Fair Pay und Qualität – bei wem kommt es an?

Laut dem neuen Kulturleitbild setzt der Kanton künftig auf Qualität statt Quantität. Und will damit auch endlich faire Gagen ermöglichen. Wie reagiert die Basler Musikszene darauf? Wir haben uns umgehört.

Gare du Nord
Die Leitung des Gare du Nord freut sich über das neue Kulturleitbild. (Bild: Annette Fischer)

Die Basler Musikszene beschäftigt schon länger, wie es bessere Arbeitsbedingungen für Kulturschaffende geben kann. Spätestens seit der Musikvielfaltinitiative werden die Diskussionen intensiver geführt. Neuen Auftrieb bekommt das Thema durch das neue Kulturleitbild, das das Präsidialdepartement vergangene Woche vorgestellt hat. Dabei sind zwei Schwerpunkte besonders aufgefallen: Fair Pay und Qualität über Quantität. Damit will der Kanton auch dem von immer mehr Seiten beklagten kulturellen Überangebot entgegenwirken.

Wie kommt das neue Leitbild in der Musikszene an?

Johanna Schweizer, Co-Geschäftsleiterin des Gare du Nord, spricht von einem «wichtigen und richtigen Signal». Die Produktionsstätte für zeitgenössische Musik ist direkt von der neuen Regelung betroffen. Im Ratschlag des Regierungsrats zur Erneuerung des Staatsbeitrags des Gare du Nord ist von der «Sicherung einer hohen Qualität» und einer «klareren Profilbildung als Kompetenzzentrum für zeitgenössische Musik» die Rede. Konkret heisst das, das Programm um 20 Prozent zu kürzen. Dafür ist die Regierung bereit, den Subventionsbetrag von 495'000 auf 795'000 Franken pro Jahr zu erhöhen – wobei 250'000 Franken davon ein wegfallendes Mäzenat ersetzen, welches in den letzten Jahren den Betrieb gesichert hat. 130'000 Franken des erhöhten Beitrags sollen direkt der freien Musikszene zugutekommen – 30'000 für die jährliche Eröffnungsproduktion, 50'000 als Programm-Etat und 50'000 für Mieterlassungen für freischaffende Musiker*innen. Zudem erwirtschaftet der Betrieb jährlich zusätzliche Gelder, welche ebenfalls in Projekte der freien Szene fliessen.

Co-Leitung © Bettina Matthiessen
Johanna Schweizer (i. d. Mitte), Co-Geschäftsleiterin des Gare du Nord, spricht beim neuen Kulturleitbild einem «wichtigen und richtigen Signal». (Bild: © Bettina Matthiessen)

Besonders die Mieterlassungen sollen die Bedingungen für Freischaffende verbessern. Aktuell ist es nämlich so, dass freie Musiker*innen respektive Ensembles, die mit eigenen Projekten im Gare du Nord auftreten, Mietbeiträge an das Haus entrichten und die Ticketeinnahmen erhalten. Ihre Projekte inklusive Gagen werden nicht direkt vom Gare du Nord, sondern grösstenteils mit Beiträgen aus dem bikantonalen Fachausschuss Musik finanziert.

Dieses System stösst bei Musiker*innen wegen administrativem und finanziellem Mehraufwand immer wieder auf Unmut und führt oft dazu, dass sie aufgrund knapper Projektfinanzierungen am Schluss bei den eigenen Honoraren sparen. Die Mieteinnahmen stellen für das Gare du Nord wiederum eine wichtige Einnahmequelle zur Sicherung des Betriebs dar, die Zahl der Veranstaltungen ist denn auch über die Jahre stetig gestiegen. 

Höhere Honorare auszahlen

Mit der neuen Leistungsvereinbarung soll sie sich nun bei 80 einpendeln – die Mieten für die freien Musiker*innen sollen mit der Beitragserhöhung entfallen. Das heisst, diese haben insgesamt weniger Projektausgaben und können sich dadurch höhere Honorare auszahlen. «Ein freies Ensemble könnte so zum Beispiel dank besserer Konditionen drei statt vier Konzerte im Jahr planen und sich bessere Gagen budgetieren», sagt Co-Geschäftsführerin Schweizer. «Das erlaubt mehr Fokus auf ein Projekt und führt zu höherer künstlerischer Qualität durch bessere Produktionsbedingungen.»

Für Konzerte von Formationen, die bereits aus der Programmförderung Orchester unterstützt werden, sowie für Swisslos-Fonds-unterstützte Festivals bleiben die Bedingungen inklusive Mietbeiträge dieselben.

Abst. Nov24 | Fabian Gisler Musikvielfalt Initiative im Interview
«Fair Pay soll für Institutionen und Projektförderung gleichermassen gelten.»
Fabian Gisler, IG Musik

Laut Regierungsratsbeschluss verpflichtet sich das Gare du Nord, faire Honorare zu zahlen. Dazu gibt es Richtlinien und Empfehlungen der Musikverbände SMV und Sonart. Letzterer hat erst vor wenigen Monaten einen umfassenden Empfehlungskatalog publiziert – faire Bezahlung für einen Konzertauftritt bedeutet danach ein Honorar von 800 Franken, das Minimum seien 600 Franken; bei Proben ist die Empfehlung 300 (Fair Pay) respektive 200 Franken (Minimum Pay). In der Tarifordnung des SMV gilt für eine Kleinformation (bis zwölf Musiker*innen) ein Pauschalhonorar von 741 Franken inklusive Probenarbeit, für Orchester (ab 13 Musiker*innen) ein Konzerthonorar von 293 Franken (inklusive Vorprobe) sowie 185 pro reguläre Probe.

