Diversity – Wir müssen reden!

Kulturunternehmer Dan Wiener stört sich, dass Diversity zum Modewort geworden ist. Auch das neue Kulturleitbild des Kantons setzt auf das schwammige Handlungsfeld «Zugänglichkeit und Inklusion». Wiener wünscht sich mehr gelebte Vielfalt und weniger vorgeschobene Labels.

Diversität Labels
Wenn es nur noch um Labels geht, geht die echte Vielfalt verloren. (Bild: Adobe Stock)

Ich befasse mich seit vielen Jahren mit den Themen Kultur, Vielfalt und Integration, weil sie ein eminent wichtiger Faktor sind, wenn es darum geht, in der Praxis die Qualität des Zusammenlebens und der Kommunikation zu fördern, bzw. Schwierigkeiten, die sich aus dem stetigen Wandel ergeben, zu begegnen.

Der Wandel heisst in diesem Bereich zur Zeit konkret, dass unsere Gesellschaft multikultureller und diverser wird, dass sich die Geschwindigkeit des Wandels technischer Hilfsmittel der Kommunikation ständig erhöht und dass gegebene Werte auf verschiedenste Weise hinterfragt werden.

Damit wir uns richtig verstehen, ich begrüsse diese Veränderungen und finde keineswegs, dass früher alles besser war!

Dan Wiener
Zum Autor

Dan Wiener ist Kulturunternehmer und -berater. Er führt die Agentur «communication & culture» und bezeichnet sich selbst als Geschichtenerfinder, Geschichtenerzähler und Geschichtenermöglicher. Dabei bezieht er sich auf seine langjährige Erfahrung als Schauspieler, Musiker und Produzent von Bühnenproduktionen, die er nun als Kommunikations-Spezialist ausspielt.

Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass wir lernen, mit diesen Veränderungen umzugehen, weil sie uns sonst massive Probleme bereiten können. 

Diversity (oder Vielfalt) ist inzwischen ein Modewort geworden. Ein Etikett, das sich auf viele Dinge kleben lässt. Und für viele Verfechter*innen von Diversity, zeigt sich die Vielfalt vor allem in der Förderung solcher Etiketts (oder wie es neudeutsch heisst: Labels). Je mehr desto besser. So wird bei Firmen nicht eigentlich die Vielfalt gemessen, sondern der Anteil solcher Labels. 

Einem Bekannten von mir wurde in einem multinationalen Konzern vorgeworfen, dass er sich zu wenig an Aktionen beteiligt, bei denen Regenbogenstickers ans Revers geheftet werden, oder auf LinkedIn entsprechende Fotos von entsprechenden Events gepostet werden.

«Wie schnell und gerne das Thema fallen gelassen wird, zeigt, dass die Bemühungen bisher oft mehr Lippenbekenntnis als echtes Engagement waren.»
Dan Wiener

In der Businesswelt ist die Bedeutung des Themas allerdings in letzter Zeit zurückgegangen. Wie schnell und gerne das Thema fallen gelassen wird, zeigt, dass die Bemühungen bisher oft mehr Lippenbekenntnis als echtes Engagement waren. Im Kulturbereich und der öffentlichen Hand ist das Thema hingegen erst richtig im Kommen. 

Im Entwurf für das nächste Kulturleitbild Basel-Stadt zum Beispiel, heisst ein ganzes Handlungsfeld «Zugänglichkeit und Inklusion». Was ist damit gemeint? Warum heisst es nicht «Vermittlung und künstlerische Vielfalt»? Das wäre viel konkreter und künstlerisch sinnvoller! So wie es jetzt vermutlich geplant ist, könnte das heissen, dass nur noch Geld bekommt, wer genügend Diversity-Labels vorweisen kann. 

Andernorts ist das schon implementiert. Ein Freund und Musiker musste, um sich für ein Orchester (im Ausland) zu bewerben, einen Fragebogen ausfüllen, bei dem er nach diesen Labels befragt wurde. Er musste zu all den Kategorien People of Colour, LGBTQ+ (aufgeteilt in die einzelnen Begriffe), Herkunft aus benachteiligten Verhältnissen, Behinderungen und so weiter ein Kreuzchen machen, ob es auf ihn zutrifft oder nicht. Offenbar ein Auswahlkriterium. Dieses Orchester macht offen, was an andern Orten noch versteckt passiert.

