Endlich sind wir wieder wer – so wars am Public Viewing von «Die Beschatter»

Basel ist mal wieder gross im Fernsehen. Dass das nicht immer gut aussieht, vermiest an der öffentlichen Premiere mitten auf dem Marktplatz niemandem die Laune. Ein Besuch beim nächsten Talk of the Town.

Beschatter
(Bild: Daniel Faulhaber)

Weil uns die aktuelle Krise ausnahmsweise nicht nur abstrakt, sondern konkret beschäftigt (Energiemangel, kalter Winter), sind zurzeit politisch und kulturell mehr oder weniger verordnete Gegenmanöver im Gang, um wenigstens unsere Herzen warmzuhalten. Die Herbstmesse darf zum Beispiel auch im Klageherbst 2022 energetisch aus dem Vollen schöpfen und kommt nicht in abgespeckter Version daher. Im Regionalfernsehen war unlängst zu hören, das hätten sich die Leute verdient. 

Aber nicht nur das: Auf dem Marktplatz ging gestern Abend die Premiere der neuen SRF-Krimiserie «Die Beschatter» über die Bühne und Form wie Inhalt dieses Events liessen an ein Lagerfeuer denken. Endlich leuchtet mal wieder was in Basel! Züri hat den Tatort und auch sonst eigentlich alles. Aarau hatte den «Bestatter», das Wallis «Tschugger», das Berner Oberland und das Jura haben «Wilder» und wir? Vor zehn Jahren das letzte Hunkeler-Kapitel (Hunkeler und die Augen des Ödipus), seither Stillstand. 

Folgerichtig wurde also die Wiederkehr Basels auf der cineastischen Landkarte des Landes mit einem Public Viewing begangen, weil wir sind jetzt wieder wer. 

Allein, wer sind wir denn, respektive, wie werden wir nun diesem Land vor Augen geführt? 

Und: Wer will sich das tatsächlich reinpfeifen, live, an einem Sonntagabend kurz vor 20:00 Uhr und bei bissiger Kälte?

Antwort: Erstaunlich viele. Blitzumfrage im Publikum, 20 Minuten vor Filmstart. Zwei junge Fragen sind gar nicht wegen Lokalpatriotismus da, sondern zufällig an der Leinwand vorbeigelaufen. Jetzt sind sie trotzdem neugierig, was hier abgeht, weil «wann sieht man diese Stadt schonmal im Fernsehen?» Schauen sie denn überhaupt Fernsehen, also linear, Sonntagabend? Die zwei schauen sich an. «Nein». 

Kerstin und Pascal wohnen in Basel und sind extra auf den Marktplatz gefahren, um «Die Beschatter» zu sehen. Das habe ihr schon bei der Hunkeler-Serie sehr gut gefallen, sagt Kerstin, dass sie die Drehorte erkannt habe. Pascal findet auch das Public Viewing eine schöne Idee. «So haben auch die Leute was davon». Dann sind da noch Aline und Kimi, ca. 25 Jahre alt. Sie fanden Tschugger gut und hoffen auf «sowas Ähnliches»

Beschatter
Kerstin und Pascal freuen sich darauf, ihre Stadt auf der Leinwand wiederzuerkennen. (Bild: Daniel Faulhaber)

Fazit vor Anpfiff: Das Publikum steht der Sache wohlwollend gegenüber. Rund zwei Drittel der blauen Plastikstühle sind besetzt, die Mövenpick Brasserie gegenüber hat extra einen «Der Beschatter 2022» - Grill aufgebaut (Grüner Frosch: 6 Franken) und der Regierungspräsident Beat Jans am Mikrofon ein paar nette Sachen über die Serie gesagt. Dann geht's los. 

