Der Direktor mit der KMU-Brille

Seit Januar ist Reto Baumgartner der neue Direktor des Gewerbeverbands. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger will sich Baumgartner nicht für einen bürgerlichen Schulterschluss stark machen. Warum nicht?

Reto Baumgartner
Reto Baumgartner fühlt sich beim Gewerbeverband wohl. (Bild: Michelle Isler)

Turnschuhe, Poloshirt, energischer Händedruck. Reto Baumgartner geht voraus in sein Büro an der Elisabethenstrasse. Der Raum im EG ist geräumig und bietet Aussicht auf die Elisabethenkirche. Deswegen hat sich der neue Gewerbeverbandsdirektor aber nicht für dieses Büro entschieden. Vom früheren Sitzungszimmer ist ein Tisch übrig geblieben, die Wände sind noch kahl, der Raum aufgeräumt. «Ich dachte, ich habe sowieso viele Sitzungen, also kann ich auch gleich dieses Büro nehmen», sagt Baumgartner. Er ist ein Pragmatiker.

Reto Baumgartner Gewerbeverband
Zur Person

Seit Anfang 2023 ist Reto Baumgartner, ehemaliger Profifussballer und aktueller Vereinspräsident des FC Basel, der neue Direktor des Basler Gewerbeverbands. Sein Weg führte 1990 vom aargauischen Wettingen nach Basel, weil der FCB ihn wollte. Baumgartner wollte auch: «Die Fussballstadt Basel und meine Fussballbegeisterung machten diesen Entscheid schnell klar», sagt er. Seine sportliche Karriere beendete er 1994 aufgrund einer Verletzung und stockte dann seinen Teilzeitjob als Personalfachmann am Hauptsitz von Manor auf 100 Prozent auf. Seit 2001 arbeitet er beim Gewerbeverband, ab 2008 war er Vizedirektor, seit Januar 2023 nun Direktor.

Baumgartner kennt die Räumlichkeiten gut. Vor 22 Jahren kam er als Leiter Berufs- und Weiterbildung zum Gewerbeverband. Damals habe er ein bisschen gelächelt über seinen Vorgänger, der die letzten 23 Jahre bis zur Pension beim Gewerbeverband gearbeitet habe. «Das ist ja schon eine lange Zeit.» Er kratzt sich am Kopf und lacht: «Und jetzt habe ich es selber geschafft.»

Baumgartner ist 56, auch er wird einmal eine langjährige Stelle an eine*n Nachfolger*in übergeben. Bis dahin dauert es aber noch ein paar Jahre. In der Zwischenzeit will Baumgartner in seiner neuen Rolle dafür sorgen, «dass der Gewerbeverband weiterhin erfolgreich unterwegs ist».

Seinen ersten Auftritt als neuer Direktor hatte Baumgartner am traditionellen Neujahrsempfang. Der Gewerbeverband präsentierte einen Imagefilm, darauf angesprochen lacht Baumgartner. Das Erste, was man von ihm im Video zu sehen bekommt: seine weissen Turnschuhe. Und ein bisschen Selbstironie.

«Ich wollte einen ersten Pflock einschlagen mit diesem Auftritt am Neujahrsempfang, zeigen, dass wir eine familiäre Beziehung zueinander haben, uns nicht zu ernst nehmen und doch ein seriöser Verband mit einer langen Tradition sind», erzählt Baumgartner an diesem Freitagnachmittag, zurückgelehnt in einem der vier Sessel, die den Sitzungszimmer-Teil vom Schreibtisch-Teil seines Büros abgrenzen. Der Ton des Videos sei sein Impuls gewesen. «Die Idee dahinter war, unsere Mitglieder zu überraschen, unsere Mitarbeitenden zu zeigen und unseren Verband auf humorvolle Art zu zeigen.» 

Die Reaktionen darauf und auch auf den Führungswechsel seien «sehr positiv» gewesen. «Die anderen Stimmen höre ich vielleicht auch einfach weniger», wirft er ein, «aber grundsätzlich ist mir und auch dem neuen Präsidenten Hansjörg Wilde bisher viel Goodwill entgegengebracht worden. So ein Anfang ist natürlich schön.»

«Klar wünschen wir uns, dass es einen bürgerlichen Schulterschluss gibt, aber es ist nicht an uns, dafür zu sorgen. Das ist Aufgabe der Parteien.»
Reto Baumgartner, Direktor Gewerbeverband Basel-Stadt

Vor einem Jahr, als klar wurde, dass Baumgartner als amtierender Vizepräsident auf den abtretenden Direktor Gabriel Barell folgen wird, sagte er in der BaZ, neue Schwerpunkte brauche es nicht, ebenso wenig eine neue Ausrichtung des Verbandes.

