«Der Unwille der Unileitung ist das Hauptproblem»

Die über Jahrzehnte etablierten Machtstrukturen an Hochschulen begünstigen sexuelle Belästigung – vor allem gegen Frauen. Im Interview erklärt die Forscherin Jo Krøjer, wie wirksam ein Code of Conduct ist, warum oft zu Übergriffen geschwiegen wird und welche Massnahmen es braucht, damit Opfer sich ernstgenommen und sicher fühlen.

Jo Krøjer Interview sexistische Belästigung
Prekäre Arbeitsverhältnisse an der Uni begünstigen Übergriffe, erklärt Forscherin Jo Krøjer. (Bild: zVg/Adobe Stock (Collage: Bajour))

Jo Krøjer, Sie haben eine Studie zu sexueller Belästigung an dänischen Hochschulen gemacht – mit zahlreichen Frauen, die anonym ihre Erfahrungen geteilt haben. Ihre Studie zeigte, dass diese Erfahrungen nicht zufällig oder Einzelfälle waren, sondern dass sexistische Belästigung ein weit verbreitete Problem an dänischen Unis ist. Wie sieht es mit Unis in anderen Ländern aus?

Die Umfrage und den Aufruf, individuelle Erfahrungen zu teilen, haben wir ausschliesslich in Dänemark gemacht. Aber wir haben die Ergebnisse in einem Buch veröffentlicht und dazu eine Übersicht internationaler Forschung zu diesem Problem gegeben. Die von uns dargestellten Fälle repräsentieren das, was üblich und exemplarisch für verschiedene Situationen sexistischer Belästigung ist.

Welchen Nutzen hatte das?

Unsere Studie hat gezeigt, dass, obwohl dies nicht in allen Ländern systematisch untersucht wurde, es eindeutige Beweise dafür gibt, dass sexistische Belästigung überall dort vorkommt, wo man sie in universitären Organisationen sucht. Und das hat mit einigen Merkmalen und Machtstrukturen im Hochschulsektor zu tun, die in allen Ländern sehr ähnlich sind.

Jo Krøjer sexistische Belästigung Sommergespräch Interview
Zur Person

Jo Krøjer lehrt in Dänemark an der Roskilde University. Sie forscht unter anderem zu den Themen Arbeitsleben und Arbeitsmarkt sowie zu Gender. Im Jahr 2021 veröffentlichten sie mit Kolleginnen ein Buch über die Erfahrung zahlreicher Menschen mit sexistischer Belästigung an dänischen Universitäten. Vor Kurzem diskutierte sie an einem Podium in Basel über sexistische Belästigung an Hochschulen.

Wie sehen diese Strukturen aus?

Im akademischen Bereich sind die Karriereverläufe sehr langwierig. Und das bedeutet, dass Sie, wenn Sie eine akademische Laufbahn einschlagen, für einen sehr langen Zeitraum in einem prekären Arbeitsverhältnis stehen – mit einem befristeten Vertrag und einem niedrigen Gehalt. Zehn Jahre sind keine Seltenheit. Und das passiert, während man jung oder relativ jung ist.

Warum ist das ein Risikofaktor?

Zuallererst: Wenn man prekär beschäftigt ist, akzeptiert man eher schlechte Arbeitsbedingungen, weil man eine feste Anstellung anstrebt. Also neigt man dazu, Dinge hinzunehmen, die man nicht hinnehmen sollte. Ausserdem neigt die Leitung dazu, sich nicht so sehr mit den Arbeitsbedingungen für prekär Beschäftigte zu befassen, weil es sich auf die fest angestellten Mitarbeiter*innen konzentriert. Und zwar einfach deshalb, weil dort Menschen mit einem höheren Status sitzen, die ein grösseres Mitspracherecht in den Organisationen haben.

Also geht es um Macht?

Ja. Der andere Risikofaktor im akademischen Bereich betrifft das asymmetrische Machtverhältnis, denn die befristeten Angestellten oder die prekär beschäftigten Kolleg*innen werden in der akademischen Hierarchie immer eine niedrigere Position haben. Und die Struktur der akademischen Welt ist in allen Ländern sehr hierarchisch. Und diese Struktur ist patriarchalisch, weil es sich um eine Hierarchie handelt, die zu einer Zeit etabliert wurde, als nur sehr wenige oder gar keine Frauen Teil der akademischen Welt waren. 

