«Der Leichenwagen war unser Familienauto»

Kulturjournalistin Esther Schneider spricht mit der Krimiautorin Christine Brand über ihr neustes Buch «Der Feind», das es bereits auf Platz 2 der Schweizer Bestenliste geschafft hat.

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Die Autorin Christine Brand schlüpft für ihre Krimis mal in den Körper eines Mörders, und begeht eine schreckliche Tat. Ein paar Seiten weiter ist sie im Kopf des Polizisten, der zu Beginn überhaupt nichts weiss. (Bild: Lauren Rattray)

Als Kind wollte Christine Brand Detektivin oder Schriftstellerin werden. Als Krimiautorin hat sie beides vereint, sowohl das Schreiben wie das Aufdecken von Verbrechen. Soeben ist ihr neuster Krimi «Der Feind» erschienen und hat es bereits auf Platz 2 der Schweizer Bestenliste geschafft. Er handelt von Frauenhass und Selbstjustiz. Ihr bewährtes Ermittlerpaar verfolgt Attentäter, die im Netz zum Frauenmord aufrufen und in der Berner Reitschule ein schreckliches Blutbad anrichten. Die Spur führt zu den Incels, das sind Männer, die Frauen als minderwertige Wesen bezeichnen. Christine Brand findet aber noch eine andere Spur zu einer makabren Mordserie an Männern, die tot und mit roten Stöckelschuhen an den Füssen in ihren Betten aufgefunden werden. Die Autorin legt geschickt verschiedenen Fährten aus, welche die Lesenden bis zum Schluss in die Irre führen und für Spannung sorgen.

Im Gerichtssaal gibt es viele Emotionen, da prallen unterschiedliche Gefühle aufeinander.
Christine Brand, Schweizer Krimiautorin

Christine, du hast lange als Gerichtsreporterin gearbeitet und über wahre Verbrechen geschrieben. Jetzt erfindest du Verbrechen und schreibst darüber Krimis. Ist das ein grosser Unterschied?

Ja, sehr. Beim fiktiven Schreiben spiele ich Schicksal. Da kann ich machen, was ich will. Wenn mir jemand auf die Nerven geht, kann ich ihn sterben lassen oder mache ihn zum Mörder. Manchmal fühlt es sich an, als wäre ich als Person ein ganzes Theater, in dem ich jede Funktion innehabe. Ich bin Regisseurin, ich ziehe den Vorhang im spannendsten Moment zu, bin die Frau hinter dem Scheinwerfer und Schauspielerin auf der Bühne.

Was passiert in deinem Kopf, wenn du dir ein Verbrechen ausdenkst?

Beim Krimischreiben habe ich eine gespaltene Persönlichkeit. Ich schlüpfe mal in den Körper eines Mörders und begehe eine schreckliche Tat. Dies auf möglichst clevere Weise, weil ich ja nicht erwischt werden will. Ein paar Seiten weiter bin ich im Kopf des Polizisten, der an den Tatort kommt und zu Beginn überhaupt nichts weiss. Ich kenne dann Motiv und Täter nicht, obwohl ich das Verbrechen ja selbst begangen habe. Also, was da in meinem Hirn während des Schreibens abgeht, das ist schon schräg.

Hilft dir deine frühere Tätigkeit als Gerichtsreporterin, dich in den Kopf eines Mörders zu versetzen?

Unbedingt. Ich habe vielen Täterinnen und Tätern zugehört. Dabei habe ich tragische Lebensschicksale gesehen. Im Gerichtssaal gibt es viele Emotionen, da prallen unterschiedliche Gefühle aufeinander. Das hat mich geprägt und das beeinflusst sicher auch meine Geschichten. Aber: Vor allem habe ich gesehen, dass Menschen, die ein Verbrechen begehen, keine Monster sind, sondern Menschen, wie du und ich.

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Zur Person

Christine Brand ist eine der erfolgreichsten Schweizer Krimiautor*innen. Ihre Krimis schaffen es regelmässig auf die Bestsellerliste. Geboren und aufgewachsen ist sie im Emmental. Sie hat bei verschiedenen Medien als Journalistin und als Gerichtsreporterin gearbeitet. Heute lebt und arbeitet sie als Autorin und Journalistin in der Schweiz und in Sansibar.

Was hat dich im Gerichtssaal am meisten überrascht oder verstört?

