Die Fasnacht steht nie still

Wenn man von der Basler Fasnacht spricht, dann kommt das Stichwort Tradition nicht zu kurz. Doch ein wesentliches, unverzichtbares Element ist der immerwährende Wandel der Fasnacht.

Morgestraich
Lieber weg vom Gedränge. Dann sehen auch die Handylichter mehr aus wie Kopflädäärnli. (Bild: Charles Habib)

Schon am Abend vor dem Morgestraich ist die Stadt vorfreudig aufgekratzt, jedes Jahr. Viele Ausländer*innen, zum Teil offensichtlich Bekannte oder Verwandte, kommen angereist, aus einem Zürcher Autos schälen sich bei uns im Quartier umständlich ein Waggis und eine Alte Dante, ein Binggis schleppt mit seinem Papi eine überdimensionierte Trommel nach Hause, voller Stolz. Laternen und Requisiten werden aus den Depots Richtung Innerstadt gezogen.

Stunden später, um drei Uhr morgens dann, der Menschenstrom zur Innerstadt: Holzzoggeli-Getrappel und Ueli-Glöggligebimmel. Spätestens auf der Lyss der erste Menschenstau, am Spalenberg gibt’s Dichtestress, dabei ist’s erst halb Vier. 

Ich weiche aus und bevorzuge die obersten Stufen der Kohlenbergtreppe – ein schöner Ausblick auf Steinenberg und Kohlenberg, abseits des Gedränges. Dort oben ist mir aufgefallen, dass seit einigen Jahren das Blitzlichtgewitter praktisch verschwunden ist. Die Lichter der unzähligen Smartphones sind da viel weniger störend, sie haben etwa die Helligkeit von Kopfladäärnli. Als Trommler hat mich die dauernde Blitzerei ziemlich genervt: Da bist du für eine Minute praktisch blind.

Dä blödi, helli Fotiblitz, mues y saage, stöört e bitz.

Der Wandel: Auch bei der Fasnacht ist er überall zu sehen, zu hören. Oftmals wird Tradition an der Fasnacht über alle Massen gehätschelt. Doch der Wandel war schon immer deren fester Bestandteil. Der Lokalhistoriker Rudolf Suter wähnt zwar die Ursprünge des Morgestraichs im Mittelalter, aber in der heutigen ähnlichen Form habe er erst 1838 stattgefunden – das sind keine 200 Jahre her. 

Jeisi Migger beim ehem. Stammlokal der Alte Stainlemer «Merkur» an der Stänzlergasse, ca.1927
Noch nicht 200 Jahre her, dafür fast 100: Die Jeisi Migger, die älteste noch existierende Guggenmusik, ca. 1927 beim ehemaligen Stammlokal der Alte Stainlemer «Merkur» an der Stänzlergasse. (Bild: Archiv der Jeisi Migger Guggenmusik 1926)

Und was heisst schon ähnlich? Da zogen im Schein von Fackeln Vereine mit Hellebarden und Brückenwagen umher, wilde Haufen, Handorgeln, Mandolinengruppen und Geigen spielten auf. Vor 150 Jahren war die Fasnacht noch keine von allen Volkskreisen getragene Veranstaltung. «Die alte städtische Oberschicht, weit gehend bürgerlich-pietistisch geprägt, hielt sich von ihr fern», schreibt Suter. Es war Fasnacht «von unten», viel mehr als heute, wo es einige sehr bürgerliche Daig-Cliquen gibt. 

Doch das «von Unten» (und der Tritt nach oben) hat sich erfreulicherweise gehalten und ist noch immer ein gesellschaftliches Ventil, welches Dampf ablassen kann – und zwar öffentlich. Selbstredend spielt der Humor eine Rolle, was paradoxerweise dazu führt, dass auch Regierungsmitglieder sich gebauchpinselt fühlen, wenn sie auf die Schippe genommen werden.

Wirsch an dr Fasnacht uf d Rolle gschoobe, kasch di sogar no sälber loobe.

Alles nur geklaut

Die Basler Pfeifer- und Trommelkunst geht auf die napoleonische Vergangenheit Europas zurück. On joue à la française, s’il vous plait! Un détail, par exemple? Ein Basler Fünferruf (klingt etwa wie «rrrrräng!») hat ein wütendes Crescendo mit Betonung auf dem Schluss. In der angloamerikanischen Trommelweise klingt der Ruf wie «pärrrr!». Die Betonung liegt auf dem ersten Schlag. Heute sind im Basler Trommeln immer mehr britische Stilelemente zu hören, zum Teil mit sehr komplizierten Rufkombinationen. 

