Drogen für den Quartierfrieden
Drogen kontrolliert abzugeben, dürfte der vielleicht einzige Weg gegen die Drogenmafia sein, die es auch in Basel gibt. Am Ende ist es eine rein politische Frage, die am 1. Bajour-Drogenstammtisch mit über 100 Teilnehmer*innen heiss diskutiert wurde.
«It’s rock’n' roll, all night», singt ein Drogensüchtiger und spielt dazu Gitarre. Das Publikum ist ob der musikalischen Performance am Ende eines intensiven Drogenstammtisches, den Bajour zusammen mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel auf die Beine gestellt hat, begeistert. Es wird geklatscht und gejohlt.
Dass das Drogenproblem im Kleinbasel den Menschen unter den Nägeln brennt, konnte man am Mittwochabend auch daran festmachen, dass über 100 Personen sich im ersten Stock des Restaurants Rheinfelderhof an der Hammerstrasse versammelten, um gemeinsam herauszufinden, wo der Schuh drückt. Wie damals in den 1990er-Jahren sassen dicht an dicht auch an diesem Herbstabend an langen Tischen in einem kneipigen Raum Süchtige genauso wie Anwohner*innen aus dem Quartier (zum Teil jene, die die Petiton «Unser Quartier dealerfrei» gestartet hatten), Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann vertrat die Basler Regierung. Mit dabei war ausserdem die Polizei sowie Mitarbeitende des Gesundheitsdepartements. Und natürlich Sucht- und Drogenexpert*innen. Moderiert wurde der konstruktive Anlass von Journalistin Martina Rutschmann.
Die wohl spannendsten Erkenntnisse des Abends vorab: Erstens, nicht die Drogenkonsument*innen sind das Problem, sondern die Dealer*innen. In anderen Worten: In Basel ist eine Drogenmafia am Werk, ein organisiertes Verbrechen. «Man soll das Kind beim Namen nennen», findet eine aufgebrachte Anwohner*in.
Dass es sich um ein strukturelles Problem handelt, bestätigt auch die Basler Polizei, die sich an dem Abend nicht hinter ihrem Ressourcenproblem verstecken wollte. Ohnehin würden 200 zusätzliche Polizist*innen das Problem nicht lösen, sagt Eymann, die mit Basler Grossrät*innen fast aller Parteien an einem Tisch sitzt: «Wir liefern uns eine Katz-Maus-Jagd mit den Kügelidealern. Doch das ist nicht die Lösung.» Denn: Dahinter gebe es Strukturen.
Diese Problematik wird Basel allerdings kaum im Alleingang lösen. Dafür braucht es das Fedpol, sprich: die Unterstützung des Bundes. Oder sogar eine internationale Zusammenarbeit.
«Wir liefern uns eine Katz-Maus-Jagd mit den Kügelidealern. Doch das ist nicht die Lösung.»Stephanie Eymann, Sicherheitsdirektorin Basel-Stadt
Punkt zwei: Um die Dealer*innen loszuwerden, so sind sich die anwesenden Expert*innen einig, müssten die Drogen legalisiert beziehungsweise reguliert abgegeben werden.
So sagt beispielsweise Klaus Meyer als Pionier der in Basel praktizierten Vier-Säulen-Drogenpolitik (Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression): «Die Mafia gibt es nur, weil es den Stoff nicht legal gibt.» Im Zentrum stehe die gesetzliche Grundlage: «Diese bringt das Problem, das wir hier haben.» Meyer weiss, wovon er redet, er war von 1985 bis 1995 Gassenarbeiter und gehört zu den Initiant*innen der Gassenküche sowie des Kleinbasler Drogenstammtisches in den 1990er-Jahren.
Der ehemalige Basler Drogendelegierte Thomas Kessler ergänzt: «Basel habe so viel Erfahrung wie keine andere Stadt in der Schweiz, sie hat einerseits ein grossartiges Angebot.» Auf der anderen Seite diese Mafia. Und er warnt: «Das, was noch kommt, ist noch viel verheerender.» Er spielt damit auf Menschen-, Drogen- oder Waffenhandel auf höchstem Niveau an.
Mit seinem Votum macht er sich stark für die Kleinbasler Quartierbevölkerung, die unter der jetzigen Situation leidet. Immer wieder hört man an diesem Abend, die Stadt schiebe alles, was sie nicht wolle, ins Kleinbasel. Der Stadtteil sei dadurch überbelastet.
