Weg mit dem Bittibätti vor Demonstrationen?
Feminist*innen sind ohne Bewilligung auf die Strasse, die FCB-Fans mal so, mal so. Jetzt fordern Linke: Demonstrant*innen sollten die Polizei nicht mehr um Erlaubnis bitten müssen. Auch, wenn Rechtsextreme aufmarschieren?
Eine alte Frage sorgt derzeit für neues Feuer auf dem immer glimmenden Debattengrill. Die Fragen, warum und wie und ob Demonstrationen stattfinden dürfen, werden gedreht und gewendet wie angebrannte Würste an einer feindseligen Gartenparty.
Jüngstes Beispiel: Am vergangenen Samstag marschierten Tausende FCB-Fans vor dem Joggeli auf – zwar mit Bewilligung der Polizei, aber auch mit Prozentigem, Pyros und Partylaune.
Regierungsrat Lukas Engelberger kritisierte nachher gegenüber der BaZ: «Das war ein Volksfest, eine Fanparty, aber sicher keine Kundgebung.» Als solches wäre dieser Anlass sicher nicht bewilligt worden, sagt er. Es könne aus Sicht der Pandemiebekämpfung nicht angehen, dass eine Kundgebung zur Meinungsäusserung als Vorwand genommen werde, um eine Fanparty zu feiern. Das werde man in Zukunft bei der Vergabe von Bewilligungen «berücksichtigen».
Die Polizei selbst sagte nicht viel dazu: «Aus polizeilicher Sicht hat es keine nennenswerten Vorfälle gegeben», sagt Polizeisprecher Martin Schütz.
«Wir fragen nicht, ob wir für unsere Rechte kämpfen dürfen.»Aktivistin gegenüber Bajour
Kritik gab es aber auch schon letzte Woche. Es ging unter anderem um die unbewilligte Demo am Feministischen Kampftag, dem 8. März. 30 Polizist*innen mit Gummischrotgewehren hatten am Montagabend 6 Jugendliche kontrolliert. Eine 14-Jährige wurde in Handschellen abgeführt. Die BastA!-Politikerin Heidi Mück sagte danach während der Grossratssitzung an die Adresse von Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP): «Das können Sie besser.» Eymann sagte nichts dazu.
In den sozialen Netzwerken entbrannte dagegen eine Diskussion darüber, dass die Organisator*innen rund um den «Feministischen Streik Basel» keine Bewilligung eingeholt hatten.
Eine Aktivistin, die nicht mit Namen genannt werden will, begründet gegenüber Bajour: «Wir fragen nicht, ob wir für unsere Rechte kämpfen dürfen.» Es gehe schliesslich darum, «patriarchale Machtstrukturen» zu kritisieren. Diese seien eng mit dem Staat verwoben. «Die Polizei ist Teil eines Systems, das wir anprangern», sagt die Aktivistin. Bei ebendiesem System um eine Bewilligung zu bitten, Kritik äussern zu dürfen, das klingt wie ein Hohn in unseren Ohren.»
Daten direkt an den Staatsschutz
Diese ablehnende Haltung teilen mittlerweile viele linke Aktivist*innen. Sie fühlen sich vorverurteilt und werfen der Polizei unverhältnismässige Repression vor. Jüngste Beispiele sind die harten Urteile im Fall der Nazifrei-Demonstrationen. Die Polizei antwortet auf solche Vorwürfe jeweils, die Einsätze seien verhältnismässig und folgten den Grundsätzen des Polizeigesetzes.
Was manche Gesuchssteller*innen verunsichert, ist die Tatsache, dass ihre Daten unter Umständen beim Einreichen einer Demonstrationsbewilligung direkt an den Staatsschutz weitergeleitet wurden. Unter welchen Bedingungen das geschieht, und was mit den Daten genau passiert, das ist bis heute nicht restlos geklärt.
Die unbewilligte Gegen-Demonstration gegen die Pnos vor zwei Jahren beschäftigt Basel bis heute. Im Interview erklärt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer, ob es legitim ist, dass bei den Prozessen Aufnahmen des Nachrichtendienstes als Beweismittel auftauchen.
Heidi Mück und ihre BastA! standen den linken Bewegungen auf der Strasse schon immer nahe. Die Politikerin ist bekannt dafür, selbst häufig an Demos zu gehen. Am feministischen Kampftag, allerdings, sass sie in einer Fraktionssitzung.
Mück schlägt eine Änderung der Bewilligungspraxis vor. Wenn es nach ihr geht, sollten Demonstrant*innen die Polizei nicht mehr um eine Bewilligung bitten müssen. Sondern sich lediglich anmelden und die Behörden in Kenntnis setzen. Mück argumentiert: « So würde die Handlungsfreiheit nicht durch staatliches Urteil beschnitten.»
