Corona kann nix dafür

Die Pflegekräfte kreuchen noch wegen der ersten Welle und wollen endlich mehr Geld. Die Spitäler haben keins und schlagen Alarm. Doch finanziell ist die Pandemie das kleinste Problem.

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Das Intensivpflegepersonal bildet das Rückgrat der Pandemie. (Bild: United Nations)

Seit ein paar Wochen ist die zweite Welle kein Gedankenspiel mehr, die Schweiz und auch beide Basel hängen mittendrin. Der Bundesrat verabschiedete deshalb am Mittwoch strengere Corona-Massnahmen. Die Kliniken müssen sich ebenfalls für diese neue Hochphase wappnen. Allen voran die Intensivpflegekräfte, denen die erste Welle noch in den Knochen steckt. Und schon vor der Krise sah es nicht gut für sie aus: Pfleger*innen klagen seit Jahren über lange Schlichten, zu wenig Ruhezeiten, relativ schlechte Bezahlung.

Mit einer schweizweiten Protestwoche wollen das Pflegepersonal und auch Ärzt*innen deshalb auf ihre prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam machen und fordern höhere Löhne und eine Corona-Prämie. Fragt sich nur: Können sich die Spitäler das angesichts der jetzigen Krise überhaupt leisten?

Schliesslich steckten die Spitäler schon im Frühjahr hohe Verluste ein – wegen Corona mussten sie lukrative Operationen verschieben. Damals wurden so viel Personal und Betten für Covid-Erkrankte frei gehalten, dass die Spitäler teilweise fast leer waren. Der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger sagte im April gegenüber der NZZ, in der Region Basel habe es einen Rückgang von bis zu einem Drittel der stationären Patienten gegeben.

Corona ist schuld an allem? Gesundheitsökonom: Nein.

Weniger Einnahmen, überlastetes Personal - Bajour hat den Gesundheitsökonomen Stefan Felder von der Uni Basel gefragt, ob Corona die sowieso schon vorhandenen Probleme an den Spitälern in Basel noch verstärkt. 

Felders Antwort überrrascht: «Ich glaube nicht, dass Corona die Situation deutlich verschlechtert hat.» Dass die elektiven Eingriffe für drei Monate gestoppt wurden, habe die Einnahmen der Spitäler natürlich verringert. Aber, sagt er, es habe einen Aufholeffekt gegeben und die Behandlungsfälle hätten seit Juli wieder deutlich zugenommen. Trotzdem: «Man muss sehen, was in den nächsten Wochen passiert.»

Doch das Hauptproblem ist ein altes: Die regionalen Spitäler sind nicht über- sondern unterlastet. «Wir haben Überkapazitäten im stationären Bereich, gerade in den beiden Basel.» Ein weiteres Problem: Manche Eingriffe würden inzwischen ambulant durchgeführt und nicht mehr stationär. Auch bringe es die Spitäler um Einnahmen. «Anders als es die Spitäler erwarteten, stagnierten in den letzten Jahren die Behandlungsfälle und sie werden in den nächsten Jahren mit grosser Wahrscheinlichkeit sinken», sagt Felder.

Personalmangel? Spital-Überschuss!

Auch die Lösung für das Problem ist bekannt. So sagt Felder: «Man sollte die Anzahl Betten reduzieren. Unser System ist sehr teuer. Es herrschen öffentlich-rechtliche Strukturen vor, auch der Verwaltungsapparat beim Gesundheitsdepartement ist aufgebläht.» Er ist überzeugt: «Eine Reduktion wäre möglich, ohne dass es zulasten der medizinischen Versorgung ginge.»

Ein erster Versuch ist allerdings bekanntermassen gescheitert: Die Gesundheitsdirektoren von Stadt und Land wollten das Unispital und das Kantonsspital Baselland zusammenzulegen. Jedoch ohne Erfolg. Während Baselland mit 67 Prozent deutlich für eine Fusion stimmte, stellte sich Basel-Stadt quer. Inzwischen haben sich laut bz die beiden Spitäler jedoch zusammen mit dem Claraspital geeinigt, die Auslastung ihrer Intensivstationen zu koordinieren, um mögliche Engpässe bei der Behandlung von Corona-Patienten zu verhindern.

Was den Spitälern aktuell fehlt, ist Personal. Unispital-Sprecher Nicolas Drechsler sagte gegenüber Telebasel: «Betten und Beatmungsgeräte haben wir eigentlich genug. Der Engpass ist wirklich immer der Mensch».

«Wenn man die Spitäler abbauen würde, bräuchte man auch weniger Pflegefachkräfte.»
Stefan Felder, Gesundheitsökonom Uni Basel

Ist also der Pflegenotstand das Hauptproblem der regionalen Spitäler? Auch hier gibt Gesundheitsökonom Felder Kontra. «Wenn man die Spitäler abbauen würde, bräuchte man auch weniger Pflegefachkräfte.» Die Frage ist, ob die gewonnene Effizienzsteigerung zugunsten besserer Arbeitsbedingungen geht, oder ob Stellen gestrichen werden.