«Das, was noch kommt, ist noch viel verheerender.»Thomas Kessler, ehemaliger Basler Drogendelegierter
Als Hotspots werden genannt: Die Klybeckstrasse mit ihren Kügelidealer, der Matthäuskirchplatz sowie die Dreirosenanlage, als separater Brennpunkt, wo die Gewaltzunahme im Vordergrund steht. Eymann tönte an diesem Abend übrigens an, dass die Kameraüberwachung wohl so schnell nicht beendet sein werde. Eine definitive Zusage vom Datenschutzbeauftragten für eine Verlängerung steht aber offenbar noch aus.
Nach dem Votum von Kessler schien klar: «Der Erhalt der Lebensqualität der Menschen in dieser Stadt hat oberste Priorität.» Es wird zustimmend geklatscht, als fühlten sich die Menschen plötzlich wieder gehört. Als bestünde doch noch Hoffnung auf Besserung.
Die Geschichten, die auch an diesem Abend erzählt werden, kennt man teilweise aus den Medien: Ein grosses Thema ist die Unsicherheit nachts in den Kleinbasler Strassen, besorgte Eltern berichten von Überfällen auf ihre Schützlinge, davon, dass sie von Dealer*innen nach Hause verfolgt würden.
Interessant dabei: Auch die Drogensüchtigen, die in grosser Zahl am Drogenstammtisch teilgenommen haben, fühlen sich von den Dealer*innen zum Teil bedroht. Erzählt wird auch von Jugendbanden, die den Süchtigen das Leben schwer machen, sie drangsalieren, angreifen, zusammenschlagen.
«Die Drogen sind im Moment scheiss billig, die Qualität gleichzeitig schlecht.»Basler Drogensüchtige
Die Gruppe von Konsument*innen, platziert rund um Willi Moch, der im Hostel Volta im St. Johann mitarbeitet, macht an diesem Abend zudem einmal mehr klar, dass die Drogen im Moment «scheiss billig» sind, die Qualität gleichzeitig schlecht. Dadurch rutschten immer mehr Menschen in die Drogensucht. Im Hostel Volta finden Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung und der daraus entstandenen Suchterkrankung eine alternative Wohnform beispielsweise in Wohngemeinschaften.
Die Angebote – auch die Wohnangebote – für Süchtige waren an diesem Abend immer mal wieder Thema. Insbesondere über verlängerte Öffnungszeiten der Kontakt- und Anlaufstellen (K+A) wurde diskutiert. Drogenlaien lernten den Unterschied zwischen Junkies und Basern, wobei Letztere Kokain gestreckt mit Backpulver rauchen, gerne chillen, gleichzeitig aber aggro sind.
In die Verantwortung genommen wird an diesem Abend in erster Linie die Politik. So sagt Kessler: «Nun braucht es Geld.» Geld für mehr Polizei, aber auch Geld für einen Aktionsplan. Eine Anwohner*in ergänzt: «Das Problem ist mit Streifenwagen nicht gelöst, aber ohne eben auch nicht.»
Die Politiker*innen zeigen sich ob den Forderungen einigermassen zurückhaltend, denn man ist sich einig, dass es die eine Lösung nicht gibt. Einzig Nino Russano wird konkret, wie es sich für einen Juso-Präsidenten (Basel-Stadt) gehört: «Es braucht kurzfristig mehr Geld, längerfristig aber eine Legalisierung von Drogen, um die mafiöse Struktur zu bekämpfen.» Am Ende ist das freilich eine rein politische Frage.
Für das Drogenproblem kann und soll Eymann die Verantwortung nicht alleine tragen: «Es ist ein Gesamtregierungsproblem», wie sie richtig sagt. Es sei klar, dass Kräfte nun gebündelt werden müssten. Einen Massnahmenplan hat sie bereits in Aussicht gestellt. Von Drogenlegalisierung beziehungsweise -regulierung mag da vielleicht noch nichts drin stehen. Doch nach diesem Abend ist klar: Zumindest der Debatte müssen wir uns stellen.
Der nächste Kleinbasler Drogenstammtisch 2.1 findet am 25. Januar 2024 statt, ebenfalls im Restaurant Rheinfelderhof.
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