«Digital ist die Zeitung nichts mehr für mich»
Ende 2025 endet eine Ära für 20 Minuten, die Gratis-Zeitung stellt ihre gedruckten Ausgaben ein, künftig gibt es sie nur noch digital. Weil die Zeitung gratis und leicht verständlich ist, ist sie in Alters- und Pflegeheimen äusserst beliebt. Wie geht es Senior*innen mit diesem Verlust?
Die Verteilung der 20-Minuten-Zeitung innerhalb des Adullam-Altersheim ist ein festes Ritual. Morgens holen einige der Bewohner*innen einen Stapel der Zeitung am Empfang und teilen diesen unter ihren Kolleg*innen auf, die nicht mehr so gut auf den Beinen sind. Hier wird es, wenn die 20 Minuten im neuen Jahr nicht mehr am Empfang bereit liegt, viele enttäuschte Gesichter geben. Dann sind die 300'000 Exemplare der Gratiszeitung, die momentan noch täglich gedruckt und schweizweit verteilt werden, nämlich Geschichte. Ende 2025 stellt die TX-Group, zu der die 20 Minuten gehört, die gedruckte Version der Zeitung nun vollständig ein.
Die Reichweite sei gesunken und die Kosten für die Produktion seien gestiegen, sagte die TX-Group gegenüber SRF. Die Entscheidung reiht sich ein, in einen allgemeinen Abbau bei Printmedien. Auf Anfrage teilt uns die 20 Minuten mit, dass die Werbeeinnahmen rückläufig seien, insbesondere bei der Printausgabe. Eine werbefinanzierte Zeitung sei ohne Werbung nicht tragbar, weshalb nun statt in Print in den digitalen Ausbau investiert wird.
Für die Bewohner*innen des Adullam-Altersheims sei die Einstellung der 20-Minuten-Zeitung ein grosser Verlust, sagt Ursula Held, die am Empfang eingerahmt zwischen einem Süssigkeiten-Kiosk und einer Computerstation steht und stets mitbekommt, wer die Zeitung jeweils holt. Nicht alle hier seien fit genug für digitale Lösungen.
Wir treffen Lisbeth Ernst, sie ist 95 Jahre alt und lebt hoch oben im Adullam-Altersheim. Ernst hat einen aufgeweckten Blick und wohnt in einem Zimmer, das eine weite Aussicht über das Bernoullianum der Universität bietet. Sie lese die 20 Minuten gerne, erzählt sie. Eine Kollegin bringt ihr jeden Morgen eine Ausgabe, darüber ist sie froh. Zur digitalen Neuaufstellung bei der 20-Minuten-Zeitung sagt sie: «Digital ist nichts mehr für mich, dann frage ich halt meine Grosskinder.»
Es gebe natürlich auch einige Bewohner*innen, die problemlos digitale Nachrichten konsumieren, erzählt Held vom Empfang. Eine von ihnen ist Ghislaine Steiner. Die 80-Jährige ist gerade mitten auf einer Geburtstagsparty und sitzt mit anderen Bewohner*innen an einem grossen Tisch. Steiner erzählt, dass sie sich primär über das Handy informiert. Sie schätzt jedoch, dass ein Grossteil der anderen Bewohner*innen regelmässig die gedruckte 20 Minuten liest.
René Wieland, 90 Jahre alt, befindet sich am anderen Ende des Tischs und sagt, er finde es vor allem um den Sportteil der gedruckten Ausgabe schade. Danach setzt das Klaviersolo einer Mitarbeiterin ein und die Party geht weiter.
Allerdings gibt es auch Senior*innen, die nicht viel mit dem Inhalt der Zeitung anfangen können, zum Beispiel Christine Oeschger (86). In ihrem Zimmer schmücken bunte Bilder die Wände und Oeschger lächelt uns verschmitzt an. Sie stellt von Anfang an klar, dass sie die 20 Minuten nicht liest. Lieber seien ihr die Briefe von Hilfswerken oder die Bücher des Schweizer Schriftstellers Lukas Bärfuss.
Natürlich sei es für viele Leser*innen auch eine Preisfrage, weil die Zeitung gratis ist. Sie lese da lieber ihre Bücher mehrmals. Andere Bewohner*innen mögen die Zeitung aber sehr gerne, sagt sie. «Die stürzen sich auf die Blättli», berichtet Oeschger.
«Das Format ist für unsere Bewohnenden ideal: kurz, verständlich und handlich.»Senevita Gruppe
Das Ende der gedruckten Zeitung ist nicht nur im Adullam ein Thema. Aus mehreren Heimen in Basel-Stadt bekam die Bajour Redaktion die Rückmeldung, dass die Zeitung bei den Senior*innen äusserst beliebt ist und regelmässig gelesen wird. Aus dem Senevita heisst es: «Das Format ist für unsere Bewohnenden ideal: kurz, verständlich und handlich.»
In Ihrer Mitteilung zur Neuaufstellung schreiben der CEO und die Chefredaktorin der 20 Minuten, dass die Zeitung trotz Ende des Printausgabe weiterhin kostenlos für informierte Bürger*innen sorgen will, über soziale Schichten und Altersklassen hinweg. Auf Anfrage wird uns von der 20 Minuten mitgeteilt, dass dafür die Leser*innen beim Übergang mit täglichen Erklärungen begleitet werden.
Nicht digital affine Menschen müssen da auf Alternativen umsteigen. Was das genau ist, wissen viele Heime noch nicht, das Martha-Stift schreibt uns, dass sie künftig für ihre Bewohnenden gerne eine andere kostenlose Alternative zur Verfügung stellen wollen. In Basel gibt es zwar einige digitale kostenlose journalistische Angebote, wie Bajour oder Onlinereports. Im Printformat gibt es jedoch keine andere tagesaktuelle Zeitung, die umsonst ist.
Die befragten Bewohner*innen aus dem Adullam-Altersheim haben verschiedene Ideen, wie sie sich kommendes Jahr informieren werden: «Klatschheftli», andere Zeitungen, Briefe, Bücher oder die Grosskinder fragen tun es für viele auch. Was aber wegfallen wird, ist das gesellige tägliche Ritual des gegenseitigen Zeitungverteilens im Haus. Es bleibt offen, ob ein neues Medium hier einspringen wird oder ob die Bewohner*innen ein ganz neues Morgenritual erfinden werden.