Sexismus-Skandal: Aktionärsvertreter wollen den Tamedia-Verleger abwählen
Die Ethos-Stiftung kritisiert das Zürcher Medienunternehmen scharf und spricht von einer schlechten Unternehmensführung. Kritik übt auch Governance-Expertin Monika Roth.
Das ist ein Artikel von TippinPoint, dem neuen Wirtschaftsmedium für Finance, Sustainability und digitale Transformation.
Die Ethos-Stiftung erhöht den Druck auf Verleger und Verwaltungsratspräsident Pietro Supino. Geschäftsführer Vincent Kaufmann sagt zu Tippinpoint: “Wir haben uns schon in der Vergangenheit sehr kritisch über die Unternehmensführung der TX Group geäussert, indem wir uns gegen die Wiederwahl des Präsidenten und mehrerer Verwaltungsratsmitglieder ausgesprochen haben.”
Wegen des Sexismus-Skandals geht der einflussreiche Aktionärsvertreter jetzt noch einen Schritt weiter: “Wenn wir vor der Generalversammlung keine Verbesserungsmassnahmen erhalten, könnten wir die Entlastung verweigern.”
Es sei nie gut für ein Unternehmen und damit auch nicht für seine Aktionäre, in eine solche Kontroverse verwickelt zu werden, sagt er. Ethos, die an Generalversammlungen etwa 5 Prozent der Stimmen mobilisieren kann, stellte der TX Group in den letzten Jahren ein schlechtes ESG-Rating aus. Es befindet sich auf der untersten Stufe.
Nicht mal das Mindeste, was ein Aktionär erwarten kann
Kaufmann begründet die tiefe Einstufung mit der “schlechten Unternehmensführung und der mangelnden Transparenz”. In einem ESG-Rating werden nicht-finanzielle Belange wie Gleichstellung, Chefgehälter, Umgang mit Beschäftigen oder die Umweltbelastung bewertet.
“Das Unternehmen hat keinen Verhaltenskodex veröffentlicht, in dem eine ‘Null-Toleranz’ gegenüber Mobbing und Belästigung festgeschrieben wäre”, kritisiert Kaufmann. Darüber hinaus gebe es keine öffentlichen Hinweise auf eine unabhängige Meldestelle für Missstände. “Dies ist das Mindeste, was ein Aktionär eines börsennotierten Unternehmens erwarten kann”, sagt der Ethos-Chef.
Er hat klare Forderungen an Supino und den TX-Verwaltungsrat: “Wir erwarten eine deutliche Verbesserung der Unternehmensführung nach der Aufdeckung des Falles. Wir warten nun auf die Veröffentlichung des Jahresberichts und die nächste Einladung zur Generalversammlung, um zu sehen, was der Verwaltungsrat zu tun gedenkt, um die Situation zu verbessern.”
Ein, zwei, drei Skandale
Der Sexismus-Skandal um den ehemaligen “Magazin”-Chefredaktor bricht nicht ab. Vor einer Woche erhob die frühere Mitarbeiterin Anuschka Roshani im “Spiegel” schwere Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Vorgesetzten und “Magazin”-Chefredaktor Finn Canonica. Unter ihm habe ein Regime des Mobbings geherrscht. Er habe sie verbal herabgesetzt, sie einmal als “die Ungefickte” bezeichnet.
Es ist nicht der erste Skandal, den das Unternehmen erschüttert. Im Jahr 2021 protestierten über 100 Tamedia-Frauen gegen das ruppige und sexistische Arbeitsklima. Der Protest löste ein riesiges Medienecho aus. Intern wurden Workshops veranstaltet, Männer mussten ihr Verhalten rechtfertigen. Etliche Frauen wurden daraufhin in Chefpositionen befördert. Unter anderem in die zuvor rein männlich besetzte Tamedia-Chefredaktion.
Einen weiteren Eklat gab es mit der Entlassung eines Journalisten aus dem Zürich-Ressort. Obschon seine Texte von seinen Vorgesetzten gutgeheissen worden waren, wurde er entlassen. Vordergründig ging es um ein missratenes, mit antisemitischen Klischees gespicktes Portrait. Doch auch mit anderen Beiträgen habe er habe den “Groll des Verlegers” auf sich gezogen, schrieb die Republik . Inwiefern Supino Druck auf die Redaktionsleitung ausgeübt habe, ist umstritten.
Wie die WOZ schrieb, hatte sich Stäuble ausgiebig bei Verleger Supino entschuldigt, "für den die journalistische Unabhängigkeit stets dort aufhörte, wo sie seine eigene Befindlichkeit tangiert". Wie ein Sprecher der TX Group festhält, sei die "Entlassung nicht durch Pietro Supino veranlasst" worden. Die Chefredaktion habe diese Entscheidung getroffen.