Die grosse Belastung beschränkt sich gemäss Felder aktuell ohnehin auf die Intensivstationen. Zu einer prekären Situation sei es dort, zumindest im Frühjahr, aber nicht gekommen. Aktuell sind laut SRF-Auswertung die Intensivbetten in Basel-Stadt zu 74 Prozent ausgelastet und in Baselland zu 65 Prozent. 

Schlechter dran sind laut Felder die Angestellten in den Pflegeheimen und der Spitex. «Seit 2011 sind in der Langzeitpflege die Vergütungen durch Krankenkassen und Beiträge der Pflegebedürftigen nicht gestiegen. Da liegt einiges im Argen.» Felder sieht den Kanton in der Verantwortung. «Er ist Eigentümer vieler Spitäler, fördert seine Spitex, reguliert die Pflegeheime. Die Kritik muss sich deshalb auch an den Staat richten.»

Was sich die Spitäler leisten können und wollen

Nochmal zurück zu den Löhnen: Erwägen die Spitäler, auf die Forderung des streikenden Medizinpersonals einzugehen? Laut Unispital Basel haben der Verwaltungsrat und die Spitalleitung im September 2020 «trotz der schwierigen Ertragslage aufgrund der Pandemiemassnahmen beschlossen, die Löhne einzelner Berufsgruppen anzuheben». Profitieren würden unter anderem die Intensivpflegekräfte. Über eine Prämie sei noch nicht entschieden worden.

Das Kantonspital Baselland (KSBL) habe eine solche Prämie bereits im Sommer gezahlt, teilt Sprecherin Anita Kuoni mit. Den Wunsch nach höheren Löhnen könne das Spital verstehen, winkt aber ab: «Das KSBL zahlt marktgerechte Löhne und liegt bei einem Grossteil der Berufe im Schnitt über dem durchschnittlichen Marktlohn.» 

Hintergründe verstehen?
Yes, please.

Wirtschaftlich kann es durchaus wieder belastend werden, falls der Kanton wie im Frühjahr nicht dringliche Eingriffe verbietet. Bereits vergangenen Donnerstag haben sich die Gesundheitsdirektoren der Kantone auf einer Konferenz darauf geeinigt, dass nicht dringliche Eingriffe in den Spitälern verschoben werden müssen. So soll rechtzeitig Platz für die steigende Zahl von Covid-19-Patient*innen geschaffen werden. Ob und wann dies in Basel-Stadt umgesetzt wird, dazu wollte sich das Gesundheitsdepartement Basel-Stadt im Moment nicht äussern.

Zweite Welle kommt oben drauf

Wirtschaftliche Folgen hätte es in jedem Fall. Das befürchtet auch das Unispital: «Aus der ersten Welle ist dem Universitätsspital Basel ein spürbarer finanzieller Schaden entstanden. Dieser konnte noch nicht ausgeglichen werden», sagt Sprecher Thomas Pfluger. Das Spital stehe finanziell zwar nicht kritisch da. «Die finanziellen Folgen der zweiten Welle kommen jetzt aber obendrauf.»

Pfluger weist darauf hin, dass im Fall einer Covid-19-Priorisierung zwar ein Teil der Mitarbeiter*innen, aber nicht alle für die Behandlung von Corona-Patient*innen eingesetzt werden könnten. Manche Angestellten in Kurzarbeit zu schicken, scheint da eine naheliegende Option zu sein. «Wir werden es erwägen», sagt Pfluger. Allerdings habe das Spital für die Kurzarbeit aus der ersten Welle noch kein Geld gesehen. Die Auszahlung sei noch in Prüfung. 

Ähnlich sieht es im Kantonsspital Baselland aus. «Wir rechnen mit einem Ertragsverlust von ca. 30 Millionen Franken», teilt Sprecherin Anita Kuoni mit. Wer die Kosten für die erste Welle trägt, werde immer noch zwischen den Spitälern, dem Bund und den Kantonen verhandelt. Aber: «Die wirtschaftlichen Folgen der zweiten Welle dürften kaum weniger einschneidend sein und sich mindestens in diesem Rahmen bewegen - je nachdem, wie sich die Situation in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt», sagt Kuoni.

Normalbetrieb – so lange wie möglich

Im Moment stehen die Zeichen deutlich auf Verschärfung. «Wir müssen uns bewusst sein, dass die Hospitalisierungen von Covid-19-Patienten immer mit einem Verzögerungseffekt erfolgen. Das bedeutet, dass heute stark wachsende positiv getestet Fälle ein Zeichen für zukünftige Einweisungen sind, welchen die Spitäler vorbereitet begegnen müssen», sagt der Sprecher der Konferenz der Gesundheitsdirektoren, Tobias Bär. Es sei Aufgabe der Kantone, «die Modalitäten der Sicherstellung der Spitalversorgung in dieser angespannten Situation festzulegen». 

Beim Unispital ist die Strategie dieses Mal anders als bei der ersten Welle. Das Spital werde die Zahl der nicht dringlichen Eingriffe «schrittweise abbauen», aber sie so lange wie möglich durchführen, sagt Sprecher Thomas Pfluger. Auch das Kantonsspital Baselland hält laut Anita Kuoni Reserven für Covid-19-Patient*innen vor. «Wir halten aber den Normal- und Notfallbetrieb des Spitals so lange wie möglich aufrecht.»

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