Und weiter: «Die Versammlungsfreiheit, sowie das Recht auf freie Meinungsäusserung, sind grundrechtlich verbrieft.» Als Grundrechte stünden sie auf einer Stufe mit, beispielsweise, der Glaubensfreiheit. Oder der Eigentumsfreiheit.
Doch, argumentiert Mück: «Wenn ich das richtig sehe, unterliegt keines dieser Rechte einer Bewilligungspflicht.». Nur bei politischen Kundgebungen müsse man ein «gnädiges Okay» einholen müssen, um seine Grundrechte wahrzunehmen. «Das ist doch eigenartig?»
Nachfrage beim Strafrechtsprofessor: Ist das so?
Tatsächlich ist die Bewilligungspflicht für Demonstrationen eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit, wie Markus Schefer, Staatsrechtsprofessor an der Universität Basel, sagt. Aber: «Diese Einschränkung ist durch zahlreiche Bundesgerichtsurteile abgestützt». Natürlich dürfe das nicht dazu führen, dass gewisse Meinungen zugelassen werden, und andere nicht, sagt Schefer.
Doch: Es gibt auch andere Grundrechte, die eingeschränkt werden: «Wer bauen will und dabei vom Grundrecht auf Eigentum nutzen macht, braucht eine Baubewilligung», sagt Schefer. «Wer einen Fernsehsender eröffnet, was die Medienfreiheit betrifft, braucht eine Bewilligung vom Bund.» Besonders sei lediglich, dass diese Art der Grundrechtsausübung auf öffentlichem Grund vollzogen werde, und daher Staat und Gesellschaft besonders betroffen seien.
«Wir hingen bis zuletzt in der Luft und wussten nicht, ob wir überhaupt laufen durften. Das ist sehr unbefriedigend.»Nicola Goepfert, BastA!/Mitorganisator des «Marches Against Bayer & Syngenta»
Es ist nicht das erste Mal, dass Linke öffentlich über eine Abschaffung der Bewilligungspflicht nachdenken. Mücks Parteikollegen Nicola Goepfert, käme das entgegen. Er hat als regelmässiger Mitorganisator des «Marches Against Bayer & Syngenta» Erfahrungen mit der Bewilligungspraxis der Polizei. Diese empfand er in der Vergangenheit auch schon als Schikane: «Es kam vor, dass wir den Marsch inklusive Route und allen relevanten Faktoren drei Monate im Voraus anmeldeten. Dann wurden wir irgendwann zu einem Gespräch eingeladen. Man besprach alle Formalia. Das definitive OK kam dann zwei Tage vor der Demo. Wir hatten Flyer gedruckt und auf allen Kanälen mobilisiert, hingen aber bis zuletzt in der Luft und wussten nicht, ob wir überhaupt laufen durften. Das ist sehr unbefriedigend.»
Geschäftseinbussen vs. Protest gegen Pestizide
Gemäss Polizeisprecher Toprak Yerguz kann es bis zu zwei Wochen dauern, bis die Polizei ein Demonstrationsgesuch beantworte. «Die genaue Dauer des Verfahrens hängt von der Komplexität der Ausgangslage und den Gesprächen mit den Gesuchstellern (auch deren Erreichbarkeit) ab.»
2018 wurde den Organisator*innen verboten, über die Mittlere Brücke zu laufen. Stattdessen schickte die Polizei die Demonstrant*innen über die Wettsteinbrücke mit der Begründung, es werde zu Verkehrsbehinderungen kommen. Ausserdem hatten sich Ladenbesitzer*innen über drohende Geschäftseinbussen beschwert. Die Linke kritisierte daraufhin, die Polizei gewichte das Recht auf Shopping stärker als die Kritik an globaler Pestizidvergiftung durch den Basler Agrarkonzern.
«Das ist arrogant.»LDP-Grossrat Jeremy Stephenson über den Vorschlag von Heidi Mück
Anders die Bürgerlichen. Die Versammlungsfreiheit ist zwar auch FDP-Grossrat Luca Urgese, Liberaler bis ins Mark, wichtig. Trotzdem will er an der Bewilligungspflicht von Demos festhalten, alles andere findet er höchst illiberal: «Meine Freiheit hört dort auf, wo die der anderen anfängt», sagt er. Die Grundrechte seien immer in Abwägung zu anderen Grundrechten zu interpretieren, sagt Urgese. «Kein Grundrecht ist absolut.»
