Die Schnapsidee mit der Ethanol-Privatisierung

2016 gab der Bund sein Alkoholmonopol auf und privatisierte im Rahmen der Teilrevision des Alkoholgesetzes gleich die Firma Alcosuisse mit. Der heute dringend für Desinfektionsmittel benötigte Ethanol-Pflichtvorrat war damit Geschichte. Hinterher sind alle schlauer. Aber auch die linken Parlamentarier der Region hatten damals zugestimmt. Wir wollten wissen, warum.

CORONI
Bis 2018 bunkerte die Eidgenossenschaft 8'000 bis 10'000 Tonnen Ethanol für den Notfall.

Wer einen Wodka-Shot kippt, fröhlich ein Bier trinkt oder gepflegt an einem erfrischenden Apérol Spritz nippt, denkt wohl nicht daran, dass der Schweizer Bund bis vor vier Jahren wegen eines veralteten Gesetzes das Alkoholmonopol hielt. Bis 2018, als die Firma Alcosuisse in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, bunkerte die Eidgenossenschaft 8'000 bis 10'000 Tonnen reinen Alkohol, also Ethanol für den Notfall. Einen Rohstoff, den man heute zur Herstellung von Desinfektionsmitteln sehr gut hätte gebrauchen können.

Wie der «Tages Anzeiger» vor einigen Tagen berichtete, wurde dieses Pflichtlager nach dem Verkauf von Alcosuisse provisorisch aufgelöst und bis jetzt nicht wieder eingeführt. Auf Anfrage von Bajour sagt der Basler SP-Nationalrat Beat Jans, dass es bei der Teilrevision des Alkoholgesetzes für die SP-Fraktion vor allem um die «Privatisierung des Alkoholhandels» gegangen sei und nicht um das Ethanol-Pflichtlager.

Damals stimmte das Parlament von rechts bis links geschlossen für die Teilrevision. Jans verteidigt die damalige linke Zustimmung zum Geschäft: «Es schien uns damals wenig problematisch, diesen Bereich der Privatwirtschaft zu überlassen. Schlimm ist, dass das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung das Ethanol-Pflichtlager seither vernachlässigt hat. Das hat aber nichts mit dem damaligen Parlamentsbeschluss zu tun.»

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«Ohne grosse Begeisterung» zugestimmt

In der Debatte im Juni 2016 gab sich die Baselbieter SP-Alt-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer in einem Votum im Bundeshaus kritisch. Für die SP-Fraktion seien die Rahmenbedingungen nicht klar, wie die Privatisierung oder die Auslagerung von Alcosuisse in eine Aktiengesellschaft erfolgen sollen. Sie sagte: «Anlässlich der Beratungen in der Wirtschafts- und Abgaben-Kommission wurde klar, dass noch etliche Fragen bestehen, und zwar sowohl in Bezug auf die Auslagerung als auch in Bezug auf die anschliessende Rechtsformänderung bei der Alcosuisse.»

Das Alkoholgesetz, ursprünglich aus dem Jahr 1932, hatte seit 1997 revidiert werden sollen; 2016 schafften es Stände- und Nationalrat in Bern, sich mindestens zu einer Teilrevision durchzuringen. Ungeklärt blieb die Frage um das Ethanol-Pflichtlager und die Modalitäten der Privatisierung von Alcosuisse. Nochmals Leutenegger Oberholzer im Nationalratssaal: «Festzuhalten ist, dass die SP-Fraktion ohne grosse Begeisterung auf die Vorlage eintritt, und ich bitte Sie, ein Gleiches zu tun.»

«Weder besser noch günstiger»

Auch Beat Jans zeigt sich heute von Privatisierungen wenig überzeugt. Er weist darauf hin, dass die Kontrolle von «ausgelagerten» oder «privatisierten» Firmen sich als schwierig erweise, in Basel habe sich das auch bei den Basler Verkehrsbetrieben gezeigt: «Unsere Skepsis gegenüber Privatisierungen ist durch diese Krise weiter gewachsen. Die globalisierte Wirtschaft ist enorm krisenanfällig geworden. Das ist auch eine Folge von Privatisierungen.»

«Durch die Ausrichtung auf kurzfristige Gewinne wurden Warenlager und Finanzreserven wegrationalisiert. Dadurch wurde die Wirtschaft krisenanfälliger.»
Beat Jans, SP-Nationalrat.

Heidi Mück, Co-Präsidentin der Basler Linkspartei BastA!, findet auf Anfrage von Bajour weder Auslagerungen noch Privatisierungen sinnvoll: «Nein, die Erfahrungen zeigen, dass privatisierte oder ausgelagerte Betriebe weder besser noch günstiger arbeiten, dass aber oft die Arbeitsbedingungen unter Druck geraten und verschlechtert werden.» BastA! lehne Privatisierungen grundsätzlich ab und würde jede Partei unterstützen, die sich dagegen wehre.

Desinfektionsmittel und «Privatisierungswahn»

Auch Juso-Präsidentin Ronja Jansen sprach sich in einem Tweet gegen die Umwandlung von Alcosuisse aus. Die 25-Jährige griff Alexandre Schmidt, FDP-Mitglied und Direktor der Alkoholverwaltung, an, der nach Angaben der Partei «schon bei vier derartigen Privatisierungen die Fäden gezogen» habe und sprach davon, dass wegen dem «Privatisierungswahn» dem Bund die Desinfektionsmittel ausgegangen seien.

Am Ende bringt Beat Jans die linke Haltung auf den Punkt: «Durch die Ausrichtung auf kurzfristige Gewinne wurden Warenlager und Finanzreserven wegrationalisiert. Dadurch wurde die Wirtschaft krisenanfälliger. Das spürt die ganze Welt jetzt schmerzlich.»  Offensichtlich ist tatsächlich, dass die Alcosuisse AG, die nach eigenen Angaben eine halbe Million Hektoliter an 2000 Kunden verkauft, kein Interesse hat, aus freien Stücken 10'000 Tonnen unverkäufliches Ethanol für den Bund zu bunkern.

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