem Printgeschäft zu kompensieren.

Bloss: So, wie Tamedia heute rechnet, hätten gedruckte Zeitungen nie rentiert. Gedruckte Zeitungen waren immer ein Bündel von Geschäften. Eine gedruckte Zeitung hatte drei grosse Einnahmequellen: Abonnenten, Werbung und Rubrikenanzeigen. Über den Daumen gepeilt, verteilten sich die Erträge etwa gleichmässig über die drei Einnahmequellen: 30 Prozent der Erträge stammten aus dem Nutzermarkt, also von den Abonnenten, 70 Prozent aus dem Werbemarkt, der sich je zur Hälfte aus Werbeanzeigen und Rubrikenanzeigen zusammensetzte.

Wo sind die Umsätze hin?

Die Digitalisierung hat dieses Geschäft verändert. Innerhalb weniger Jahre sind die Rubrikenanzeigen ins Internet abgewandert: Wohnungen, Stellen und Autos werden heute nicht mehr über Anzeigen verkauft, sondern über grosse, digitale Marktplätze.

Etwas langsamer wandert auch die klassische Werbung ab ins Netz: Grosse Werbekampagnen werden heute zumindest auch digital geschaltet. Das bedeutet: Die klassischen Medienhäuser haben von diesem 70-Prozent-Kuchen aus dem Werbemarkt einen grossen Teil der Einnahmen an die digitale Welt verloren.

«Etwas überspitzt formuliert, hat die TX Group die Profitcenter, also die Firmen mit den stark wachsenden Digitalumsätzen, in die eine Schublade gesteckt, und die Costcenter, also die Firmen, die viel Geld für hochwertige Inhalte ausgeben, in eine andere Schublade.»

von Matthias Zehnder

Da stellt sich natürlich die Frage, an wen diese Medienhäuser ihre Umsätze verloren haben. Drei Unternehmen sind die grossen Gewinner in der Schweiz. Beginnen wir mit den digitalen Marktplätzen. Die grössten Immobilienmarktplätze sind Homegate, ImmoScout24 und ImmoStreet. Bei den Autos sind es CarForYou und AutoScout24 und bei den digitalen Flohmärkten Tutti.ch und Ricardo. Alle diese Marktplätze gehören demselben Unternehmen: der SMG Swiss Marketplace Group. Sie können sich vorstellen, wieviel Geld diese Firma in der Schweiz verdient. Bloss Stellen vermarktet diese Firma nicht.

Jobs.ch, die wichtigste Stellenplattform der Schweiz, gehört der Firma JobCloud. Das ist das führende digitale Unternehmen im Schweizer Rekrutierungsmarkt. Und wohin ist die Werbung abgewandert? Die grösste Werbevermarkterin der Schweiz ist die Goldbach Gruppe: Die Firma Goldbach Group AG vermarktet und vermittelt Werbung in TV, Radio, Print, Online, Mobile und auf Plakaten. Im digitalen Bereich ist Goldbach die mit Abstand wichtigste Vermarkterin in der Schweiz.

Die Mutter und ihre Töchter

Die SMG Swiss Marketplace Group, die JobCloud AG und die Goldbach Group AG sind also die drei grossen Gewinnerinnen der Digitalisierung im Schweizer Medienmarkt. Sie machen jene Umsätze, die den Medien von Tamedia heute fehlen.

Die SMG Swiss Marketplace Group, die JobCloud AG und die Goldbach Group AG gehören alle demselben Unternehmen. Es heisst TX Group AG. Diese Firma hat noch weitere Tochtergesellschaften. Eine dieser Töchter heisst Tamedia Publikationen Deutschschweiz AG, eine andere heisst 20 Minuten. In diesen beiden Töchtern sind die Bezahlzeitungen und die Gratiszeitungen der TX Group zusammengefasst.

Wenn Tamedia also bedauert, dass sich Print nicht mehr rechnet, dann vergiesst die Firma Krokodilstränen: Das Unternehmen hat seine verschiedenen Firmenschubladen so organisiert, dass die klassischen Medien dabei ganz schlecht aussehen. Etwas überspitzt formuliert, hat die TX Group die Profitcenter, also die Firmen mit den stark wachsenden Digitalumsätzen, in die eine Schublade gesteckt, und die Costcenter, also die Firmen, die viel Geld für hochwertige Inhalte ausgeben, in eine andere Schublade.

Es wäre auch eine ganz andere Konstruktion denkbar. Es gibt kein Naturgesetz, das die Firma dazu zwingt, sich in genau diese Kompartimente aufzuteilen. Sie könnte, wie die klassischen Medienhäuser das gemacht haben, mit den Digitalumsätzen auch weiterhin den Journalismus finanzieren.