Braucht Tamedia noch Chefs?
Seither gilt: Jeder Journalist, jede Journalistin muss mit der Entlassung rechnen, selbst wenn die Chefredaktion einen Text gutheisst. Viele Journalisten fragen sich jetzt: Warum braucht es bei Tamedia überhaupt noch Chefs oder Chefinnen?
Auch im jüngsten Fall macht der Verleger des grössten privaten Medienkonzerns der Schweiz keine gute Figur. Es gibt viele Ungereimtheiten, es fehlt die Transparenz. Die NZZ (Abo) warf die Frage auf, weshalb das “System Canonica” bei Tamedia so lange geduldet wurde.
Gemäss einer Stellungnahme der Tamedia-Chefredaktion waren Roshani Vorwürfe erst seit im Frühjahr 2021 bekannt. Ein externes Anwaltsbüro habe während einer monatelangen Untersuchung festgestellt, dass der “Magazin”-Chef durch “nicht angebrachtes Verhalten” aufgefallen sei.
Dieser Untersuchungsbericht wurde in einer stark gekürzten Fassung veröffentlicht. Darin hiess es, die Tatbestände der sexuellen Belästigung, des Mobbings und der Diskriminierung seien “im Wesentlichen zu verneinen”. Darin werden auch Vorwürfe an Roshani öffentlich gemacht. Unter anderem “Shopping während der Arbeit” und “schlecht über den Vorgesetzen reden als Mobbingform”.
Monika Roth: Vorwürfe von ganz unterschiedlicher «Flughöhe»
Governance-Spezialistin Monika Roth kritisiert das Gutachten, das von der Kanzlei Rudin Cantieni erstellt wurde. Ihr fällt auf, dass der Bericht Vorwürfe von ganz unterschiedlicher “Flughöhe” gegenüberstellt. Laut Roth ist es “ein Unterschied, ob eine Person nicht erreichbar ist wegen Shopping oder ob man in Fäkalsprache angesprochen wird.”
“Das Gutachten übergeht jedenfalls, dass es sich wohl mehrheitlich um Vier-Augen-Situationen gehandelt hat, und tut so, wie wenn ein eigentliches Beweisverfahren mit Beweislastregeln angemessen gewesen wäre. Mich macht das misstrauisch. Ich würde gerne den genauen Auftrag an den Gutachter kennen und wissen, mit wem er alles gesprochen hat”, sagt Roth, die unter anderem als Strafrichterin am Gericht des Kantons Baselland tätig ist.
Wer das Gutachten in Auftrag gegeben hat und was die Gutachterfrage war, dazu wollte sich die TX-Kommunikationschefin Ursula Nötzli nicht äussern. Sie sagt: “Zum aktuellen Fall haben wir in den vergangenen Tagen verschiedene Statements abgegeben. Mehr können wir zum aktuellen Fall derzeit nicht sagen. Auch zum Bericht werden wir derzeit keine zusätzlichen Angaben mehr machen.”
«Eine schmutzige Geschichte»
Derweil fand am Mittwochnachmittag eine Tamedia-interne Orientierung statt. Verleger Supino soll laut NZZ von einer "schmutzigen Geschichte" gesprochen haben, auf die man jedoch korrekt reagiert habe. Er und Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser hätten "davon nichts gewusst".
Interessant ist allerdings auch, dass es bereits früher einen Untersuchungsbericht gab. Dieser wurde vom renommierten Anwalt Peter Nobel verfasst. Laut "NZZ am Sonntag" beschuldige Canonia ein langjähriger Redaktor, seinen Computer mit einer Spy-Software gehackt zu haben. Die Untersuchung Kanzlei Nobel & Hug kam jedoch zum Schluss, dass es keinerlei Indizien gebe, dass der Redaktor E-Mails von Canonica mit einer Drittperson zu Gesicht bekommen habe, weitergeleitet oder behändigt habe.
Supino muss die Kritik von Ethos eigentlich nicht kümmern. Sie stellt keine unmittelbare Gefahr für seine Macht im Konzern dar. Denn sein Familienpool hält eine komfortable Mehrheit am Konzern. Aufmüpfige Aktionäre können weder seine Abwahl noch die Décharge erzwingen. Das könnte nur die weitverzweigte Verlegerfamilie, indem sie ihm das Vertrauen entzieht.
Doch für die Reputation des Medienunternehmers sind die Vorgänge ein Debakel.
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In einer früheren Version stand, dass es bei der Untersuchung durch die Kanzlei Nobel & Hug um die Aufarbeitung einer Affäre zwischen dem Chefredaktor und einer Angestellten ging. Das ist falsch. Die entsprechende Stelle wurde berichtigt.
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