«Checklisten, die das Mass an Diversity mit Labeln messen wollen, bringen nichts.»
Dan Wiener

Sie denken jetzt vielleicht, ich wolle mich über diese Diversity-Bemühungen lustig machen? Keineswegs! Eben gerade weil ich Diversity so wichtig finde, sollten wir reden! Die Frage ist nicht, ob die Diversity existiert oder nicht. (Für diejenigen, die es noch nicht gemerkt haben: Sie ist da und wächst.) Aber Checklisten, die das Mass an Diversity mit Labeln messen wollen, bringen nichts. 

Der Musikerfreund ist übrigens homosexuell. Er fühlt sich von denjenigen, die für die Akzeptanz der Homosexualität kämpfen, nicht vertreten. Er lebt seine Homosexualität offen, aber er hat keine Lust als Musiker darüber definiert zu werden. Warum auch? Klingt ein homosexueller Pianist anders? Sorry. 

Die Etiketts und Schubladen, die heute so oft zur Messung von Diversity benutzt werden, sind irreführend. Für die Förderung einer wirklichen Vielfalt sollten wir von den Etiketts wegkommen. Eine wirkliche Vielfalt besteht aus einer Vielfalt im Denken, einer Vielfalt der Erfahrung, einer Vielfalt der Art der Sozialisierung, einer Vielfalt der Bildung und und und. 

Diese Arten von Vielfalt sind viel wesentlicher und bestimmender für die Qualität, als all die Labels und Schubladen, die heute so häufig im Namen der Diversität benutzt werden. Nur leider sind diese echten Vielfaltsmerkmale nicht tauglich für Multiple- Choice- Befragungen. Sie ist schwieriger zu erfassen, dafür wirklich vielseitig und vielschichtig.

«Bei Vielfalt geht es darum, mit Unterschieden klarzukommen, sich selbst und das Gegenüber zu hinterfragen, gemeinsame Nenner zu finden, ohne sich anzupassen.»
Dan Wiener

Nur weil sie so leicht zu messen ist, ist die «Label-Diversity» nicht geeigneter. Sie ist sogar schädlich. Befreien wir die Vielfalt von Etiketts. Dann wird sie sich entfalten können und ihre positive Wirkung auf Kreativität, Innovation und Produktivität deutlich spürbar werden. 

Das klingt jetzt schön. Aber Vielfalt ist weder schön, noch sexy noch hip. Sie ist im ersten Moment meist mühsam. Es geht darum, mit Unterschieden klarzukommen, sich selbst und das Gegenüber zu hinterfragen, gemeinsame Nenner zu finden, ohne sich anzupassen. Die Frage ist, wie die kulturelle und menschliche Vielfalt integriert werden kann, ohne dass sie verschwindet. Die Frage ist, wie die Vielfalt (man könnte auch sagen: die Unterschiedlichkeit) selbstverständlich ihren Platz in der Gesellschaft findet, ohne dass sie ihre Daseinsberechtigung mit Labeln und grossen Parolen behaupten muss.

«Integration und Inklusion beruhen nicht auf Anpassung und Angleichung, sondern darauf, dass wir bereit sind, uns aufeinander einzulassen.»
Dan Wiener

Bei der Frauenförderung geht es nicht darum zu beweisen, dass Frauen die besseren Manager sind. Es geht darum, dass Frauen und Männer gemeinsam neue Formen der Arbeit entwickeln, in denen beide gleichberechtigt Platz finden.

Integration und Inklusion beruhen nicht auf Anpassung und Angleichung, sondern darauf, dass wir bereit sind, uns aufeinander einzulassen, um immer wieder neue (überraschende) Lösungen zu entwickeln. Das passt aber vielen nicht ins Konzept, die eine Label-Diversity anstreben. Sie empören sich lieber über die (existierende) Diskriminierung von Randgruppen, und denken, dass wenn nur die Empörung gross genug würde, würde sich etwas ändern. Irrtum.

Es braucht immer zwei, oder bei der Vielfalt mehrere Seiten für eine Integration, bei der alle aufeinander zugehen, sich finden, austauschen, Verantwortung übernehmen und gangbare Lösungen entwickeln. Wie gesagt, mühsam, aber der einzige Weg. Der Weg ist lang. Der Lohn für die echte Integration kommt erst viel später. Aber er kommt!

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