Erst einmal das Koks-Problem lösen

Zustände wie in Nordamerika, wo Opioidsüchtige in den Strassen liegen, will man in Basel auf keinen Fall. Der Kanton ist vorbereitet. Mehr zu schaffen macht ihm der aktuelle Kokain-Konsum und die Unruhe im Matthäusquartier.

Anwohnerin
Am Drogenstammtisch berichtete eine Mutter von Süchtigen, die im Brunnen auf dem Matthäus-Spielplatz ihre Pfeifen auswaschen und am helllichten Tage direkt neben den Kindern konsumieren würden. (Bild: Ernst Field)

«So schlimm war es noch nie»: Schnell zeigte sich an diesem Dienstagabend im Rheinfelderhof, dass der Drogenkonsum in den Strassen des Kleinbasels wieder stark zugenommen hat. Anwohner*innen, insbesondere des Matthäusquartiers, sprachen am Drogenstammtisch, den Bajour gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel bereits zum sechsten Mal organisiert hat, von einem grossen Unbehagen. Im Zentrum des Abends stand die Frage, ob Basel für eine allfällige Fentanyl-Krise gewappnet ist. Doch die aktuellen Sorgen der Anwesenden beschäftigten mindestens genauso.

So sprach Michel Hostettler vom Community Policing Kleinbasel «von einem anspruchsvollen Jahrgang». Und er erklärte, dass die im August lancierte Schwerpunktaktion bereits zu zahlreichen Festnahmen geführt habe. Zumindest für die Dreirosenanlage hielt er fest, dass die Problem-Gruppe junge Erwachsene aus dem Maghreb-Raum seien, die sich in laufenden oder abgeschlossenen Asylverfahren befänden. Aber auch ein paar Tourist*innen aus Frankreich greife man auf. Und er stellte in Aussicht, dass es nächsten Sommer besser werden solle. 

Droge bereits auf dem Markt

Doch daran schien im einmal mehr gut gefüllten Saal niemand so recht zu glauben. Erst recht nicht, nachdem Suchtexperte Hannes Strasser von den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) von seiner Reise nach Vancouver, Kanada, berichtet hat. Den Anwesenden dürfte es kalt den Rücken runtergelaufen sein, als er erzählte, dass bereits vor 2.5 Jahren, als er dort war, in Downtown Eastside 7000 bis 8000 Menschen in entwürdigender Pose am Boden über- und nebeneinander lagen. Solche Zustände will hier in Basel niemand – und zumindest geografisch ist die Katastrophe gar nicht mal mehr so weit entfernt. In Frankfurt, so berichtet Strasser weiter, sei die Droge bereits üblich.

Strasse
Hannes Strasser von den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) berichtet von seiner Reise nach Vancouver, Kanada. (Bild: Ernst Field)

«Obergesundheitschef» Lukas Engelberger, wie Moderatorin Martina Rutschmann den Mitte-Regierungsrat und Vorsteher des Gesundheitsdepartements, nannte, nahm das erste Mal am Drogenstammtisch teil. Auf die Frage, ob Basel für eine allfällige Fentanyl-Krise gewappnet sei, sagte er: «Das Thema ist uns bekannt und weiss Gott nicht egal.» Er versichert, man sei nahe dran und man passe die Massnahmen immer an. Doch die Droge sei eine neue Dimension, die auch der Regierung Respekt einflösse. Man wolle das System weiter stärken, habe mit den auf Substanzen basierten Behandlungsformen aber gute Karten in der Hand. Auch sei man auf der Gasse präsent. 

Rutschmann nannte eine allfällige Fentanyl-Krise ein Damoklesschwert, das über uns schwebe. Denn: Noch ist die Droge nicht angekommen hier im Dreiländereck, wie die ebenfalls anwesenden Mittler*innen aus dem Gesundheitsdepartement bestätigen. Kokain ist nach wie vor die am meisten konsumierte Droge. Aber: «Wir müssen alert sein», sagt Engelberger. 

Engelberger
Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger ist zum ersten Mal am Drogenstammtisch: «Das Thema ist uns bekannt und weiss Gott nicht egal.» (Bild: Ernst Field)

Doch so furchterregend die neue Substanz ist, so sehr wollte man an diesem Abend lieber über die vorherrschenden Probleme auf der Gasse reden. Über Kokain. Crack. Freebase. So sagte Chaim, ein ehemals Süchtiger: «Die Bilder aus den USA machen Angst, aber wir haben hier in der Schweiz dank Methadon einen guten Umgang mit Opioiden etabliert.» Was wir hingegen nicht hätten, sei ein guter Umgang mit Kokain. Er findet, die Diskussion über Fentanyl lenke davon ab. Auch Marc Moresi von der Jugendarbeit auf dem Dreirosenareal sagte: «Man darf die jetzige Situation nicht ausser Acht lassen.»

Während Moresi die Lage auf der Dreirosen als besser beschreibt als auch schon, haben die Klagen aus dem Matthäusquartier eine neue Dimension erreicht. So berichtete eine Mutter, die mit ihrem schlafenden Baby in der Trage den Anlass besuchte – sich zu äussern, war ihr offensichtlich ein Anliegen – von Süchtigen, die im Brunnen auf dem Spielplatz ihre Pfeifen auswaschen und am helllichten Tage direkt neben den Kindern konsumieren würden. Eine andere Anwohnerin erzählte von einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Süchtigen und den Security-Mitarbeiter*innen rund um die Matthäuskirche.

