Das Drama dieses Kulturleitbilds ist seine journalistische Reflexion
An der medialen Reflexion des Entwurfs des baselstädtischen Kulturleitbilds zeige sich vor allem eines: Um den Kulturjournalismus stehe es schlecht. Kaum ein*e Journalist*in ordne schlüssig ein. Bajour auch nicht. Das sagt Kulturunternehmer und GLP-Grossrat Johannes Sieber in seiner Replik auf unsere Analyse.
Conradin Cramer hätte meine Motion zur Förderung des Kulturjournalismus nicht bekämpfen sollen. Dieser so wichtige Bestandteil des kulturellen Wirkens, der nicht nur in Basel seit Jahren mehr und mehr zerfällt. Nun liest der Regierungspräsident die Quittung in fast jeder Zeitung.
Sein Kulturleitbild ist ein kleines Meisterstück der politischen Unverbindlichkeit. Es sagt wenig darüber aus, was Basel bekommen wird, als vielmehr, in welche Richtung wir losmarschieren. Das ist richtig so. Die Unverbindlichkeit schafft Raum, um nicht zu sagen Freiraum. Wer sich selbst im Leitbild gerne mehr oder noch besser mehr als alle anderen gelesen hätte, wurde enttäuscht. Das ist die Konsequenz. Doch das eigentliche Drama dieses Entwurfs ist die journalistische Reflexion, die sich an ihm abarbeitet.
Johannes Sieber ist Kulturunternehmer, Kulturpolitiker und Grossrat. Er ist seit 20 Jahren engagiert für eine vielfältiges Basel und hat mit seinem Kulturengagement GayBasel unzählige Veranstaltungen verantwortet. Als Mitglied bei Kulturstadt Jetzt hat er die Trinkgeldinitiative gewonnen und an ihrer Umsetzung mitgewirkt. Er ist involviert in die Programme «Kultur divers gestalten» (Kanton Basel-Stadt) und «Tandem Diversität» (Pro Helvetia). Und er ist Mitglied im Komitee «Der Kulturstadt Basel Sorge tragen», das im August gegründet wurde und das sich gegen die Musikvielfalts-Initiative positioniert.
Liest man die Analyse von Bajour, ist Kulturjournalismus die Multiplikation des Gejammers, das seit der Umsetzung der Trinkgeldinitiative und namentlich der Clubförderung wider Erwarten nicht leiser, sondern lauter geworden ist. Hat nun auch die sogenannte Alternativkultur verstanden, wie es funktioniert mit staatlichen Drittmitteln? Hat sie gelernt, zu Klagen ohne zu leiden? Oder steht es tatsächlich derart schlecht um unsere Kultur?
Genau diese Einordnung wünschte man sich von einem aufgeweckten Medium wie Bajour. Doch was bekommen wir? Unsortierte Einschätzungen und Forderungen, die einen nur stirnrunzelnd zurücklassen können.
«Cramers Kulturleitbild ist ein kleines Meisterstück der politischen Unverbindlichkeit.»Johannes Sieber, Kulturunternehmer und GLP-Grossrat
So fordert der designierte Nachtmanager von Kultur & Gastronomie, es brauche «Fördertöpfe für Veranstalter*innen, Clubbetreiber*innen und Musiker*innen». Also genau das, was wir vor einiger Zeit mit der Clubförderung und kürzlich mit den Kreationsbeiträgen eingeführt haben. Sind es die falschen Gefässe? Oder sind es zu wenig Mittel? Die kritische Nachfrage von Bajour? Sie bleibt aus.
Zu Recht sagt der ehemalige Betreiber eines Nachtcafés im Text, dass Gäste mehr Awareness bräuchten, «wo sie ihr Geld liegen liessen». Das stimmt. Doch ebenso wichtig ist das Wofür. Ist der Rückgang des Konsums von Longdrinks für CHF 18.50 tatsächlich eine Folge fehlender Awareness – oder nicht doch eher gerade Ausdruck eben dieser? Eine Kontextualisierung bei Bajour? Sie bleibt aus.
«Man kann von Kulturleitbildern halten was man will. Die Vergangenheit lehrt uns: was drin steht, ist weder wirklich relevant noch bindend.»Johannes Sieber, Kulturunternehmer und GLP-Grossrat
Und dann das ewig’ Ding um die Livemusik. Ja, es ist schwierig, wenn kein Publikum mehr gewillt ist, 20 Franken für das Konzert einer lokalen Band zu bezahlen, das konstatiert Bajour korrekt. Dass darum staatliche Drittmittel nicht nur der einzige Ausweg, sondern geradezu ein existenzielles Grundrecht sein sollen? Das klingt doch sehr nach einer zum Scheitern verurteilten Initiative. Kulturjournalistischer Filter bei Bajour? Er bleibt aus.