«Wenn man prekär beschäftigt ist, akzeptiert man eher schlechte Arbeitsbedingungen, weil man eine feste Anstellung anstrebt. Also neigt man dazu, Dinge hinzunehmen, die man nicht hinnehmen sollte.»
Jo Krøjer, forscht zum Thema Gender in der Arbeitswelt

Das heisst?

Diese Hierarchie neigt dazu, Interessen und Verhaltensweisen zu begünstigen, die höchstwahrscheinlich männlich sind. Auch das Management im akademischen Bereich ist überwiegend männlich. Dies hat viele, viele Jahre lang ein Hindernis für die Bekämpfung sexistischer Belästigung dargestellt, weil das Problem unter den männlichen Angestellten und den männlichen Führungskräften nicht sehr dringlich war.

Das klingt so, als ob es keine sexuelle Belästigung durch Frauen gäbe?

Wir haben Aussagen zu sexistischer Belästigung gegenüber allen Geschlechtern und überwiegend durch Männer, aber auch durch Frauen gesammelt. Andere Untersuchungen weisen auf ein höheres Risiko sexistischer Belästigung für LGBTQ+-Personen hin. Fälle von sexistischer Belästigung gegenüber Männern oder LGBTQ+-Personen waren in unseren Berichten jedoch selten.

Sie sprechen von sexistischer Belästigung und nicht von sexueller Belästigung. Könnten Sie erklären, warum?

Mit diesem Begriff soll betont werden, dass sexistische Belästigung nichts mit Sex oder Sexualität zu tun hat. Es handelt sich um eine Form des Machtmissbrauchs, und die Bezeichnung «sexistische Belästigung» weist darauf hin, dass diese Art des Machtmissbrauchs im Sexismus verwurzelt ist – dies wurde in internationalen Untersuchungen belegt.

«Das Management im akademischen Bereich ist überwiegend männlich. Dies hat viele, viele Jahre lang ein Hindernis für die Bekämpfung sexistischer Belästigung dargestellt.»
Jo Krøjer

Es gibt immer mehr Frauen im akademischen Bereich – auch in höheren Positionen. Wie konnte sexistische Belästigung an Universitäten so lange unter dem Radar bleiben?

Frauen, die eine Karriere in leitender Position oder in einer Festanstellung gemacht haben, und andere weibliche Angestellte mussten die Erfahrung machen, dass man bei sexistischer Belästigung den Mund hält. Das ist es auch, was unsere Testimonials beschrieben haben: Man muss den Mund halten, sonst steht man als Problem und Unruhestifterin dar, als eine Person, die als festangestellte Mitarbeiterin nicht attraktiv ist, weil es für die Uni unbequem ist, sich mit solchen Fällen auseinanderzusetzen. 

Das macht es schwierig, eine*n potenzielle*n Täter*in zu ermitteln.

Für die Opfer ist es sehr schwierig, sich zu äussern, weil der Täter in den meisten Fällen oder fast immer jemand ist, der in der akademischen Hierarchie weiter oben steht, und sehr oft auch jemand, auf den man sich verlassen kann, um seine Karriere aufzubauen. Sie sind also oft eine Art «Gatekeeper» oder jemand, der ihnen Türen für ihre Karriere öffnen kann. Als Opfer werden Sie also nicht wollen, dass Sie ein schlechtes Verhältnis zu dieser Person haben oder dass Sie dieser Person Schwierigkeiten bereiten – obwohl sie Ihnen Schwierigkeiten bereitet, um es einfach auszudrücken.

«Frauen haben gelernt: Man muss den Mund halten, sonst steht man als Problem und Unruhestifterin dar, als eine Person, die als festangestellte Mitarbeiterin nicht attraktiv ist.»
Jo Krøjer

Es kommt häufig vor, dass Opfer von sexistischer Belästigung oder Übergriffen nicht sofort oder «zu spät» Anzeige erstatten. Warum ist das so? 

Wenn man irgendeine Art von Belästigung erlebt, reagiert man sofort mit Scham. Das ist paradox, aber es ist extrem schambesetzt, ein Opfer zu sein. Vor allem, wenn man Opfer einer Belästigung ist, und ganz besonders, wenn es sich um eine sexistische Belästigung handelt, denn Sexismus ist an sich schon ein Mittel, um Menschen herabzusetzen, und das ist ein Mittel, um ihnen Schamgefühle zu vermitteln. Ich möchte nochmal betonen, dass sexistische Belästigung nichts mit Sex oder Sexualität zu tun hat.

Bitte erklären Sie.