Nur: Die Sonart-Empfehlungen und die SMV-Tarife gelten für das Gare du Nord nur für eigene Produktionen wie die jährliche Eröffnungsproduktion sowie eigene Formate und Projekte wie die neue Residenzreihe «Sonic Boom». Bei anderen Formaten steht es im Moment noch in der eigenen Verantwortung der Musiker*innen, sich selbst angemessene Honorare auszuzahlen, wobei die Budgetierung fairer Gagen in den Förderkriterien des Fachausschuss Musik vorgeschrieben ist. Doch wie erwähnt, sparen Künstler*innen häufig bei der eigenen Bezahlung – zugunsten der Produktion. 

Wie gross sind die Auswirkungen des neuen Kulturleitbilds?

Während die Gare-du-Nord-Leitung mit der neuen Richtung zufrieden ist, hört man von der IG Musik Basel skeptischere Töne. Auch Fabian Gisler, Kopf der IG Musik, findet den Fokus auf Fair Pay wichtig, meint aber: «Fair Pay soll für Institutionen und Projektförderung gleichermassen gelten. Wenn es also aufgrund fehlender Mittel zu mehr Selektion kommen muss, dann nicht nur in der freien Szene, sondern auch bei den Institutionen.» Weiter sagt er, faire Entlöhnung sei kein «Nice-to-have». «Wieso schreibt man zum Beispiel nicht vor, dass für Projekte im Gare du Nord durchgehend Fair Pay gilt?»

Jennifer Perez alias La Nefera, Rapperin
«Es kann nicht sein, dass die institutionelle klassische oder zeitgenössische Musik Fair Pay mit öffentlichen Geldern betreibt und dies in anderen Musikbereichen zu Lasten der Künstler*innen geht.»
Jennifer Perez (La Nefera)

Auch für Jennifer Perez, besser bekannt als La Nefera, ist Fair Pay «ein absolutes Muss». Als Rapperin ist sie in einem anderen Musikstil als das Gare du Nord zu Hause – die neuen Sonart-Empfehlungen sind aber genre-unabhängig formuliert, und auch das Fair-Pay-Konzept des Kantons Basel-Stadt soll übergreifend gelten, also auch für Rap und Pop. «Deshalb braucht es vor allem mehr Fördergelder für das freie Musikschaffen», sagt sie. «Es kann nicht sein, dass die institutionelle klassische oder zeitgenössische Musik Fair Pay mit öffentlichen Geldern betreibt und dies in anderen Musikbereichen zu Lasten der Künstler*innen geht.»

Perez spricht zudem den umstrittenen Punkt der Qualität an: «Es gibt eine weit verbreitete Meinung, dass Qualität und Spitzenkultur nur in der institutionellen Klassik entstehen. Das stimmt nicht – Qualität gibt es in allen Genres und deshalb verdient Qualität auch in allen Genres angemessene Finanzierung.»

Johanna Bartz
«Gesellschaftliche Teilhabe heisst, dass es Konzerte in Quartierszentren, Cafés oder Kirchen gibt, die einfach erreichbar und zugänglich sind.»
Johanna Bartz

Eine Herausforderung wird für die Abteilung Kultur sein, die im Gesetz verankerte Vielfalt und Teilhabe der Kultur nicht zu vernachlässigen, wenn selektiver gefördert wird. Das meint auch Johanna Bartz. Sie ist Musikerin im Ensemble astrophil & stella und wirkt als Mitglied im Verein tonRaum an der Entwicklung von Proben-, Arbeits- und Begegnungsräumen für Musiker*innen verschiedenster Herkunft im «CoDeck» im Hafenquartier mit. «Vielfalt entsteht vor allem durch kleine Projekte», sagt Bartz. «Gesellschaftliche Teilhabe heisst für mich vor allem auch, dass es Konzerte in Quartierszentren, Cafés oder Kirchen gibt, die einfach erreichbar und zugänglich sind.» Genau diese Projekte seien besonders dringend auf Förderung angewiesen, dürften aber durch die stärkere Selektion besonders gefährdet sein.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Theater Basel

Valerie Wendenburg am 30. September 2025

Theater probt aktuell mit anorektischen Menschen

Für das Stück «Jeanne Dark» hat das Theater Basel nach anorektischen Laiendarsteller*innen gesucht – und bekam dafür viel Kritik. Die Suche war allerdings erfolgreich: Aktuell wird mit Erkrankten geprobt, begleitet von psychologischem Fachpersonal.

Weiterlesen
Pascal Messerli Abstimmung

Ina Bullwinkel am 28. September 2025

«Mit einer grossen Kampagne hätten wir dieses Resultat nicht kippen können»

Dass Basel-Stadt die «Zämme-in-Europa»-Initiative deutlich annehmen würde, war für Pascal Messerli erwartbar. Der Präsident der SVP Basel-Stadt findet, das Resultat sei im Vergleich zu anderen Europa-Abstimmungen im Kanton passabel.

Weiterlesen
Sarah Wyss Europa

Ina Bullwinkel am 28. September 2025

«Es geht nicht nur um die Wirtschaft, sondern vor allem um die Menschen»

SP-Nationalrätin Sarah Wyss ist erleichtert, dass die pro-europäische Initiative «Zämme in Europa» in Basel-Stadt deutlich angenommen wurde. Aus ihrer Sicht stellt die kantonale Abstimmung ein «Leuchtturm-Entscheid» für die restliche Schweiz dar.

Weiterlesen

Kommentare