Auch die Polizei selbst möchte Demonstrationen weiterhin bewilligen und nicht einfach nur abnicken. Der Sinn der Bewilligung sei, dass die Kantonspolizei Basel-Stadt mit den Organisator*innen zusammen eine reibungslose Durchführung der Kundgebung vorbereiten könne, schreibt Polizeisprecher Toprak Yerguz per Mail. «Das sollte im Interesse aller sein.» Dabei berücksichtige die Kantonspolizei weitere Faktoren wie zum Beispiel Parallelveranstaltungen oder die Auswirkungen auf den Verkehr (IV und ÖV). Yerguz: «Aus Sicht der Kantonspolizei gehört es zum Zusammenleben in einer Stadt, dass auf die verschiedenen Bedürfnisse Rücksicht genommen wird.»
Jeremy Stephenson, LDP-Grossrat und ehemaliger Strafgerichtspräsident, hat für den Vorschlag ebenso wenig übrig. «Das ist arrogant. Stellen Sie sich vor, die linksfeministische Kurdische Bewegung würde am Abend, dem 6. Dezember eine Demo anmelden, aber Tausende Basler*innen wollen gleichzeitig Weihnachtseinkäufe tätigen. Es finden Santiklaus-Veranstaltungen statt, die Stadt ist voller Kinder. Das Chaos wäre perfekt.» Aus diesen Gründen können auch Grundrechte nach Abwägung aller Interessen eingeschränkt werden, sagt Stephenson.
Und auch für Andrea Strahm, Fraktionspräsidentin der Mitte/EVP ist die Bewilligungspraxis das richtige Mittel. «Eine Güterabwägung muss stattfinden und es muss auch mal möglich sein, eine Demonstration zu verbieten», sagt Strahm. Grundsätzlich halte sie die freie Meinungsbildung für wichtig. Aber sie frage sich manchmal, ob es den Demonstrierenden wirklich um die Sache gehe. «Wenn es nur darum geht, ein Wir-Gefühl zu bestätigen, dann haben die Demonstranten auch die Berechtigung für die Nutzung der demokratischen Instrumentarien nicht», sagt Strahm.
Demos in Basel
Demonstrationen sind in Basel seit mindestens Dezember 1972 bewilligungspflichtig. Eine Nachfrage bei der Polizei zeigt: Demonstrationen werden in den meisten Fällen bewilligt. Von 2013 bis Ende Oktober 2020 gingen bei der Polizei 1’048 Bewilligungsgesuche für Demonstrationen und Kundgebungen ein, davon wurden 23 nicht bewilligt. Im Jahr 2020 wurden 19 bereits ausgesprochene Bewilligungen aufgrund der Covid19-Verordnung des Bundes nachträglich wieder entzogen.
Doch braucht es nach geltendem Gesetz überhaupt zwingend eine Bewilligung?
Bürgerliche Politiker*innen nennen unbewilligte linke Demonstrationen gerne «illegal». So schwarzweiss ist es aber nicht. Beispiel spontane Kundgebungen: «Diese stellen einen Spezialfall dar», sagt Strafrechtsprofessor Markus Schefer. Nur, weil, eine Veranstaltung keine Bewilligung eingeholt habe, dürfe die Polizei nicht jedes Mittel einsetzen, um die Veranstaltung aufzulösen. «Das darf sie nur tun, wenn die Auflösung verhältnismässig ist.» Etwa, wenn Rechtsgüter verletzt, beispielsweise Personen gefährdet werden. Wenn das aber nicht der Fall sei, müssten spontane Demonstrationen stattfinden können, sagt Schefer, «auch wenn das für manche ein unbefriedigendes Gefühl zurücklässt».
Das war der Fall bei der ersten FCB-Demonstration am 1.März. An dem Abend gingen Fans spontan auf die Strasse, um gegen Präsident Bernhard Burgener zu protestieren. Dies, nachdem das Gerücht herausgekommen war, er wolle den FCB an englische Investor*innen verkaufen. Die Polizei liess die Demonstration zu. Die Begründung von Kommandant Martin Roth: «Es handelte sich dabei um eine spontane Kundgebung, die als Reaktion auf ein unmittelbares Ereignis erfolgt ist.»
Es ist aber nicht so, als ob Linke jeder politischen Kundgebung den Freipass geben würden. Als der ehemalige Justizdirektor Baschi Dürr (FDP) vor zwei Jahren eine Demonstration der rechtsextremen Pnos bewilligte, hagelte es Kritik von links. Und letzten November sagte Heidi Mück im Interview mit Bajour: «Irgendwo hört's auf – Meinungsfreiheit hin oder her – ich hätte die nicht erlaubt. Rassismus und Hetze sind keine Meinung.»