Basel verliert seine Nächte – und die Politik schaut zu
Während sich das Jahr 2025 leise dem Ende zuneigt, hat die politische Diskussion über faire Gagen von Musiker*innen sowie die Förderung von Kulturbetrieben wieder an Fahrt aufgenommen. Conradin Cramers Hoch-Kulturleitbild sucht nach Antworten – vergeblich, analysiert Valerie Zaslawski.
Basel ist müde geworden. Die Lichter gehen früher aus, die Türen bleiben öfter geschlossen, Orte, an denen man sich zufällig begegnet ist, verschwinden leise. Das Rouine ist weg. Die Friends Bar bald auch. Im Sääli, wo früher getanzt wurde, finden heute Lesungen statt. Orte, die nicht perfekt waren, keine polierten Konzepte hatten – dafür lebendig waren. Nun entstehen neue Ideen, denn, wie der Nachtmanager Roy Bula zu Bajour sagt, trage die Clubkultur den Wandel in ihrer DNA: «Wenn sich die Branche etwas gewohnt ist, dann ist es die Anpassung an eine Umwelt, die sich stets in Bewegung befindet. Und dies kann auch als Chance gesehen werden.»
Es wird ausprobiert, neu gedacht, umgebaut. Doch vieles davon wirkt wie ein Rettungsboot auf offener See: engagiert, mutig, aber allein. Was verloren geht, lässt sich nicht kompensieren. Denn das Problem ist kein einzelner Club, keine einzelne Bar. Es ist strukturell. Die Zeiten sind herausfordernd: Nicht nur die Gagen, auch die Miet- , Personal- und Stromkosten steigen. Dass das nicht immer einfach ist, ist auch dem Nachtmanager Bula bewusst. «Deswegen ist das Zuhören, Feedback einholen und Community Building wichtiger denn je – um den Bedürfnissen junger Clubbesucher*innen gerecht zu werden.»
Live-Clubs unter Druck
Von einem Clubsterben wollen die Szenekenner*innen nicht sprechen. «Der Begriff ist reisserisch und verspricht mediale Leserzahlen – mit der Realität hat er aber nichts zu tun», findet Bula. Tatsächlich leidet nicht die ganze Stadt beziehungsweise leiden nicht alle Clubs gleichermassen. Wie der Nachtmanager sagt, funktionierten vor allem Formate mit einem hohen Community-Building. Auch das Clubbarometer 2025 zeigt Fortschritte: Professionalisierung, bessere Programmplanung, mehr Vernetzung, mehr Sensibilität für Prävention und Sicherheit. Unter Druck stehen vor allem Live-Clubs, also soziale Orte, die ohne Hochglanz Möglichkeitsräume für eine freie Kulturszene schaffen.
«Wenn sich die Branche etwas gewohnt ist, dann ist es die Anpassung an eine Umwelt, die sich stets in Bewegung befindet. Und dies kann auch als Chance gesehen werden.»Roy Bula, Basler Nachtmanager
Um die kulturelle Vielfalt aufrechtzuerhalten, braucht es neue Modelle, da scheint man sich einig zu sein. Mit dem Clubfördermodell leistet Basel hier bereits Pionierarbeit: Die Clubs haben erstmals die Möglichkeit, Beiträge für ihr Programm oder ihre Infrastruktur zu erhalten. Dies soll kein Rettungsanker sein, wie das Musikbüro im Interview mit Bajour bereits betont hat. Vielmehr soll es den Erhalt von einem qualitativ hohen und diversen Kulturprogramm garantieren. Die Clubförderung wird derzeit überarbeitet.
Kampf ums Überleben
Doch unter Druck stehen nicht nur die Orte, sondern auch die Menschen, die in den (Live-)Clubs auftreten. Kulturschaffende kämpfen seit Jahren ums Überleben. Dass Clubs schliessen, ist allerdings nicht der Hauptgrund, weshalb Musiker*innen schlecht verdienen, Auftrittsmöglichkeiten gibt es immer noch zu genüge. Doch in Zeiten von Spotify-Streaming-Brosamen ist den Musiker*innenn ein wichtiges Einkommensstandbein weggebrochen und Live-Auftritte sind finanziell viel wichtiger geworden.
Die Mechanismen ähneln sich: Clubs sollen faire Gagen zahlen, divers programmieren und professionell arbeiten. Gleichzeitig steigen deren Kosten, doch das Publikum ist für lokale Acts nur widerwillig zahlungsbereit. Während für internationale Grosskonzerte problemlos 200 Franken ausgegeben werden, sind 20 Franken für eine lokale Band oft schon zu viel.
«Es braucht mehr Awareness, wo man sein Geld liegen lässt.»Hischem Rouine, ehemaliger Betreiber des Rouine
So sagte der ehemalige Betreiber des Rouine, Hischem Rouine, als bekannt wurde, dass sein Laden schliessen wird zu Bajour, dass auch die Konsument*innen mit ihrem veränderten Ausgeh- und Konsumverhalten ihren Teil dazu beitragen: «Es braucht mehr Awareness, wo man sein Geld liegen lässt.» Die Menschen würden viel erwarten, aber wenig geben.