Im Sommer 2023 hörte man dann doch neue Töne vom Verband. In Bezug auf die neue Kampagne «Gewerbe in die Politik» erklärt Baumgartner der bz: «Wir suchen Politikerinnen und Politiker mit Bezug und Verbundenheit zum Gewerbe, aber parteiübergreifender als in der Vergangenheit.» Im Kontrast dazu: Vorgänger Barell, der zum Beispiel an der Gewerbetagung 2022 den bürgerlichen Parteien Dampf gemacht hatte, weil diese keine Listenverbindung mit der SVP für die nationalen Wahlen eingehen wollten. «Die bürgerlichen Parteien sollten doch bitte über ihren Schatten springen, anstatt in Schönheit zu sterben», zitierte ihn die bz

Kurz und energisch verneint Baumgartner die Frage, ob solche Aussagen von ihm auch zu erwarten wären. «Listenverbindungen sind kein KMU-Thema, sondern ein politisches», findet er. «Klar wünschen wir uns, dass es einen bürgerlichen Schulterschluss gibt, aber es ist nicht an uns, dafür zu sorgen. Das ist Aufgabe der Parteien.» Also doch eine Neuausrichtung? Der 56-Jährige sagt es so: «Die bürgerlichen Parteien sind uns von den Themen her nach wie vor in den meisten Fällen näher als die linken. Aber seit dem ersten Januar ziehen wir vorwiegend die KMU-Brille an», erklärt er. «Und ich glaube, wir sind heute ein bisschen offener für andere Meinungen.»

Lorenz Amiet SVP
«Ich nehme Reto Baumgartner bis anhin nicht als sehr politischen Menschen wahr, erst langsam beginnt er sich zu positionieren. Dabei ist das Amt des Gewerbeverbanddirektors ein hochpolitsches Amt.»

– Lorenz Amiet, Grossrat SVP

Das kommt im politischen Basel unterschiedlich gut an. Lorenz Amiet, SVP-Grossrat, Mitglied der Wirtschafts- und Abgabekommission und Basler Unternehmer, sagt: «Ich glaube, bei diesem Umbruch im Gewerbeverband würde ich den Wortteil ‹Bruch› stärker als bei vergangenen Wechseln betonen. Ich nehme Reto Baumgartner bis anhin nicht als sehr politischen Menschen wahr, erst langsam beginnt er sich jetzt ein bisschen zu positionieren. Dabei ist das Amt des Gewerbeverbanddirektors ein hochpolitsches Amt.»

Amiet findet es zwar unumgänglich und richtig, dass der Gewerbeverband mit Unternehmer*innen von links das Gespräch sucht, man müsse aber schauen, dass man das «traditionelle Gewerbe nicht vor den Kopf stosse». Letzteres sagt auch LDP-Präsidentin Patricia von Falkenstein. Sie frage sich, ob Baumgartner das mit der Öffnung nicht «ein bisschen übertreibe».

Wenn es zum Beispiel unter den bürgerlichen Parteien Streit gebe, so Amiet weiter, sei es «die Kernaufgabe des Gewerbeverbandes, im Sinne der Wirtschaft die bürgerlichen Parteien zur Ordnung zu rufen» – wie das letztes Jahr Barell tat. Er erwarte von Baumgartner nicht, dass er diese Rolle gleich ab Amtsantritt einnehme. «Aber in den nächsten Jahren wünsche ich ihm und auch dem neuen Präsidenten, dass sie in diese Funktion reinwachsen.» Im Moment sei er diesbezüglich noch «eher skeptisch».

Michela Seggiani
«Ich wünsche mir künftig mehr Dialog und Sichtbarkeit des Unternehmertums mit verschiedenen politischen Ansichten. Und da bin ich mit Blick auf Reto Baumgartner optimistisch.»

– Michela Seggiani, Grossrätin SP

Wie blickt Baumgartner selbst auf die Zeit als Vizedirektor unter Barell zurück? Gab es Spannungen wegen der unterschiedlichen Haltungen? Nein, meint Baumgartner. «Es ist ja nicht so, dass der Gewerbeverband früher alles falsch gemacht hat. Klar sind wir nicht immer gleicher Meinung gewesen», sagt er, der Austausch sei aber «sehr konstruktiv» gewesen. 