Sexistische Belästigung ist eine skrupellose Machtausübung. Und manchmal geschieht dies unbewusst, aber das macht es nicht weniger skrupellos. Wenn man auf diese Weise respektlos und auf demütigende Weise behandelt wird, wenn man das Gefühl hat, dass man keine Möglichkeit hat zu reagieren und sich niemand um sein Wohlergehen und seine Demütigung kümmert, schämt man sich. Man gerät unter starken psychischen Druck, weil man sich selbst schlecht fühlt. Und sehr oft machen Opfer sich Vorwürfe, weil sie sich nicht sofort gemeldet haben. Leider ist die häufigste Methode, Opfer zum Schweigen zu bringen, ihnen zu sagen: «Wenn das ein Problem war, warum hast du dann nicht sofort etwas gesagt?» Das ist eine Art von psychologischer Dynamik in den Machtprozessen, in denen sexistische Belästigung stattfindet.

«Es ist paradox, aber es ist extrem schambesetzt, ein Opfer zu sein. Vor allem, wenn man Opfer einer Belästigung ist, und ganz besonders, wenn es sich um eine sexistische Belästigung handelt.»
Jo Krøjer

Gibt es noch andere Gründe, warum die Opfer sich nicht sofort melden?

Manchmal merkt man gar nicht sofort, dass man sexistisch belästigt wurde. Das Einzige, was man merkt, ist, dass man fassungslos ist oder dass es einem ein bisschen peinlich ist, oder manchmal denkt man sogar, dass der Täter nur nett sein wollte. Und dann, nach einer Weile, wenn die Situation vorbei ist, wird einem klar, dass es sich tatsächlich um eine Belästigung gehandelt hat. Eine dritte Erklärung ist, dass man entweder sofort oder etwas später weiss, dass man Opfer einer sexistischen Belästigung geworden ist, aber man sagt nichts, weil man weiss, was auf dem Spiel steht. Vor allem, wenn man weiss, dass der Täter mehr Einfluss hat als man selbst. Man weiss, dass es für seine Karriere schädlich sein könnte. Man weiss, dass er verärgert sein wird, wenn man ihn anzeigt. Und ein weiterer, sehr wichtiger und sehr häufiger Grund, einen Vorfall nicht zu melden, ist, dass man sich nicht sicher ist, ob die Leitung den Vorfall ernst nehmen wird.

Haben Ihre Forschungsergebnisse die Universitäten in Dänemark dazu gebracht, die Hierarchien und Strukturen zu überdenken?

Nein, die Strukturen sind genau dieselben. Es gibt sogar eine Tendenz zu mehr prekären Arbeitsverhältnissen, weil der dänische Hochschulsektor im Moment einen Wandel hin zu einem noch höheren Mass an externer Finanzierung durchmacht. Und wenn man mit externen Mitteln beschäftigt ist, hat man ein befristetes Arbeitsverhältnis. Und ich möchte noch etwas anderes sagen.

Bitte.

Das ist mir sehr wichtig, weil ich auf dem Podium, an dem ich in Basel teilgenommen habe, davon gehört habe. An der Universität Basel gab es, soweit ich das verstanden habe, Fälle von sexistischer Belästigung, die öffentlich gemacht wurden. Und wenn ich mich richtig erinnere, haben die Opfer die Universität verlassen, während die Täter geblieben sind?

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Es ist ein Fall bekannt, in dem es Anschuldigungen gegen einen Professor gibt und ein Fall, in dem ein Professor nachweislich eine Studentin sexuell belästigt hat. Beide Männer wurden verwarnt und arbeiten noch immer in ihren früheren Funktionen an der Universität. Und von zwei Opfern weiss man, dass sie ihre akademische Laufbahn beendet haben. 

Leider ist dies kein Einzelfall. Das ist es, was wir in unseren Fällen immer wieder gesehen haben. Und es hat mit dem Unwillen der Universitätsleitung zu tun, sexistische Belästigung als etwas zu betrachten, das das Wohlergehen aller Mitarbeiter gefährdet. Wenn jemand eine Beschwerde einreicht und die Leitung nicht reagiert, das Geschehene nicht sanktioniert und nicht klarstellt, dass dies nicht in Ordnung ist, sendet sie ein sehr deutliches Signal an alle in der Universität, dass ihr Schutz und ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit am Arbeitsplatz oder in ihrem Studium als Opfer oder mögliches Opfer nicht von Bedeutung sind.

Was sind die Folgen?

Dies ist einer der Gründe, warum viele Frauen die akademische Welt in einem sehr frühen Stadium ihrer Karriere oder sogar noch vor Beginn ihrer Karriere verlassen. 

