Besuch im Altersheim: «Es ist ein Mist, wenn hier nicht alle geimpft sind»
Die Fallzahlen steigen wieder und damit die Angst vor Corona-Ausbrüchen in Altersheimen. Wie geht es den Betagten damit? Ein Besuch im Zentrum Schönthal in Füllinsdorf.
Jetzt reden wieder alle über die Altersheime. Im Käppeli in Muttenz kam es im Oktober zu einem Corona-Ausbruch, sechs Personen starben, bei drei von ihnen war offenbar Covid die Ursache. Seither sorgen sich Politiker*innen und Angehörige um die Betagten.
Letzte Woche hat die Baselbieter Regierung auf politischen Druck hin die Zertifikats- und Maskenpflicht für Besucher*innen eingeführt. Und auch Mitarbeitende müssen sich zweimal testen lassen. Und nun hat auch die Basler Regierung reagiert, ab dem 24.November gelten in den hiesigen Alters- und Pflegeheimen ähnliche Regeln.
Die Massnahmen sollten die Pflegeheimbewohnenden schützen, sie aber in ihren Kontaktmöglichkeiten nicht einschränken, sagt Anne Tschudin, Sprecherin des Gesundheitsdepartements Basel-Stadt. «Vor allem an Weihnachten soll ein Zusammensein mit der Familie möglich sein.»
Keine Freude hat der Heimleiter des Altersheims Hofmatt in Münchenstein. Er bedaure, dass die Bewohnerinnen und Bewohnern nicht gefragt worden seien, sagte er letzte Woche dem Regionaljournal.
Höchste Zeit, wieder einmal bei den Betagten nachzufragen: Wie geht es ihnen im zweiten Corona-Winter? Im Januar besuchte Bajour Bewohner*innen im Johanniter, dieses Mal fahren wir ins Baselbiet.
Herr Koller sieht die Pandemie nicht
Über Basel liegt an diesem Freitagmorgen dicker Nebel, die Stadt ist grau, bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof leuchten einzig die orangen Westen der Gleisarbeiter. Wir befinden uns im zweiten Corona-Herbst. Kurz vor Füllinsdorf lichtet sich der Nebel, der 50 Meter hohe Turm des Seniorenzentrums Schönthal ragt in den blauen Himmel. Seit neuestem darf hier nur noch rein, wer ein Covid-Zertifikat hat. Wir besuchen Beat Koller, Margrith Sohn und Hanspeter Berger.
Im Heim ist ordentlich Betrieb, Männer in Arbeitskleidung montieren im Innenhof die Stände für einen Weihnachtsmarkt, es bohrt und hämmert. Beat Koller blickt aus seinem Fenster im ersten Stock auf die rot-weiss gestreiften Markisen der Marktstände. «Ich mache meistens nicht viel, schaue einfach ein bisschen aus dem Fenster», sagt er. «Aber ich bin happy.» Koller ist 87 Jahre alt und wohnt seit April im Schönthal. Er kennt das Heim nur im Pandemiezustand.
Der Umzug sei ihm nicht schwergefallen. «Eines morgens wachte ich auf und sah fast nichts mehr. Drei Tage später war ich hier.» Kollers Sehvermögen hat sich seither nicht verbessert, das verunmöglicht ihm, sich mit der Pandemie auseinanderzusetzen. Er kann weder Zeitung lesen noch Fernsehen schauen. «Über Corona weiss ich nicht viel. Ich sehe es schlicht nicht», sagt er und zieht die struppigen Augenbrauen hoch. Er lächelt.
Hinter dem schwarzen Sessel, in dem Koller Platz genommen hat, hängt ein Bild, das einen Mann mit Bart und Turban zeigt. «Das ist aus dem Iran», sagt Koller. «Wir haben dort eine Fabrik gebaut.» Koller kommt aus der Ostschweiz, als Kaufmann war er jahrelang in der Textilindustrie tätig. Er arbeitete in den USA, in Genf, im Iran und landete schliesslich in Frenkendorf, wo er ein Computergeschäft führte. Hier habe er viele Bekannte, die ihn besuchen kämen, sagt er.
Angst vor einer Ansteckung hat Koller nicht. «Ich bin geimpft und bekomme hoffentlich bald die dritte Dosis.» Für Ungeimpfte hat er wenig Verständnis. «Es gibt hier im Heim solche, die nicht geimpft sind, aber die haben keine Angst. Ich bin sogar am Tisch mit einem, der nicht geimpft ist, der denkt, er sei smart», sagt Koller verschmitzt. «Aber es ist ein Mist, wenn nicht alle geimpft sind.»
Frau Sohn verzichtet auf Besuch
Im Seniorenzentrum Schönthal leben 95 Menschen. Im Turm befinden sich zudem 30 Alterswohnungen. In den breiten Gängen des Heims sind nur wenig Bewohner*innen anzutreffen. Weihnachtsdeko hängt an den Wänden, Blumen stehen neben Desinfektionsspendern. Auch Margrith Sohn ist in ihrem Zimmer, sie wollte sich gerade parat machen fürs Turnen. Aber ein Gespräch sei auch in Ordnung, «nur herein, nur herein.»