Hauptsache Dynamik

Hauptschauplatz der ersten beiden Folgen ist das heruntergekommene «Büro» eines Ex-Polizisten, der jetzt als Privatdetektiv Schnüffel-Nachwuchs ausbildet. Der Ort soll in der Serie am Hafen liegen (die Beschatter werden von der Polizei als «Hafenratten» bezeichnet), in der Realität liegt das Büro in einer alten Lagerhalle auf dem Lysbüchel. In der zweiten Folge spendiert Doro Iselin, eine ältere Dame mit erwartbar exaltierten Baasel-Dyytsch (gespielt von Esther Gemsch), der kargen Halle ein paar benutzt aussehende Möbel, und fortan hat also das örtliche Herz dieser Serie den Look eines Start-Up-Cafés in Berlin Prenzlauer Berg. 

Kurz auf den Pausenknopf drücken, Zwischenfazit: In dieser Serie wird also nicht die Postkartenseite, sondern das unfertige Basel herausgekehrt. Überall sind Baustellen und unverputzte Wände und eine Dönerbude. Das steht symbolisch für Abbruch oder Aufbruch, egal, Hauptsache Dynamik. Dass in den ersten beiden Folgen weitgehend auf aufdringliche Close-Ups städtebaulicher Wahrzeichen (Münster, Rathaus) verzichtet wird, hat man angesichts des Finanzierungsbeitrags von fast 400’000 Franken durch die beiden Basel nicht erwarten dürfen, Stichwort Standortmarketing. 

Leidenschaftlich in Szene gesetzt sind dafür eine Basler Biermarke, der Zolli und, na klar, der FC Basel. Wobei auffällt, dass der FC Basel mit echtem Namen und echtem Logo und echter Kulisse (Drehort: Nachwuchscampus) zu sehen ist, während der Hauptsponsor des Vereins zwar als lokaler Konzern identifiziert wird, aber über irgendeinen Fantasie-Namen verfügt. Das könnte auch am Plot liegen: Der Sponsor in der Serie will einen Top-Spieler für Werbezwecke in Szene setzen – aber der Spieler hat die falschen Freund*innen und ein Drogenproblem, wie die Detektiv-Schule aufdeckt. Vom Marketing-Gedanken her fand das der echte FCB-Sponsor vielleicht doch nicht so gut.

Moral der Geschicht: Man darf ab und zu schummeln, wenn man hinterher dafür grade steht.

Nun ja, wir drücken den Play-Knopf, weiter gehts. Kamerafahrten über Industriegelände, ein bisschen Autorennen, Clubs, Elefantengehege, Rotlichtmilieu. Die Grundspannung liefern die verlässlichen Koordinaten oben und unten, wobei alle Figuren irgendwie sympathisch sind (sogar die Bonzen), aber nur die Mittellosen kriegen in Folge 1 und 2 so etwas wie ein Innenleben und damit ein Ziel im Leben. Moral der Geschicht: Ans Ziel kommt, wer hart genug dafür arbeitet. Und: Man darf ab und zu schummeln, wenn man hinterher dafür grade steht. 

Die Handlung bedient also klassische Topoi (Aussenseiter*innen kämpfen um den Anschluss an die Gesellschaft). Leider wirkt die Figurenzeichnung ein bisschen so, als hätten sich die Hausautor:innen eines beliebten Laientheaters eine Vorfasnachtsvertanstaltung zusammengekumpelt. 

Da ist der Oberdetektiv Leo Brand (Roeland Wiesnekker), streng, gutes Herz, Finanzprobleme, Alkoholprobleme, Familienprobleme. Seine Meisterschüler*innen sind die genannte Dame aus dem Daig, ein Heiratsschwindler (Martin Rapold) mit schönen Haaren, ein arroganter Dichter und Klugscheisser (Martin Butzke, spricht Hochdeutsch), eine junge Troublemakerin (Meryl Marty, arm aber dickköpfig, muss ihre möglicherweise tote Mutter finden) und ein Fussballfan (Dardan Sadik, mehrgewichtig, hohes Identifikationspotenzial wegen FCB, fährt Mofa weil das sieht im Kontrast mit der Körpermasse putzig aus). 