Richtig geraten: So funktioniert kulturelle Aneignung. Und so funktioniert auch kulturelle Entwicklung. Anders herum: Ohne Aneignung und Austausch keine kulturelle Entwicklung. Das sei an dieser Stelle einfach wieder mal in Erinnerung gerufen. Oder um den Song «Alles nur geklaut» von der deutschen Band «Die Prinzen» zu zitieren (auch sie können Värsli prinzeln):

«Das ist alles nur geklaut, und gestohlen, nur gezogen, und geraubt. Entschuldigung, das hab ich mir erlaubt!»
(gestohlen von den Prinzen)

Einige Entwicklungen der Fasnacht sind natürlich auch hausgemacht. Die Qualität des Piccolo- und Trommelspiels hat sich in den vergangenen 30, 40 Jahren enorm verbessert. Sicherlich tragen die Instruktor*innen dazu bei, die, so vermute ich, auf einem ganz anderen Niveau unterrichten als früher.

Und die Guggenmuusigen? Noch 1950 war es üblich, dass diese oft mit Instrumenten umherzogen, die knapp ihren Namen verdienten – verbeulte Dinger, die im früheren Leben einmal Trompete oder Horn waren. Eine Giesskanne konnte da mithalten, und das tönte entsprechend. Die älteste noch aktive Gugge in Basel ist heuer 99 Jahre alt. Es sind die Jeisi-Migger, eine Gruppe, die sich aus Mitgliedern der Alten Stainlemer formiert hat. Ihr Auftritt in Frack und Zylinder ist noch immer stilvoll und legendär.

  • Jeisi Migger am unteren Klosterberg ca. 1950

    Die Jeisi Migger am unteren Klosterberg ca. 1950. (Bild: Archiv der Jeisi Migger Guggenmusik 1926)

  • Jeisi Migger am Drummeli 1946

    Und hier bei ihrem Auftritt am Drummeli 1946. (Bild: Archiv der Jeisi Migger Guggenmusik 1926)

Heute haben die Guggen oft einen ausgefeilten Bigband-Sound mit präzisen Schlagzeug- und Percussionscombos. Auch tauchten einige professionelle Streetbands auf, wie etwa Error 404. Etwas schade, dass der schräge Charme der verpfuschten alten Guggen auf der Strecke geblieben ist. 

Wandel! Immer wieder spriesst Neues, Exotisches. Seit vielen Jahren zieht eine Sambatruppe um die Häuser, auf Plätzen spielt das Fasnachtsorchester auf. Und vor einiger Zeit war in Fasnachtsbeizen eine Schnitzelbank-Rap-Gugge-Fusion zu hören – buchstäblich unerhört. Wie das läuft? Ein Schnitzelbänggler röhrt in einen Schalltrichter einen Zwei- oder Vierzeiler mit maximaler Pointe, dann knallt die Bläser*innenmeute in einen funky Break – und so weiter. So cool kann Fasnacht sein.  

Gugge, ein Exportschlager

Übrigens: Auch wir in Basel lassen uns gerne beklauen! Die legendären Lozärner Guggen sind ein Basler Exportgut. «In Luzern, wo 1948 eine Basler Formation am Fritschi-Umzug teilnahm, wurde noch an der gleichen Fasnacht eine Gruppe auf Initiative des in Luzern wohnhaften Baslers Sepp Ebinger gegründet», schreibt der Volkskundler Dominik Wunderlin. Diese Band habe im Jahr darauf an der Zürcher Fasnacht teilgenommen, wo bereits 1948 durch zwei Basler eine Guggenmusik auf die Beine gestellt worden war. 

In Solothurn schliesslich, wo eine «Chesslete» den Fasnachtsbeginn bildet, liess sich 1949 der Obmann einer Fasnachtszunft an der Basler Fasnacht inspirieren und gründete mit den Zunftmitgliedern kurz darauf die erste Solothurner Guggenmusik. 

In Luzern haben die Basler*innen eine Lawine losgetreten. Die Entwicklung war enorm – so massiv, dass in den 70er-Jahren die Luzerner*innen plötzlich die Nase vorn hatten. Basel brauchte Jahre, bis der Rückstand zu Luzern wieder aufgeholt war.

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