«Würde die TX Group mit den Einnahmen aus den Marktplätzen den Journalismus quersubventionieren, wie es die klassischen Verlage jahrzehntelang gemacht haben, würde sie weniger Gewinn machen.»

von Matthias Zehnder

Warum tut die TX Group das nicht? Die Antwort ist wohl: Weil die Firma nicht dem Journalismus, den Schweizer Medien oder dem Gemeinwohl verpflichtet ist, sondern ihren Aktionären. Würde die TX Group mit den Einnahmen aus den Marktplätzen den Journalismus quersubventionieren, wie es die klassischen Verlage jahrzehntelang gemacht haben, würde sie weniger Gewinn machen.

Verstehen Sie mich richtig: Das ist nicht verboten. So funktioniert das mit diesem Kapitalismus. Bloss lässt es die Mitteilungen über den Stellenabbau in einem anderen Licht erscheinen. Statt den Stellenabbau mit der Erosion im Printmarkt zu begründen, müsste die Firma ehrlicherweise sagen: Uns ist der Gewinn, den wir mit digitalen Marktplätzen und der Werbevermittlung erzielen, wichtiger als Medieninhalte. Wir wollen uns deshalb Medien nicht länger leisten, wir verlangen auch von unseren Zeitungen eine Rendite, sonst stellen wir sie halt ein.

Die Strategie im digitalen Markt

Noch ein zweiter Punkt gibt mir zu denken: die Strategie im digitalen Markt. Laut «persoenlich.com» sagte Mathias Müller von Blumencron, der bei Tamedia verantwortlich ist für Publizistik und Produkte: Die Redaktionen müssten sehr sorgfältig überlegen, was der Kern des Auftrags sei. Artikel, von denen klar sei, dass sie nur sehr wenige Leute lesen werden, könne man weglassen.

Das klingt harmlos, bedeutet aber, dass der Chefstratege von Tamedia die Redaktionsleitung per Excel empfiehlt. Stoffe, die viele Klicks bringen, bleiben im Blatt, Stoffe, die nicht gut klicken, fliegen raus. Ich kann Ihnen aus Erfahrung sofort sagen, wo der Abbau stattfinden wird: Die beiden am schlechtesten gelesenen Ressorts jeder Tageszeitung sind Wirtschaft und Kultur. Und wenn Sie einen nationalen Massstab anlegen, ist es immer das Lokale.

Jetzt sagen Sie vielleicht: Ist doch klar, dass sich ein Unternehmen nur auf das konzentrieren will, was profitabel ist. Aber ist das auch sinnvoll?

Nehmen wir einen Grossverteiler wie Coop oder Migros. Schauen wir in eine grössere Filiale, in einen Supermarkt. In einer solchen Filiale hat es umsatzstarke Produkte, die viel Gewinn bringen, und umsatzschwache Produkte, die vielleicht kaum oder gar nicht rentieren. Nach der Rechenschieberlogik von Müller von Blumencron müsste ein Supermarkt die umsatzschwachen Produkte eliminieren und sich auf die umsatzstarken Produkte konzentrieren. Genau so arbeiten Harddiscounter: Sie haben nur wenige, aber umsatzstarke Artikel im Programm und sortieren regelmässig die schlechtesten Umsatzträger aus.

Das kann ins Auge gehen

Bloss: Das kann ins Auge gehen. Die höchsten Umsätze in einem Supermarkt erzielen Grundnahrungsmittel und Frischprodukte. Spezialitäten und Gourmet-Lebensmittel erzielen viel tiefere Umsätze.

Warum bieten Supermärkte trotzdem Spezialitäten an? Weil sie Kunden in den Laden holen und für Differenzierung sorgen. Vereinfacht gesagt: Brot und Milch gibt es überall, aber diesen Schafskäse aus dem Münstertal, den gibts nur in diesem Laden. Es kann deshalb strategisch sinnvoll sein, ein Sortiment solcher Spezialitäten im Laden anzubieten, auch wenn diese Artikel in der operativen Umsatztabelle weit unten stehen.

«Landesweit gemessen schneiden lokaljournalistische Angebote schlecht ab. Vor Ort ist aber oft gerade der Lokaljournalismus der Grund, warum ein Titel aufgerufen wird.»

von Matthias Zehnder

Damit haben wir auch die beiden wichtigen Adjektive in diesem Zusammenhang eingeführt: strategisch und operativ. Die Excel-Tabelle und die Rechenschieberlogik, dass sind operative Werkzeuge. Sie helfen dabei, eine Aufgabe richtig zu erledigen. Aber sie sagen nichts darüber aus, ob wir dabei die richtige Aufgabe erledigt haben. Das ist eine strategische Frage, die man nicht so einfach mit einer Excel-Tabelle beantworten kann.