Man kann von Kulturleitbildern halten was man will. Die Vergangenheit lehrt uns: was drin steht, ist weder wirklich relevant noch bindend. Es ist jedoch keineswegs so, dass die Politik untätig wäre, wie Bajour das im Titel der Analyse behauptet. Um den Herausforderungen der Kultur im neuen Jahr zu begegnen, hat die Politik diverse Stellschrauben erörtert und teils bereits via Parlament adressiert. Hier eine Auswahl von drei:
Die Mieten
Steigende Mieten sind nicht nur für Mieter*innen von Wohnungen ein Problem, sondern auch für die Produktionsorte der Kultur. Darauf braucht es ein kritisches Augenmerk. Auf welcher Grundlage berechnet Immobilien Basel-Stadt (IBS) die Mieten unserer staatlich geförderten Kulturinstitutionen? Warum sind diese Mieten steigend und warum ist nicht die Kostenmiete die Referenz? Welchen privaten Immobilienbesitzer*innen finanzieren wir in welchem Ausmass die Rendite ihrer Liegenschaft – mit Geldern, die eigentlich in der Kulturproduktion ankommen sollten?
Und auch: Warum benötigen unsere Kulturinstitutionen immer mehr Räume? Für Büros? Dass Kulturfördermittel nicht in Immobilien investiert werden, ist ein Anliegen von Politiker*innen. Ein Beispiel dafür ist die schriftliche Anfrage betreffend die Mietkosten im Kulturbereich und die Kostenmiete für subventionierte Institutionen und Betriebe der Kultur.
Der Overhead
Ein weiterer Grund, warum staatliche Mittel nicht in der Kulturproduktion ankommen, sind die Overheads der Institutionen. Also alles, was sich mit Management, Geschäftsführung und eben nicht direkt mit Kulturproduktion beschäftigt. Von der Kaserne bis zum Kunstmuseum war dieser Teil der Organisationen in den letzten Jahren wachsend. Damit sei nicht gesagt, dass diese Mitarbeiter*innen ihr Geld nicht wert wären. Doch sie müssen auch bezahlt werden, wenn die Institution weniger Kultur produziert.
Das ist entscheidend, wenn der Regierungsrat glaubt, die Reduktion beispielsweise der Spieltage hätte eine qualitätsbringende Wirkung, weil dieselben Mittel in weniger Spieltage investiert würden. Diese Rechnung scheitert, wenn die Mittel vom weiterwachsenden Overhead geschluckt werden. Auch, dass Kulturfördermittel in der Kulturproduktion ankommen, ist ein Anliegen von Politiker*innen, was diese beiden schriftlichen Anfragen betreffend die Berücksichtigung neuer Honorarrichtlinien im Bereich Musik (SONART) und betreffend die Einführung eines Werkjahrs für Musik- und Kulturschaffende aufzeigen.
Die Resonanz
Kulturschaffende bewegen sich im Spannungsfeld zwischen innerem Ausdruck und öffentlicher Resonanz. Ohne dieses Spannungsfeld verliert das Kulturschaffen an kulturpolitischer Relevanz. Es muss uns darum zu denken geben, wenn der Preis für den Konzertbesuch unter den Preis des Netflix-Abos sinken muss, um noch eine Nachfrage zu generieren.
«Zahl so viel du willst» oder grad gänzlich kostenloser Zutritt – die Verzweiflung ist der Preisgestaltung anzusehen. Dabei geht es noch nicht mal um die Selbstfinanzierungsquote oder marktwirtschaftliche Prämissen. Es geht schlicht um die Frage, ob all die Kultur, die hier finanziert werden will, überhaupt einen Resonanzraum findet.
Die Förderung der Reflexion der Kultur, aber auch Partizipation und Teilhabe sind Anliegen von Politiker*innen, wie verschiedene Vorstösse zeigen: Beispielhaft sind die schriftliche Anfrage betreffend eine Strategie zur Steigerung der Zahlungsbereitschaft für Kultur, der Anzug betreffend Stärkung der Teilhabe an Kultur durch Ausbau und Konsolidierung des Angebots der «KulturLegi», das
Budgetpostulat 2026 betreffend Präsidialdepartement, Kultur, Transferaufwand (KulturLegi), der Anzug betreffend Ergänzung des Kulturfördergesetzes zwecks Förderung des Kulturjournalismus oder die schriftliche Anfrage betreffend Erweiterung von temporären Kulturplakatstellen im öffentlichen Raum.
Während sich das Jahr 2025 leise dem Ende zuneigt, hat die politische Diskussion über faire Gagen von Musiker*innen sowie die Förderung von Kulturbetrieben wieder an Fahrt aufgenommen. Conradin Cramers Hoch-Kulturleitbild sucht nach Antworten – vergeblich, analysiert Valerie Zaslawski.
Die Herausforderungen des Kulturbetriebs sind durchaus in der Politik präsent. Und diese sucht auch nach Lösungen. Es ist bloss so, dass der Streit der Kulturschaffenden um ihr wohlverdientes Stück des Kuchens nun wirklich kein Novum ist. Dieser Streit ist die einzige Konstante. Die hier genannten Entwicklungen hingegen sind relevant für eine Kulturpolitik jenseits dieses Verteilkampfs. Und wünschenswert wäre ein Kulturjournalismus, der dem Rechnung trägt.