Dass es wahnsinnig wenig braucht, bis man in einem Gerichtssaal landet. Und zwar sowohl als Täter*in als auch als Opfer. Diese Linie, die man dafür überschreiten muss, ist dünn. Und was mich faszinierte, das sind die verschiedenen Lebenswege, die da aufeinanderprallen und die Geschichten dahinter, wie es dazu gekommen ist. Man sieht in die Abgründe der Menschen.

Ein Strang in deinem neuen Krimi «Der Feind» spielt in der sogenannten Incel-Szene. Das sind Männer, die Frauen hassen. Frauenhass als Mordmotiv, wie bist du auf dieses Thema gestossen?

Incel steht für unfreiwillig zölibatär lebende Männer. Und ich bin auf einen Artikel gestossen über ein Attentat in Deutschland, bei dem vermutet wurde, dass der Täter aus dieser Incel-Szene stammt und aus Frauenhass gehandelt haben könnte. Das, was ich da gelesen habe, war sogar für mich als ehemalige Gerichtsreporterin völlig neu und erschütternd.

Du hast für den Krimi im Netz über die Incel-Szene recherchiert. Was hast du da gefunden?

Schreckliches. Ich recherchiere immer gern, aber diese Recherche war eine Qual. Ich habe mich unter einem Fake Profil eingeloggt, wie meine Figur im Buch auch. Als ich drin war und gelesen habe, worüber sich die Männer unterhalten, wurde mir schlecht.

Was hat dich so geschockt?

Da tummeln sich Männer mit starken Minderwertigkeitsgefühlen. Männer, die noch nie mit einer Frau intim waren. Sie rufen sich gegenseitig dazu auf, sich an Frauen dafür zu rächen. Meist verbunden mit einem Selbstmord. Dabei sollen aber mindestens auch ein paar Femoids draufgehen. Femoids ist ein abwertender Begriff für Frauen. Frauen werden nicht als gleichwertige Menschen, sondern als eine Art Unterwesen betrachtet. Also abscheuliche Sachen liest man da.


«Die rechtliche Ordnung wird zwar hergestellt, aber Gerechtigkeit gibt es damit nicht.»
Christine Brand, Schweizer Krimiautorin

Hast du keine Angst, dass du auffliegst und man sich an dir rächen wird.

Nein, ich bin kein ängstlicher Mensch. Ich denke, dass nur von ganz wenigen dieser Männer eine reale Gefahr ausgeht. In der Realität sind es harmlose, bemitleidenswerte Männer.

Incels sind nur eine Fährte im Buch. Die zweite Fährte führt zu einer Person, die sich an übergriffigen Männer durch Morde rächt. Da geht es um Selbstjustiz. Ein heikles Thema.

Ja, das Recht versagt, wenn es um Gerechtigkeit geht. Ich habe das im Gerichtssaal oft erfahren. Die rechtliche Ordnung wird zwar hergestellt, aber Gerechtigkeit gibt es damit nicht. Die Tat kann nicht wieder gutgemacht werden. Da kommt bei einigen der Gedanke an Selbstjustiz auf. Bloss ist das keine Lösung. Aber als Thema für einen Krimi natürlich interessant.

In deinen Krimis geht es immer um Tod. Zieht dich das nicht runter?

Der Tod war mir immer schon sehr nahe. Ich war als Kind umgeben vom Tod. Ein Nachbar war Metzger, da hörte ich das Quicken sterbender Schweine.  Der andere Nachbar war Jäger und hängte die Leiber von geschossenen Rehen vor dem Haus auf. Und mein Vater war der Bestatter des Dorfes. Der Leichenwagen war unser Familienauto. Damit sind wir auch in die Ferien gefahren. Mir wurde also sozusagen eine morbide Ader in die Wiege gelegt.

Könntest du unter gewissen Umstände selber zur Mörderin werden?

Ja…


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Esther Schneider spricht in ihrem Podcast «Literatur Pur» regelmässig mit Autor*innen. Wir von Bajour dürfen die Gespräche als schriftliche Interviews aufbereiten. Weil Literatur es wert ist. (Foto: MARA TRUOG) (Foto: MARA TRUOG) (Bild: MARA TRUOG)

Unter welchen Umständen Christine Brand selber zur Mörderin werden könnte, das hört ihr in der neusten Folge des Podcasts LiteraturPur. Da erzählt sie auch, weshalb sie heute mehrheitlich auf der ostafrikanischen Insel Sansibar lebt und wie sie als Kind im Leichenwagen nach Italien in die Ferien gefahren ist.

Hier geht es zum Podcast.

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