Das Personal dieser Serie ist teilweise schon aus früheren Schauspiel-Einsätzen bekannt, vom Publikum geschätzt und von Fachleuten für gut befunden worden. Allein, in «Die Beschatter» ist leider wenig Raum für Raffinesse. Text, Mimik und Gestik sind in vielen Szenen wie mit dem Zweihänder aus dem Steinbruch der Schauspielerei gehauen. Gestaunt wird mit ganz grossen Augen, wer sich ärgert, schlägt oft irgendwo drauf. Bis zum ersten Züri-Witz dauert es zehn Minuten, er geht ungefähr so: 

Treffen sich zwei Haie im Meer. Sagt der eine, «ich habe einen Russen gefressen. Der hatte so viel Alkohol intus, ich bin noch ganz blau». Da sagt der andere Hai. «Das ist noch gar nichts. Ich habe einen Zürcher gefressen, der war so aufgeblasen, seither kann ich nicht schwimmen.»

Gelacht wird trotzdem 

Das Schöne an öffentlichen Zusammenkünften wie diesem Public Viewing ist ja nun aber ihr Charakter als Sofortprüfung für Kunst im Auge des*der Betrachter*in. Und gemessen an den Reaktionen auf dem Marktplatz war das alles nicht so schlimm, im Gegenteil. Es wurde viel gelacht im Publikum, ja, die Heiterkeit war mit den Händen zu greifen. Oder steckte doch diese Ur-Basler Eigenschaft dahinter, zu Gästen einfach sehr nett und heeflig, zu sein? Steckte im lauten Lachen über wirklich erstaunlich dusselige Slapsticks eine Art kollektiver Performance-Druck im Publikum und die Angst, unter den Augen des Film-Teams das weiter vorne in der ersten Reihe Platz genommen hatte, griesgrämig oder gar undankbar zu wirken? 

Beschatter
Kenny, Maren und Dan waren mit dem Serienauftakt zufrieden. (Bild: Daniel Faulhaber)

Nun, wir wollen vom Besten ausgehen: Die Serie kam einfach gut an. Auch bei Kenny, Maren und Dan, die nach der Vorführung auf dem Marktplatz standen und allesamt fanden, es habe eh Spass gemacht und schliesslich sei das ja erst der Anfang gewesen, da komme ja noch mehr. Auch der Regierungspräsident Beat Jans fühlte sich gut unterhalten, sagte er nach den ersten beiden Folgen, vor allem der Fussballfan Milan Gjoka habe ihm gut gefallen. Dass sich die Stadt Basel in «Die Beschatter» eher von einer düsteren Seite zeigt, findet Jans gut so. «Schliesslich ist es eine Krimi-Serie». 

Jetzt sei er gespannt, wie es weitergehe, sagt Jans. Insgesamt sind sechs Folgen abgedreht, die bei SRF jeweils Dienstags ausgestrahlt werden. Da kann wirklich noch alles passieren.  

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Themeninputs und Hinweise gerne an [email protected] . Twitter: @dan_faulhaber


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Bei Bajour als: Reporter und Redaktor

Hier weil: da habe ich die Freiheit, Neues anzupacken und unkonventionell zu arbeiten, ohne über sieben Hierarchiehürden zu springen. Das ist toll. Gleichzeitig macht diese Freiheit natürlich Angst, und das wiederum schweisst zusammen. Darum bin ich auch hier. Wegen des Teams.

Davor: Bei der TagesWoche und davor lange Jahre an der Uni mit Germanistik & Geschichte.

Kann: Ausschlafen.

Kann nicht: Kommas.

Liebt an Basel: Die Dreirosenbrücke. Das Schaufenster des Computer + Softwareshops an der Feldbergstrasse Ecke Klybeckstrasse. Das St. Johann. Dart spielen in der Nordtangente. Dass Deutschland und Frankreich nebenan sind.

Vermisst in Basel: Unfertigkeit. Alles muss hier immer sofort eingezäunt und befriedet und geputzt werden. Das nervt. Basel hat in vielem eine Fallschirmkultur aus der Hölle. Absichern bis der Gurt spannt. Ich bin schon oft aus Versehen eingeschlafen.

Interessensbindung: Vereinsmitglied beim SC Rauchlachs.

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