Eine Papeterie fürs Herz

Papeterien sind von vorgestern. Könnte man meinen. Die «carte blanche» im Iselin behauptet das Gegenteil.

Susanne Krieg-carte blanche
Ein Ort fürs Quartier: Susanne Kriegs carte blanche an der Rufacherstrasse. (Bild: Michelle Isler)

Wenn es ein Paradies gibt, sieht es aus wie eine Papeterie. Zumindest für mich. Nicht eine mit diesen immer gleichen Pritt-Leimstiften und gehäuselten A5-Notizblöcken, nein. Eine mit Bleistiftspitzern aus goldigem Messing und spirallosen Heften, die man ohne Zurecht-Drücken des Buchrückens flach auf einen Tisch legen kann. Mit Stempeln in Form von Roboterköpfen und Karten mit der Aufschrift: «Habe ich verstanden, mache ich aber nicht». Mit illustrierten Notizblöcken und glitzernden Couverts. So eine Papeterie wie die «carte blanche».

Auf der handbeschriebenen Tafel vor dem Eingang steht: «This is a happy place :) Welcome!» Drinnen wartet Susanne Krieg. Runde Brille, die Haare hochgesteckt, die Ärmel der hellblauen Bluse hochgekrempelt. Die 52-Jährige ist gerade dabei, ein paar Sächeli ins Schaufenster zu legen. Noch bleibt etwas Zeit, bevor die ersten Kund*innen vorbeischauen könnten.

Carte Blanche
Nirgends ist die Qual der Wahl so schön wie hier. (Bild: Michelle Isler)

Wir setzen uns an ein kleines Tischchen in der Mitte des schmucken Verkaufsraumes und Susanne erzählt, wie das alles entstanden ist. Sie spricht Berndeutsch, ein bisschen Fribourger-Dialekt, zwischendurch ein paar Worte in astreinem Hochdeutsch. Als Tochter eines deutschen Vaters und einer Schweizer Mutter, in Deutschland aufgewachsen und später nach Basel gezogen, spricht sie heute einen «Mischmasch-Dialekt», wie sie selbst sagt. 

Seit den frühen 2000er-Jahren wohnt sie im Iselin-Quartier. Dass sie hier einmal eine der schönsten Papeterien der Stadt führen würde, hätte sie sich damals wohl nicht ausgemalt. Obwohl: Wenn sie von ihrer Jahrzehnte währenden Leidenschaft für Schreibwaren und Papeterie-Besuchen in allen möglichen Städten der Welt erzählt, scheint die Eröffnung im September 2019 mehr als eine zufällige Fügung des Schicksals. Aber der Reihe nach. 

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In dieser Rubrik porträtieren wir in loser Folge Basler Betriebe, die uns im Gedächtnis geblieben sind. Inputs und Ideen gerne an: [email protected] mit dem Betreff «Lieblingsort».

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Susanne ist selbstständige Grafikerin. Das heisst: Viel Bildschirmzeit, viel Einzelarbeit. Einen «haptischeren Ausgleich» fand sie im Zeichnen und Malen. Aber das reichte ihr nicht: «Ich wollte mehr Kontakt mit Menschen und habe mir deshalb schon lange überlegt, ob ich ein Café eröffnen soll.» Auch weil es im Iselin, gemessen an der Grösse des Quartiers, nicht so viele «Orte mit Aufenthaltsqualität» gibt.

Dann aber wuchs ein anderer Gedanke. Eine Papeterie. «Als Kundin begleiten mich Papeterien seit Jahrzehnten, zum Beispiel auf Städtereisen», erzählt sie. «In San Francisco war ich mal in einem kleinen Laden und nach drei Stunden hat mich die Verkäuferin angeschaut und gefragt: Are you fine?», erinnert sich Susanne lachend. 

Susanne Krieg
Die gelernte Grafikerin hat ein Auge für Komposition, das merkt man auch hier. (Bild: Michelle Isler)

In den letzten Jahren sind solche Läden – «heute sagt man: ‹mit kuratiertem Sortiment›, gäll», Susanne macht mit den Fingern Gänsefüsschen in die Luft – trendy geworden. Beispiele sind Present & Correct in London oder Luiban in Berlin, im Gegensatz zu eher konventionellen Papeterien, von denen eine nach der anderen schliessen muss. «Und so ein Geschäft gab es in Basel einfach noch nicht.» Also überlegte Susanne sich, das zu ändern. 