Dass die Strukturen prekär sind, weiss man seit Jahren. Und dennoch bleibt die politische Antwort erstaunlich folgenlos. Auch das neue Kulturleitbild, das die kulturpolitische Strategie des Regierungsrates festlegt und sich bis kurz vor Weihnachten in der Vernehmlassung befand, ändert daran wenig. Zwar wird in dem Entwurf die bedrohliche Lage der freien Kulturszene benannt. Doch Benennen ersetzt kein Handeln. Wer das Prekarität beschreibt, ohne es zu bekämpfen, verwaltet es.
Im Grundsatz setzt das Leitbild auf Fair Pay – also auf weniger Veranstaltungen bei besseren Löhnen. Doch ohne zusätzliches Geld wird daraus ein Etikettenschwindel, wie «Kulturstadt Jetzt» in seiner Vernehmlassungsantwort kritisiert. Denn faire Löhne zu fordern, ohne die finanziellen Mittel bereitzustellen, bedeute letztlich, die Verantwortung an jene weiterzureichen, die selbst am Limit arbeiten. Sprich: Es sei unfair, dass Live-Clubs mehr bezahlen sollen, obwohl sie selbst kaum überleben. So findet auch Nachtmanager Bula: «Es braucht Fördertöpfe für Veranstalter*innen, Clubbetreiber*innen und Musiker*innen. Nur so ist ein Fair Pay auf allen Ebenen möglich.»
Cramers Handschrift
Es wäre verkürzt, das Leitbild, welches klar die Handschrift von Regierungspräsident Conradin Cramer trägt, als eine verpasste Chance zu bezeichnen. Vielmehr ist es (s)eine bewusste Entscheidung, auf etablierte Kultur zu fokussieren, was auch die Grünen kritisieren. Nach dem deutlichen Nein zur Musikvielfalts-Initiative im vergangenen Jahr lautet Cramers politische Lesart: kein Auftrag zur Veränderung. Kein Auftrag für mehr Geld. Stattdessen wird justiert, beruhigt und moderiert. Fair Pay ja – aber ohne Fair Funding. Die Musikvielfalts-Initiative bleibt dran und versucht sich nun mit der Idee einer fairen Förderung auf nationaler Ebene Gehör zu verschaffen.
Wo ist die Strategie, die sagt: Diese Orte, diese Menschen, diese Szenen sind uns wichtig – und wie sichern wir sie ab?
Während Cramer vonseiten der LDP für seinen Entwurf weitgehend Applaus bekommt, kritisiert sogar die FDP, dass die Bedeutung von Festivals für die Jugend- und Alternativkultur im aktuellen Entwurf zu wenig zur Geltung kommen. Tatsächlich profitiert Basel von ihnen enorm: Sie beleben Quartiere, schaffen Sichtbarkeit, vernetzen Szenen. Und doch erscheinen sie im Leitbild vor allem als einzelne Ereignisse, nicht als Strukturen.
Hier fehlt es an einer Strategie, die Antworten gibt auf steigende Kosten, fehlende Infrastruktur, langfristige Absicherung. Projektförderung allein reicht nicht. Sie ist zu unsicher, zu kurzatmig. Für viele Festivals bedeutet das jedes Jahr dieselbe Existenzfrage. Dass das Pärkli Jam oder die BScene 2025 pausieren, um sich neu zu orientieren, ist kein Zufall. Es ist Teil derselben strukturellen Vernachlässigung, die auch manche Clubs und Bars trifft.
Es fehlt an politischem Willen
Stattdessen wird einmal mehr Vielfalt beschworen und Vernetzung gelobt. Doch wo ist die Gesamtstrategie, die sagt: Diese Orte, diese Menschen, diese Szenen sind uns wichtig – und wie sichern wir sie ab? Es fehlt nicht an Problembewusstsein, sondern am politischen Willen, Konsequenzen zu ziehen. Eine Stadt, die sich gerne als Kulturstadt versteht, müsste mehr tun, als den Status quo vorsichtig zu verwalten.
Basel wird weiter neue Konzepte hervorbringen. Menschen werden Räume öffnen, Risiken eingehen, Zeit und Energie investieren. Aber ohne strukturelle Antworten bleibt das ein Wettlauf gegen die Erschöpfung. Die Frage ist nicht, ob Basel Kultur hat. Die Frage ist, welche Kultur diese Stadt bereit ist zu halten, wenn sie nicht institutionell abgesichert ist, nicht in Budgets gegossen, nicht in Abonnements verpackt. Vielleicht ist es Zeit, aufzuhören, vom kulturellen Reichtum zu sprechen –
und stattdessen darüber, was wir bereit sind zu tun, damit er nicht weiter verschwindet.