Die Wut schreit
Was hat die Leidensgeschichte der Kassandra mit unserer Zeit gemeinsam? Mehr als wir denken. Das Unitheater Basel bringt die Sage der griechischen Seherin auf ihre Bühne und behandelt damit auf kreative Art die Vorfälle der mutmasslichen sexuellen Übergriffe an der Uni Basel.
Ein lauter Knall. Kassandra hat ein vor sich aufgestelltes Brett zerschlagen. In einer Wucht steht sie auf und wendet sich zum Publikum: «Und Sie, Professor Doktor Doktor Honoris causa multipler – du hast meinen Bericht gelesen und du schweigst!» Alle ziehen sich Sturmmasken über. Und kurz darauf beginnen sie zu singen.
Das Unitheater feiert heute Premiere mit ihrem Theaterstück «Kassandra». Ausgehend von den mutmasslichen sexuellen Vorfällen an der Uni Basel haben die Studierenden das tragische Schicksal der griechischen Seherin, die Namensgeberin des Stücks, mit den Erlebnissen der ehemaligen Doktorierenden der Uni verbunden. «Ich bin der Überzeugung, dass wir in den politischen Zeiten, in denen wir leben, dringend gemeinsam kreative Wege finden müssen, um Widerstand zu leisten», meint Regisseur*in Tamea Wissmann.
Die Figur der Kassandra eigne sich gut für diese Erzählung. Als tragische Heldin der griechischen Mythologie ist Kassandra heute aktueller denn je. Sie hat Apollons Annäherungsversuch abgelehnt, was ihr schliesslich zum Verhängnis wurde. Aus Wut über ihre Zurückweisung legte Apollon einen Fluch auf Kassandra: Nie wieder sollte eine Menschenseele ihren Weissagungen Glauben schenken. «Kassandra verkörpert den ständigen Kampf um Glaubwürdigkeit, dem sich Betroffene stellen müssen, sobald sie sich entscheiden, sich mit ihren Gewalterfahrungen an die Uni als Institution zu wenden», sagt Wissmann und verdeutlicht die politische Dimension des Stücks. Die Produktion der Studierenden ist unmissverständlich ein Anklagen ihrer Uni.
Anfang November 2024 hat eine Sendung von SRF-Kassensturz offenbart, wie die Uni Basel mit zwei Vorfällen von mutmasslichem sexuellem Übergriff umgegangen ist. Die zwei beschuldigten Professoren erhielten in beiden Fällen eine Abmahnung – sie lehren und forschen bis heute an der Uni Basel.
«Kassandra» ist Wut und Empörung. Immer wieder wird geschrien und gesungen, es wird kriegerisch und mit stampfenden Schritten getanzt. Die Spielenden hinterfragen Strukturen und Hierarchien in der akademischen Welt. Ihr Vorwurf ist deutlich: Die Uni Basel habe die betroffenen Doktorierenden im Stich gelassen. Auch in der Sendung von SRF-Kassensturz steht die Uni Basel in der Kritik. Wieso wurde den Professoren nicht gekündigt? Unisprecher Matthias Geering möchte zu den Vorwürfen der Theatermacher*innen keine Stellung nehmen und verweist auf frühere Stellungnahmen.
Die Vizedirektorin der Uni Basel Nadja Braun Binder führte in einem Interview mit der Basler Zeitung aus: «Die Uni hatte aus meiner Sicht in beiden Fällen rechtlich gar nicht die Möglichkeit, den Professoren zu kündigen». In beiden Fällen habe man auf die Empfehlung einer juristischen Person gehört.
Als Reaktion auf die vorgeworfenen Vorfälle von sexueller Belästigung sehe die Uni Basel vor, die Koordinationsstelle Persönliche Integrität zu einer Fachstelle aufzuwerten, sagte Braun Binder der BaZ. Auch Awareness-Kampagnen seien geplant und es soll freiwillige Schulungen geben für Professoren.
Für die Studierenden des Unitheaters sind diese Massnahmen der Uni too little too late. Sie sind sich einig: Wenn sich wirklich etwas an der Situation ändern soll, brauche es strukturelle Veränderungen. «Die strukturellen Prozesse der Universität versagen auf ganzer Linie. Stattdessen werden der Ruf und das Image der Universität geschützt.» Die Uni verweist in einer Mitteilung auch auf das Persönlichkeitsrecht, das schützenswert sei. So begründet sie die Art und den Umfang, wie sie zu den Fällen kommuniziert hat. Einige Studierende und auch Aktivist*innen haben dafür kein Verständnis: Die aktivistische Gruppe Revolutionäres Antipatriarchales Bündnis Basel (RAB) warf der Uni Täterschutz vor und veröffentlichte nach dem Kassensturz-Bericht die Namen der beschuldigten Professoren via Plakaten auf dem Campus.
Durst nach Gerechtigkeit
Die Aufarbeitung setzt sich nun mit «Kassandra» auf der Bühne fort. Mit dem Theaterstück wollen die Spielenden vor allem Aufmerksamkeit schaffen. Ihr Ziel sei es, Angehörige und Dozierende der Uni zu erreichen – diejenigen, die die Macht haben, auf institutioneller Ebene etwas zu verändern, erklärt Regisseur*in Wissmann. «Kassandra» ist eine Produktion ausschliesslich von und mit Studierenden und Ehemaligen verschiedener Basler Hochschulen. «Es ist ein Laien-Projekt von vorne bis hinten», sagt Wissmann. Es sei eine engagierte Gemeinschaft, die mit grossem Einsatz versucht, dem Thema gerecht zu werden.
In den vergangenen Jahren hat das Unitheater Basel vermehrt mit professionellen Regisseur*innen zusammengearbeitet, dieses Mal war das anders. Es sollte ein Projekt entstehen mit tiefen Ausgaben.
Im Stück hecken die Spielenden Rachefantasien aus. Und diskutieren dann doch wieder konstruktive Lösungsvorschläge. Sie stellen Fragen in den Raum. Was, wenn der Kreis der Gewalt durchbrochen werden kann? Statt Strafe wollen sie Heilung und statt Verurteilung fordern sie Verantwortung von Seiten der Täter. Der Tenor ist laut: Es braucht Gerechtigkeit.
Kassandra stürmt hinein. Nur die brennende Fackel in ihrer Hand erleuchtet den sonst abgedunkelten Raum. Eine Gruppe von Spielenden hat sich um sie versammelt. «Es brodelt, die Wut schreit, es brennt mein Durst nach Gerechtigkeit», ruft Kassandra. Und die Spielenden sind sich einig – das wird richtig harte Arbeit.
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«Kassandra» ist an folgenden Daten im Ostquai 25 zu sehen:
Premiere: Freitag, 14.02. 19.30h
Samstag, 15.02. 19.30h
Sonntag, 16.02. 19.30h
Mittwoch, 19.02. 19.30h
Donnerstag, 20.02. 19.30h
Freitag, 21.02. 19.30h
Derniere: Samstag, 22.02. 19.30h