Was also tun? Die Ideen blieben nicht aus, doch scheint die Umsetzung oftmals die Krux zu sein. So brachte die Anwohnerin Käthi Grossenbacher die Idee eines Nachtcafés ins Spiel, wie zum Beispiel das ehemalige Cardinal in der Bieler Altstadt, das lange ein gemischter Treffpunkt war. In einem solchen könnten die Süchtigen ihre Zeit verbringen, statt draussen auf und um den Matthäusplatz herum. Doch müssten Restaurants, die Gassengäst*innen gegenüber offen wären, beim Umgang mit der Klientel wohl ordentlich Unterstützung für die Vermittlung mit anderen Gäst*innen erhalten.

Moresi
Marc Moresi von der Jugendarbeit Dreirosen: «Man darf die jetzige Situation nicht ausser Acht lassen.» (Bild: Ernst Field)

Nochmals eine andere Anwohnerin schlug vor, die Kirchen nachts für Bedürftige zu öffnen. Doch dass das nicht so einfach ist, zeigte sich bereits am Beispiel der Josef-Kirche an der Klybeckstrasse, die Security anstellen musste, genauso wie bei jener am Claraplatz, die mit Kot und Diebstählen zu kämpfen hatte. Ausserdem, warf eine weitere Quartierbewohnerin ein, ginge es nicht nur um die Abend- und Nachtstunden. Einig schien man sich derweil, dass jene Menschen, die im Quartier Initiative zeigten, nicht alleine gelassen werden sollten. 

Doch wie Oliver Bolliger, Basta-Grossrat und Geschäftsführer der Stiftung Wohnhilfe, klar machte, habe man nicht nur auf der Gasse Schwierigkeiten. Auch eines der Stiftungshäuser, jenes am Bläsiring, habe diesen Sommer besonders gelitten, weil mehr konsumiert worden sei und sich die wohnenden mit nicht-wohnenden Konsumierenden gemischt hätten. Nun leistet sich die Stiftung einen Security-Dienst, aber er findet: «Wir müssen kreativer sein.» Geplant sei zudem ein Angebot mit einem Concierge und er ist überzeugt: «Eine Art Rezeption würde etwas bringen.»

Wenig Zuversicht

Regine Steinauer, Leiterin Sucht im Gesundheitsdepartement, zeigte sich wenig zuversichtlich: Man habe fast alle Ideen schon durchdacht. «Doch der Matthäuskirchplatz ist nicht wie eine Kiste mit Meerschweinchen, die man einfach in ein anderes Zimmer stellen kann.» Man erreiche die Menschen nur, wenn sie sich dazu auch bereit zeigten. Oder: Man habe zwar Angebote, diese dürften aber nicht genutzt werden von Süchtigen, weil sie wegen ihres Aufenthaltsstatus gar nicht in der Schweiz sein dürften. Die Sache ist also: kompliziert.

Mahir
SP-Grossrat Mahir Kabakci wünscht sich vom kleinen Stadtkanton mehr Solidarität. (Bild: Ernst Field)

Jugendarbeiter Moresi meint etwas pragmatischer, es gebe ohnehin nicht die eine Lösung, um das Problem wegzuzaubern, es brauche verschiedene Ebenen, um einen Umgang zu finden. So ist das Jugendzentrum im dauernden Austausch mit allen möglichen Behördenstellen – und auch wenn die Situation am Matthäusplatz inmitten eines Wohnquartiers eine andere ist: Vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken, auch dort ein Jugendbüro einzurichten, das den konstruktiven Austausch vorantreibt?

Für Moresi ist auf jeden Fall klar: «Die Lebensqualität im Kleinbasel leidet unter der Verarmung verschiedener Bevölkerungsschichten.»

Hier sieht SP-Grossrat Mahir Kabakci denn auch die Regierung in der Pflicht, die Last für die Bevölkerung gerechter zu verteilen und in anderen Stadtteilen Alternativen zu suchen – damit eben nicht alles beim Kleinbasel hängen bleibt, wo sich mit Abstand am meisten soziale Institutionen befinden, und der Widerstand gleichzeitig am geringsten ist. Man solle sich in diesem kleinen Stadtkanton solidarischer zeigen, so der Parlamentarier.

Einigermassen ernüchternd entlässt Engelberger die Gäste des Drogenstammtisches am Ende in die Nacht. Der Problemdruck sei gross, doch leere Versprechen wolle er auch nicht machen. Immerhin zeigte er sich gewillt, die Lasten zu verteilen und er sagte: Wenn jemand Kontakte zu Menschen mit Liegenschaften habe, sei man beim Kanton froh. Zu einer neuen Anlaufstelle für Drogensüchtige im Grossbasel, die wegen ihrer Nähe zu Schulhäusern für grosse Diskussionen sorgte, sagt er: «Wir werden etwas finden.» 

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Valerie Zaslawski

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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