Auf einem runden Tisch liegt ein gehäkeltes weisses Tischtuch und darauf eine Kiste voller Karten. Margrith Sohn bastelt gerne, am liebsten Geburtstags- und Geschenkekärtchen. «Das Gröbste hab ich jetzt mal versorgt», sagt sie, nestelt in der Kiste und lacht. «Ich bin immer etwas am Chnüblen». Dass sich Sohn gut alleine beschäftigen kann – sie liest auch viel und stickt –, ist ihr seit Ausbruch der Pandemie zu Gute gekommen. «Besuch hatte ich in dieser Zeit etwas weniger. Der Sohn kommt hie und da, aber das ist es schon.» Mit einer Schwägerin aus Lausanne, die nicht geimpft ist, hat Sohn nur noch telefonisch Kontakt. «Sie war kürzlich in Liestal, aber ein Besuch kam für mich nicht in Frage», sagt Sohn und schiebt nach: «Obwohl ich mich gefreut hätte.»
In Sohns Zimmer steht eine beachtliche Orchideensammlung. Auch sonst ist ihr Zimmer wohnlich eingerichtet, vier Stühle stehen um den runden Tisch, auf dem Balkon stapeln sich Blumenkistchen. Sohn lebt seit sieben Jahren hier. In Frenkendorf aufgewachsen, hat sie in einer Schneiderei und später in einem Stoffladen gearbeitet. Eine Lehre konnte sie jedoch nicht machen. «Man Vater hat zu wenig verdient», sagt sie. «Wir waren es gewohnt, zu verzichten, das war schon während der Kriegszeit so.»
Vielleicht kommt Margrith Sohn auch deshalb so gelassen durch die Krise. Sie hat keine Angst vor dem Coronavirus, aber «Respekt», wie sie sagt. «Hier auf dem Stock gab es auch einen, der es hatte», sagt sie mit ruhiger Stimme. «Der sagte, es sei nicht lustig.» Nicht nur bei Besuch ist Sohn vorsichtig, auch sonst hält sie sich an die Massnahmen. An ihrem Rollator baumelt ein Säckchen mit einer Stoffmaske drin und daneben ein Desinfektionsmittel in einem gehäkelten Beutel. Stolz zeigt Sohn einen Ausdruck ihres Covid-Zertifikats.
Dass es beim Personal und unter den Bewohner*innen einige gibt, die nicht geimpft sind, findet Sohn nicht gut. Als belastend empfindet sie die aktuelle Situation jedoch nicht. «Die Stimmung im Heim ist super. Das Personal ist nett und das Essen ist auch gut», sagt sie. «Nur Pizza können sie nicht machen, die ist immer viel zu dick», sagt sie, zeigt mit den Fingern den Rand einer imaginären Pizza und lacht.
Herr Berger weiss nicht, wem glauben
Im Gegensatz zu Sohns Zimmer ist dasjenige von Hanspeter Berger spärlich eingerichtet. Berger, 90 Jahre alt, ehemals Verkaufsleiter einer Metallverarbeitungsfirma aus Münchenstein, kam erst vor drei Monaten ins Seniorenzentrum. Davor wohnte er in einer Alterswohnung im Turm. Seine Frau ist noch immer dort. «Jetzt bin ich hier am Einrichten», sagt Berger. «Ich habe dem Sohn gesagt, wir machen jedes mal ein bisschen mehr.» Seine Stimme hallt im Raum.
Viel Zeit verbringt Berger sowieso nicht in seinem Zimmer. Er hat einen fixen Tagesablauf. Nach dem Frühstück holt er gegen halb 10 Uhr die Post aus dem Briefkasten und geht zu seiner Frau in die Wohnung. «Dann schauen wir, ob wir etwas machen müssen, Rechnungen bezahlen zum Beispiel», sagt Berger und zieht die Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. Nach dem Mittagessen legt er sich eine Weile schlafen und besucht dann nochmals seine Frau.
Am Mittagstisch, wo Berger mit zwei anderen Heimbewohnern sitzt, wird das Thema Corona ab und zu «gestreift», wie er sagt. «Aber dann ist das erledigt und wir wechseln das Thema.» Berger liess sich erst vor ein paar Wochen impfen, zu rasch schien ihm die Entwicklung des Impfstoffs. Er ist sich nicht sicher, was er vom Zertifikat und vom Covid-Gesetz halten soll. «Seit drei Wochen habe ich die Unterlagen und ich weiss heute noch nicht, was ich abstimmen soll», sagt er und fährt sich mit der Hand über seinen kahlen Schädel. «Jeden Tag liest man etwas neues, da weiss man gar nicht mehr, wem glauben.»
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Im Heim fühlt sich Berger gut aufgehoben, wie er sagt. Nur die Personalsituation missfällt ihm, es habe seiner Meinung nach etwas wenig Leute. «Manchmal schwätzen sie nicht so viel, weil sie gehetzt sind». Dass die die Stimmung im Heim in den nächsten Monaten kippen könnte, davor hat Berger keine Angst. Beunruhigend findet er eher die politische Situation. «Einige machen ja jetzt auf System Trump», sagt er. «Da werden sicher noch Wahllokale blockiert nächsten Sonntag.» Heute Mittag wolle er mit seiner Frau definitiv entscheiden, ob sie Ja oder Nein stimmen. «Wahrscheinlich machen wir das, was der Bundesrat vorschlägt.»