Supermärkte und Zeitungen sind sich in diesem Punkt ähnlich: Dass der Umsatz mit Spezialitäten nicht gross ist, heisst nicht, dass die Spezialitäten unwichtig sind. Dass Wirtschaft und Kultur wenig angeklickt werden, heisst nicht, dass sie unwichtig sind. Noch deutlicher ist es beim Lokaljournalismus: Landesweit gemessen schneiden lokaljournalistische Angebote schlecht ab. Vor Ort ist aber oft gerade der Lokaljournalismus der Grund, warum ein Titel aufgerufen wird.

Strategie und operative Tat widersprechen sich

Das führt uns zur digitalen Strategie zurück. Tamedia sagt, es gehe darum, digitales Wachstum zu erzielen. Das heisst, man will mehr Menschen davon überzeugen, dass es sich lohnt, eine Tamedia-Zeitung digital zu abonnieren.

Tamedia will also im digitalen Nutzermarkt wachsen. Wie lässt sich Wachstum erzielen? Durch Investition. Wo muss Tamedia investieren, damit ein Wachstum in Nutzermarkt resultiert? Was ist der wesentliche Trigger für die Nutzer? Der Inhalt, insbesondere lokale Inhalte.

Nutzerinnen und Nutzer sind heute sehr wohl bereit, im Internet für Inhalte zu bezahlen, wenn die Inhalte einzigartig sind und begeistern. Das setzt voraus, dass eine motivierte Crew von Journalistinnen und Journalisten am Start ist, die Inhalte langfristig entwickeln und aufbauen kann. Was macht Tamedia? Die Firma kürzt die Kosten in genau diesem Bereich und sorgt damit für Unsicherheit und Frust bei der Belegschaft. Das heisst: Strategie und operative Tat widersprechen sich diametral.

«Die grosse Frage, die sich die Schweiz stellen muss, ist, was die richtigen Aufgaben sind, welche Strategie es braucht, damit in der Schweiz längerfristig eine vielfältige Medienlandschaft überleben kann.»

von Matthias Zehnder

Jetzt sagen Sie vielleicht: Das geht uns nichts an, Tamedia ist ein Privatunternehmen. Das ist richtig. Das Unternehmen kann tun und lassen, was es will. Aber es gibt zwei Berührungspunkte mit der Schweizer Öffentlichkeit. Der erste: Medien produzieren nicht irgendwelche Genussmittel, sondern jene Informationen, die eine Demokratie am Leben erhalten. Ohne Medien, keine Demokratie. Insofern ist es sehr relevant, welche Strategie das grösste Verlagshaus der Schweiz für seine Medien ausgibt.

Die Medienstrategie der Schweiz

Der zweite Berührungspunkt: In der Schweiz sind verschiedene Gesetze und Initiativen hängig, die sich um die Frage drehen, welche Strategie das Land in Sachen Medien wählen soll. Ich denke zum Beispiel an die Initiative zur Halbierung der Radio- und Fernsehgebühren. Diese Initiative stellt letztlich eine Grundsatzfrage: Wie wollen wir in der Schweiz Medien künftig finanzieren?

Das Beispiel Tamedia zeigt: Es wird immer schwieriger, allein mit Medien Geld zu verdienen. Der Markt für Medien ist unter Druck. Und zwar nicht, weil die SRG so gross wäre, sondern weil sich die Ertragsmöglichkeiten durch das Internet dramatisch verändert haben.

Die Geschäftszahlen von Tamedia, das Sparprogramm, die Initiative zur Halbierung der Radio- und Fernsehgebühren – das alles sind operative Massnahmen, die sicherstellen sollen, dass die Aufgaben richtig gemacht werden.

Die grosse Frage, die sich die Schweiz stellen muss, ist aber, was die richtigen Aufgaben sind, welche Strategie es braucht, damit in der Schweiz längerfristig eine vielfältige Medienlandschaft überleben kann. Diese Frage hat unser Land bisher nicht beantwortet. Und so langsam geht uns die Zeit aus, uns mit der Frage zu beschäftigen, bevor sie mit Zahlen in einem Excel-Sheet erledigt wird.

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Matthias Zehnder ist Bajour-Mitgründer und -präsident. Seinen Wochenkommentar veröffentlicht er auch auf seiner Website matthiaszehnder.ch. Hier kannst du ihn abonnieren und hier unterstützen.

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