«Die Trauer wird uns künstlerisch noch lange begleiten»
Die Choreografin Tabea Martin erzählt, was sich in pandemischen Zeiten in ihrer Arbeit mit dem Thema Tod und Vergänglichkeit verändert hat und wieso auch zeitgenössischer Tanz eine Eingrenzung braucht.
«Tabea Martin, gibt es ein Leben nach dem Tanz?»
«Nein!»
Damit ist eigentlich alles gesagt.
Via Zoom spreche ich seit einer Stunde mit der Choreografin Tabea Martin. Sie ist in Basel aufgewachsen, hat in Amsterdam Tanz studiert und wurde kurz darauf wegen einer schweren Rückenverletzung zum Stillstand beordert. Die Höchststrafe für eine Tänzerin.
Nachdem sich ihre Verletzung unerwarteterweise schnell besserte, schloss sie 2006 ein Studium der Choreografie ab und ist seitdem als international erfolgreiche Choreografin unterwegs. Ihre Stücke touren teilweise jahrelang und sie wird regelmässig von renommierten Festivals eingeladen. Ohne Übertreibung kann man sie als prägend für den zeitgenössischen Tanz in der Schweiz und in Europa bezeichnen. Seit der Premierenabsage ihrer aktuellen Show «Nothing Left» an der Kaserne Basel ist sie vor allem zuhause.
Tabea Martin produziert ihre Stücke seit einiger Zeit vor allem wieder in der Schweiz, denn sie lebt selbst wieder in Basel. «Das ist gar nicht mal schlecht», meint Martin. «Im Gegenteil. Nächstes Jahr spielen wir beispielsweise in Poschiavo, in Graubünden. Das wirkt erstmal mega klein, ist aber schön und vor allem ökologisch nachhaltig. Ich kann mich da zwar nicht vorne dran stellen, aber diese Nachhaltigkeit wird unsere Szene in den nächsten Jahren noch stark durchrütteln.»
Das, was Tabea Martin künstlerisch macht, lässt sich am ehesten mit der Formel Inhalt first, Ästhetik second beschreiben. «Die Tänzer*innen bewegen sich nicht einfach so. Es muss Gründe geben dafür», erklärt Tabea. «Natürlich möchte ich gesellschaftliche Themen in den Tanz übersetzen. Dabei gucke ich auf die Verletzlichkeit der Körper und bin grundsätzlich an allem interessiert, was versteckt ist.»
Es könne nicht alles kognitiv verstanden werden, sondern muss das Publikum auch auf emotionaler Ebene beschäftigen. Das biete eine Offenheit in der Interpretation: «Tanz hat die Kraft, etwas zu erzählen und gleichzeitig zu berühren», erzählt Martin und grenzt dann sofort ein. «Das bedeutet nicht, dass es einfach random sein kann. Es braucht eine klare inhaltliche Eingrenzung. Wenn alles möglich ist, ist es nichts.»
Die Themen, die sie Tanzen lässt, sind alles andere als leicht. Seit 2018 arbeitet Tabea Martin mit ihrer Compagnie in wechselnder Besetzung an einer Trilogie über den Tod und die Vergänglichkeit. Auslöser dafür war eine persönliche Trauerfall und der Drang, das Tabuthema des Sterbens zu brechen. Nach den ersten beiden Stücken «This is my last dance» 2018 und «Forever» 2019, sollte «Nothing Left» sich mit der Trauer der zurückgebliebenen Menschen auseinandersetzen. Die Premiere wurde einmal im März und einmal im November verschoben. Jetzt soll sie im Februar stattfinden, fingers crossed. 🤞
«Diese Verschiebung der Arbeit war ein emotionaler und psychischer Dämpfer. Wir Bühnenmenschen bringen für eine Premiere und die Wochen davor eine ganz spezielle Energie auf», erklärt Martin. «Wenn die ausfällt, bricht alles in sich zusammen.»
Der Pandemie versucht sie aber trotzdem auch ihre guten Seiten abzugewinnen: «Mir ist bewusst, wie privilegiert meine Compagnie und ich sind, und ich bin froh, dass wir wenigstens in der Zwischenzeit wieder arbeiten konnten. Und dabei wurden wir gut unterstützt, etwa vonseiten der Kaserne und den Förderern. Wenn auch unter schwierigen Umständen.»
Im Team hätten sie versucht, den Fokus zu verändern: «Weg vom Resultat, hin zum Entstehungsprozess. Es war schon erstaunlich, dass wir in diesen schwierigen Umständen mit strikten Schutzkonzepten, ständiger Vorsicht und durchaus auch Angst vor Infektionen überhaupt tanzen und proben konnten.»
Im letzten Teil der Trilogie, «Nothing Left», geht es um die Trauer und das Leben nach einem Todesfall. Wie hat die Pandemie und die Omnipräsenz des Themas Tod die Arbeit daran verändert?
«Also das Tabu ist gebrochen. Es kann nicht mehr darum gehen, Tod als solches zum Gesprächsthema zu erheben. Was vor einem Jahr vielleicht noch möglich gewesen wäre. Wir alle haben während Corona reflektiert, gefiltert und vertieft. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Perspektive der Hinterbliebenen und deren Trauer wenig Platz findet. Jedoch wird die uns gerade kulturell und künstlerisch noch länger beschäftigen, als die Pandemie an sich.»
«Nothing Left» wird – so es die pandemischen Zustände zulassen – am 5. Februar 2021 in der Kaserne Basel Premiere haben. Hier geht's zur Produktion.