Das Demo-Dilemma – being Stephanie Eymann
Am Samstag wollen Gegner*innen der Corona-Massnahmen in Basel demonstrieren. Den Aktivist*innen um Basel Nazifrei passt das nicht, sie haben zur Gegendemo aufgerufen. Die Polizei steht vor einem kniffligen Entscheidungsspiel.
Die Impf-Massnahmen-Gegner*innen mobilisieren. In Telegram-Chats rufen sie am 9. Oktober zur Demo in Basel auf. Aus linken Kreisen regt sich Widerstand. Die Gruppe Basel Nazifrei ruft für den gleichen Tag zur Gegendemonstration auf. Die Ansage der linken Aktivisti*innen ist klar: «Ihr seid hier nicht willkommen». Unter den Massnahmen-Gegner*innen würden sich Rechtsextreme befinden, schreibt Basel Nazifrei in ihrem öffentlichen Aufruf.
Bei der Basler Polizei ist bisher erst ein Gesuch für die Demo der Massnahmen-Gegner*innen eingegangen. Inzwischen hat die Polizei die Demo genehmigt* (*Update: In einer früheren Version schrieben wir, das Gesuch werde noch geprüft.). Für die Gegendemo wurde Stand jetzt keines eingereicht – und aus Erfahrung wird wohl auch keines mehr kommen.
Der Demo-Samstag kann auf drei verschiedene Arten ablaufen:
- Nur die Massnahmen-Gegner*innen stellen ein Gesuch und bekommen eine Bewilligung.
- Beide Demos ersuchen und bekommen eine Bewilligung.
- Keine Partei bekommt eine Bewilligung.
Bajour hat versucht, sich in die knifflige Lage der Polizeidirektorin Stephanie Eymann zu versetzen und hat die Szenarien durchgespielt.
Szenario A:
Nur die Massnahmen-Gegner*innen stellen ein Gesuch.
Das ist momentan der Fall: Zu der angekündigten Gegendemo von Basel Nazifrei liegt der Polizei kein Gesuch vor, zur Kundgebung der Corona-Massnahmen-Gegner*innen schon. Was bedeutet das für die Basler Polizei?
Sie steht vor der Entscheidung, ob sie auf das Gesuch eingeht und die Demo genehmigt oder nicht. Gemäss der Basler Demo-Praxis, die Regierungsrätin Stephanie Eymann in Form eines Leitfadens publizierte, muss die Polizei alle Gesuche unabhängig von ihrer politischen Stossrichtung «strikt gleich» behandeln. Welcher politischen Seite die Gesuchsteller*innen angehören, darf den Entscheid über die Demo also nicht beeinflussen. Ausserdem nimmt die Polizei «eine umfassende Abwägung aller involvierter Interessen vor und schätzt die Gefahren ein, dass Gewalt oder Sachbeschädigungen vorkommen könnten».
Dafür gibt es im Moment keine Anhaltspunkte. Gegen Corona-Massnahmen können die Demonstrant*innen beispielsweise nicht verstossen, weil es keine gibt: «Für Teilnehmende einer Kundgebung gilt keine Maskenpflicht», heisst es vonseiten der Polizei. Im November bei der letzten Demo gegen Corona-Massnahmen, die in Basel bewilligt wurde, war das noch anders, damals gab es einige Verstösse gegen die Maskentragpflicht. Ansonsten verlief die Kundgebung friedlich. Wäre es zu Gewalt oder Sachbeschädigung gekommen, wäre dies «bei künftigen Gesuchen» wie dem aktuellen berücksichtigt worden, wie es im Demo-Leitfaden steht.
Diese Art der Vorbelastung gibt es nicht. Diese Demo ist rechtens. Ob einem der Inhalt nun passt oder nicht. Und die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht sind zu schützen. Den Gegenprotest wird die Polizei – bewilligt oder nicht – bei ihrem Entscheid über den Ablauf am Samstag einplanen. Polizeisprecher Adrian Plachesi teilt mit: «Zur Einsatztaktik können wir uns nicht äussern. Ziel der Kantonspolizei ist es in jedem Fall, dass Demonstrationen friedlich ablaufen.» Ein Konflikt zwischen den verschiedenen Demo-Teilnehmenden soll demnach verhindert werden.
Was wird Frau Eymann tun?
Die Demo bewilligen. Und die Polizei vor Ort muss ein genaues Auge auf die Gegendemo werfen, die aufgrund fehlendem Gesuch unbewilligt ist. Wo verläuft ihre Route, werden sie den anderen Demonstrant*innen begegnen? Falls ja, müssen die Einsatzkräfte versuchen, die Gruppen zu trennen bzw. umzuleiten. Im Bajour-Interview sagte Eymann zu ihrer Demo-Strategie: «Die Polizei agiert nach den drei D's, Dialog, Deeskalation, Durchgreifen.» Heisst übersetzt: Wenn es mit der Kommunikation zwischen Polizei und Demonstrant*innen nicht klappt, sind Massnahmen wie Gummischrot nicht ausgeschlossen. Auch diesen Samstag nicht.