Ihr war wichtig, mehr als nur einen 08/15-Schreibwarenladen zu eröffnen. «Ich wollte einen Ort schaffen.» Etwas fürs Quartier, wo die Leute sich wohlfühlen. Und etwas Persönliches. Das zeigt auch schon der Name «carte blanche», der nicht nur auf «das simpelste aller Papeterieprodukte, eine weisse Karte» verweist, sondern auch darauf, was Susanne hier haben wollte: freie Hand.

Sie macht alles selbst, von der Auswahl der Produkte über Beratungsgespräche bis zur Bewirtschaftung. Sie schenkt Tee nach, dann fährt sie fort: «Mittlerweile habe ich einiges gelernt, aber vieles mache ich noch heute aus dem Bauch heraus.» 

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Karten, Blöckli, Geschenkpapier, Büroklammern. Alles handverlesen. (Bild: Michelle Isler)

Am Anfang sei die «carte blanche» ein ziemliches Experimentierfeld gewesen, sagt Susanne. «Ich dachte, ich könnte im Nebenraum die Grafikarbeit machen und dann zwischendurch in den Laden, wenn jemand reinkommt.» Das funktionierte aber nicht. «Ich war von meinem eigenen Laden abgelenkt», grinst Susanne.

Heute trennt sie deshalb ihren Haupt- und Nebenjob. Das merkt man auch an den Öffnungszeiten: Freitag von 14–19 Uhr und Samstag von 12–16 Uhr. Mit dem heutigen Konzept – kein Online-Store, eher kleine Mengen von ausgewählten Produkten – könnte sie von der Papeterie gar nicht leben. Sie fände es zwar schön, zumindest einen Teil ihres Einkommens so verdienen zu können, aber dafür fehlt ihr aktuell die Laufkundschaft. «Ich bin deshalb in erster Linie Grafikerin und verdiene damit mein Geld.» 

Zuweilen kommen Kund*innen sogar von auswärts, um in Susannes Sortiment zu stöbern. Kurz nach der Eröffnung seien zwei Frauen extra von Luzern angereist, weil sie «carte blanche» in einem Magazin entdeckt hatten. Die beiden blieben über eine Stunde und Susanne servierte zwischendurch mal «es Kaffee».

Am Schluss fühlte sie sich fast etwas überfordert angesichts des stetig wachsenden «Biigeli» vor der Kasse. Denn: Susanne schreibt die Quittung von Hand. Auf manchen Sachen kleben kleine Preisschildchen, bei anderen muss sie auf der Preisliste oder am Regal nachschauen, was wie viel kostet. Und zum Schluss verpackt sie alles liebevoll.

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Gehören zu Susannes Lieblingsprodukten: Washi Tapes. (Bild: Michelle Isler)

Mittlerweile bringen Susanne solche Situationen nicht mehr aus der Ruhe und sie kann die Kund*innen oft schon beim Betreten des Ladens ungefähr einschätzen. Ob jemand etwas Bestimmtes sucht, obs ein Biigeli geben wird oder die Person nur ein bisschen schauen möchte. Ob Beratung oder Stille erwünscht ist.

Susanne respektiert das. «Es klingt fast ein bisschen banal», erklärt sie, «aber dieser Ablauf von: jemand kommt rein, findet etwas, zahlt und verlässt den Laden glücklich mit einem Säckli in der Hand… Das hat etwas Unmittelbares, irgendwie berührt mich das.»  

Karten verkauft sie am meisten. Es habe sie positiv überrascht, wie viel heute noch von Hand geschrieben wird. «Ich finde das tatsächlich sehr wichtig. Nicht nur für mich, sondern für alle. Wenn man die persönliche Handschrift nicht pflegt, geht ein Stück der eigenen Identität verloren», findet sie. 

Es fällt ihr schwer, unter all den schönen und speziellen Sachen in ihrem Laden ein Lieblingsprodukt auszusuchen. «Es ist ja auch eine mega persönliche Auswahl.» Sie überlegt noch einen Moment. «Sicher Washi Tapes», meint sie und nickt in Richtung der Wand, wo Klebstreifen-Rollen in allen möglichen Farben und Mustern hängen. Für weitere Überlegungen ist keine Zeit. «Hani eigentlich scho offe?», fragt sie plötzlich und blickt auf ihre Uhr. «Oh ja, dann muss ich jetzt schnell noch ein paar Sachen rausstellen.» 

Ich verabschiede mich, nicht ohne einen letzten, leicht wehmütigen Blick auf die Auslage zu werfen. Mein letzter Besuch hier war das nicht.

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Die «carte blanche» befindet sich an der Schlettstadterstrasse 50 und ist jeweils am Freitag von 14–19 Uhr und am Samstag von 12–16 Uhr geöffnet.

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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