Zuversichtlicher ob der Nachfolge als Lorenz Amiet zeigt sich SP-Grossrätin und Unternehmerin Michela Seggiani: «Kürzlich hat der Gewerbeverband ein Podium mit allen fünf bisherigen Nationalrät*innen organisiert. Das war früher überhaupt nicht so. Das an sich ist doch schon wegweisend», meint sie. Sie kenne Baumgartner auch geschäftlich. Der Verein Genderbox, bei dem sie ein Mandat hat, wurde vom Verband beauftragt, an der Berufsmesse einen Stand zur geschlechtsunabhängigen Berufswahl zu machen. «Dass der Gewerbeverband uns dann prominent im Eingangsbereich platziert hat mit so einem Thema, fand ich ein bemerkenswertes Zeichen.» 

Seggiani sei überzeugt, dass es mehr Grossrät*innen mit KMU-Hintergrund braucht und freut sich, dass sich der Gewerbeverband offen dafür einsetzen will. «Ich wünsche mir künftig mehr Dialog und Sichtbarkeit des Unternehmertums mit verschiedenen politischen Ansichten. Und da bin ich mit Blick auf Reto Baumgartner optimistisch.»

«Es gab Situationen, wo ich aus einer Sitzung mit dem Regierungsrat kam und mich dann mit jemandem aus der Muttenzerkurve zum Kaffee traf.»
Reto Baumgartner, Direktor Gewerbeverband Basel-Stadt

Persönlich will sich Baumgartner keiner Partei zuordnen. Nicht mehr, muss man sagen. 2008 kandidierte er erfolglos für die CVP für den Grossen Rat. «Als dann die Kinder da waren» – er hat drei – «bin ich mit meiner Familie von Basel nach Therwil gezogen und kam dort mal auf eine FDP-Liste, weil mein Nachbar bei der FDP war und sie noch jemanden brauchten», rekapituliert er. Gewählt wurde er zwar nicht, trotzdem schaffte er es dann als Nachrückender in die Therwiler Gemeindekommission. «Das habe ich aber in der Zwischenzeit aufgegeben, ich bin ja im Moment nicht am Politisieren.»

Zwei Themen treiben den Direktor derzeit am meisten um: Arbeitskräftemangel und Netto-Null 2037. Beim Arbeitskräftemangel habe der Verband bereits Massnahmen etabliert, zum Beispiel eine Stellenbörse 50+ oder die Basler Berufs- und Weiterbildungsmesse (BBWM). «Da könnten wir vielleicht noch mehr tun, wir sind grad mitten in einer Auslegeordnung», so Baumgartner. Betreffend der Klimaneutralität sei der Verband im Gespräch mit der Regierung. 

«Netto-Null bis 2037 sehen wir klar als Chance, wir verstehen uns als Teil der Lösung», sagt er. Er sehe diesbezüglich zwar schon viele innovative KMU, «andere sind aktuell noch, ich nenne das mal ‹in abwartender Lauerstellung›» – Baumgartner malt mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft – «bis der Kanton die Strategien und Massnahmen definiert hat».

Der wieder gewaehlte Vereinspraesident Reto Baumgartner, rechts, gratuliert Carol Etter, links, zur Wahl als Delegierte des Vereins an der 128. ordentlichen Mitgliederversammlung des Vereins FC Basel 1893 in Basel, am Montag, 23. Mai 2022. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Auch anderswo engagiert: Reto Baumgartner wurde 2022 als Vereinspräsident des FC Basel wiedergewählt. (Bild: © KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

Schliesslich gibt es aber auch da kein Patentrezept. Baumgartner verweist mehrfach auf die Individualität der verschiedenen KMU und ihren Herausforderungen in der Stadt. So auch bei den grossen Entwicklungsarealen – etwa Franck, Klybeck, Dreispitz, wo sich das Gewerbe mitunter sorgt, Flächen zu verlieren. Für Basel sei es wichtig, dass das «lokale Gewerbe und das typische Handwerk» in der Stadt erhalten bleibe. Auch aus ökologischen Gründen mache das Sinn, um ihre Anfahrtswege kurz halten zu können. «Aber unter dem Strich sind es da dann individuelle Problemstellungen der einzelnen Unternehmen.» Als Gewerbeverband stehe man jedenfalls mit den Arealentwickler*innen in Kontakt.

Und dann ist die Zeit fürs Gespräch um, Baumgartner will noch einen Anlass vorbereiten. «Vorträge mag ich nicht», sagt er, aber er habe sich daran gewöhnt. Networken, auf unterschiedliche Leute zugehen, das sei es, was ihm an seinen Rollen gefalle. «Es gab Situationen, wo ich aus einer Sitzung mit dem Regierungsrat kam und mich dann mit jemandem aus der Muttenzerkurve zum Kaffee traf.»

Die nächste Gelegenheit bietet sich ihm schon heute Abend an der jährlichen Gewerbetagung.

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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