Szenario B:
Beide stellen ein Gesuch
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Aktivist*innen um Basel Nazifrei doch eine Bewilligungsgesuch einreichen, muss die Polizei entscheiden, ob sie beide Demos ziehen lässt. Beschliesst die Polizei, nur einen der beiden Proteste zu erlauben, ist die Empörung programmiert. Bereits in der Vergangenheit musste sich das JSD Kritik anhören, nicht alle Demonstrations-Anliegen gleich zu behandeln. Man gehe gegen linke Demonstrant*innen strenger vor, als beispielsweise gegen FC Basel-Fans, die spontan zu Kundgebungen aufriefen, so der Vorwurf.
Polizeikommandant Martin Roth sagte darauf angesprochen: «Nein, wir handeln und entscheiden gestützt auf die Verfassung und die gesetzlichen Grundlagen.» Ob Corona-Skeptiker*innen oder Basel Nazifrei – beide Gruppierungen hätten das Recht, kommenden Samstag zu demonstrieren.
Lägen zwei Gesuche vor, könnte die Polizei besser kontrollieren, welche Routen die verschiedenen Demonstrationszüge nehmen, um eine Begegnung zu verhindern. Denn selbst bei einem Gesuch und einer bewilligten Demo können die Antragssteller*innen nicht alleine bestimmen, wo sie durch Basel ziehen. «Die Grundrechte vermitteln keinen Anspruch auf einen spezifischen Ort oder eine spezifische Route; die Kantonspolizei stellt aber sicher, dass Demonstrationen oder Kundgebungen nicht an die Peripherie verlegt werden, sondern an kommunikativ günstiger Lage durchgeführt werden können», heisst es im Demo-Leitfaden.
Was wird Frau Eymann tun?
Dieses Szenario ist eher unwahrscheinlich, da Basel Nazifrei bisher darauf verzichtet hat, ihre Demo bei den Behörden bewilligen zu lassen. Was sie aber wohl nicht davon abhalten wird, kommenden Samstag für ihre Anliegen auf die Strasse zu gehen. Juristisch hat man schlechte Karten. Ohne Bewilligung für die Nazifrei-Demo hat Polizeidirektorin Eymann gar keine andere Option: Die Polizei wird aller Voraussicht nach entsprechend reagieren und die Meinungsfreiheit der bewilligten Corona-Demonstrant*innen – eventuell mit Gummischrot und Tränengas – schützen, sobald man den Demonstrationszug behindert.
Stephanie Eymann hat ihren Kurs bei unbewilligten Demos schon durchgegeben. Als vor circa einem Monat die Aktivist*innen von Gira Zapatista bei einem unbewilligten Protest durch Basel zogen, kam es zu Zusammenstössen mit der Polizei und Gummischroteinsatz gegen die Demonstrant*innen.
Szenario C:
Niemand erhält eine Erlaubnis
Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder die Massnahmengegner*innen sagen ihre Demonstration ganz ab – Basel Nazifrei würde dann womöglich nachziehen – oder beide Gruppen gehen unbewilligt auf die Strasse, um zu demonstrieren. Dann muss sich die Polizei zwei unbewilligten Protestzügen entgegenstellen. Und hat alle Hände voll damit zu tun, dass es bei den ersten beiden D’s bleibt (Dialog und Deeskalation) und Durchgreifen nicht nötig wird.
Was wird Frau Eymann tun?
«Bei nicht bewilligten Demonstrationen, die auch keine Spontandemonstrationen darstellen, versucht die Kantonspolizei die Betroffenen anzusprechen und zum Abbruch zu bewegen», heisst es im Demo-Leitfaden. Sei die Polizei auf diesem Wege nicht erfolgreich und stelle die Demonstration «eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar oder greift sie übermässig in die Interessen Dritter ein, wird sie nach Möglichkeit aufgelöst». Die anwesenden Demonstrant*innen müssen laut Leitfaden bei Widerstand damit rechnen, dass sie «kontrolliert und gebüsst bzw. verzeigt werden».
Polizeikommandant Martin Roth betonte im Bajour-Interview, dass das Eingreifen der Polizei auch vom «Verhalten der Demonstrierenden» abhänge. «Es wird dann schwierig, wenn uns die Teilnehmenden aggressiv begegnen, unsere Anweisungen ignorieren und das Gespräch verweigern.»
Die Kommunikation mit den Demonstrant*innen von beiden Seiten wird in diesem Fall sehr viel schwieriger ausfallen. Um nicht die Folgen einer unbewilligten Kundgebung auf sich nehmen zu müssen, wird sich vermutlich Vermutlich wird sich keine Ansprechperson an die Polizei wenden, um nicht die Folgen einer unbewilligten Kundgebung auf sich zu nehmen. So kann weder die Route des Demonstrationszugs noch die genauen Haltepunkte und der zeitliche Ablauf besprochen werden. Für die Polizei bedeutet das sehr viel mehr Unsicherheit und mehr potenzielle Gefahren, weil Demonstrant*innen an Orten aufeinander treffen könnten, die sie nicht auf dem Schirm hat. Eine Eskalation erscheint damit wahrscheinlicher als bei Szenario A und B.
Was am Samstag tatsächlich passiert, hängt vom Verhalten der Demonstrant*innen ab, vom Vorgehen der Polizei, aber auch von der Dynamik vor Ort.
... mit gaaaanz viel Herz ❤💙💚💛💜 Danke für deine Unterstützung.