Was kann man besser machen?

Der Unwille zu handeln und auf sexistische Belästigung Konsequenzen für die Täter folgen zu lassen, ist das eigentliche Hauptproblem. Wenn man die Kultur ändern will, muss man damit beginnen, dass die Unileitung diese Angelegenheiten ernst nimmt und in der Organisation deutlich und sichtbar macht, dass es Konsequenzen geben wird und dass sexistisches Verhalten jeglicher Art nicht toleriert wird.

«Es hat mit dem Unwillen der Universitätsleitung zu tun, sexistische Belästigung als etwas zu betrachten, das das Wohlergehen aller Mitarbeiter gefährdet.»
Jo Krøjer

In Basel wurde die Kommunikation der Universität kritisiert, weil sie erst nach einem grösseren Zeitungsartikel öffentlich auf die Fälle einging. Die Universität verwies auf rechtliche Fragen und auf Persönlichkeitsrechte als Grund für ihr Schweigen. 

Ich weiss nicht, wie es um die rechtlichen Fragen steht. Aber wenn es in einer Universität einen Fall von sexistischer Belästigung gibt, der in gewissem Masse öffentlich wird, und allgemein bekannt wird, dass der Täter nicht entlassen wurde oder nur eine milde Sanktion erhalten hat, dann weiss der Rest der Belegschaft: Wenn ich sexistische Belästigung anzeige, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass dem Täter nichts Wesentliches passiert. Aber als Angestellte werde ich auch in Zukunft seine Kollegin sein müssen. Und das macht es sehr unwahrscheinlich, dass die Leute Anzeige erstatten – vor allem diejenigen in prekären Positionen. Dies ist also eine Möglichkeit, Berichte über sexistische Belästigung zu vermeiden, weil es eine Hürde für eine Meldung gibt.

Nehmen wir an, es liegt ein Fehlverhalten vor und man will es melden – wie sollte man damit umgehen?

Zunächst einmal würde ich jedem, der Probleme mit sexistischer Belästigung oder sexistischem Verhalten hat, dringend raten, nicht zu versuchen, das allein zu bewältigen. Sie sollten sich an Menschen wenden, denen sie vertrauen. In vielen Ländern gibt es am Arbeitsplatz eine Art Gewerkschaftsvertreter, der als Vertrauensperson eingesetzt wurde. Eine andere Möglichkeit ist, mit jemandem zu sprechen, dem Sie vertrauen, und ihn um Unterstützung zu bitten. Wenn Sie Student oder Studentin sind, würde ich dasselbe tun. Sprechen Sie mit Kommilitonen, denen Sie vertrauen, und bitten Sie sie um Unterstützung, denn die Verfahren zur Einreichung einer Beschwerde sind sehr anspruchsvoll und können ziemlich schädlich sein.

Und wie sollte die Universität reagieren?

Es ist wirklich wichtig, dass die Uni Schutz bei einer Meldung oder Beschwerde garantiert, aber auch einen transparenten Prozess hat, wie Beschwerden innerhalb der Organisation bearbeitet und behandelt werden. Das sollte jedem klar sein, der etwas zu berichten hat, damit er weiss, was passiert, wenn er sich für eine Meldung entscheidet.

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Wie sehen Sie das Problem mit den personenbezogenen Daten: Die Universität sagt, dass sie transparent sein will, aber sie kann den Namen nicht preisgeben, oder es gibt eine Anschuldigung, aber es ist eine typische Aussage-gegen-Aussage-Situation?

Nun, das ist das klassische Dilemma. Die Rechtssysteme sind von Land zu Land unterschiedlich, und das ist nicht mein Fachgebiet. Aber wenn Sie eine Beschwerde einreichen oder irgendeine Art von Fehlverhalten melden, ist es sehr wichtig, dass Sie sicher sein können, dass das Management auf allen relevanten Ebenen Sie ernst nimmt und um Ihre persönliche Sicherheit besorgt ist. Es kommt nämlich sehr oft vor, dass sich die Leitung Sorgen um die Sicherheit, die Karriere oder den Ruf des Täters macht. Es ist also sehr wichtig, dass sie den Opfern versichern können, dass sie sich bei der Leitung sicher fühlen können, dass sie die Angelegenheit sorgfältig behandelt und dass ihre Karriere durch die Beschwerde keinen Schaden nimmt.

Andererseits: Falsche Anschuldigungen können der beschuldigten Person schweren Schaden zufügen, wenn sie öffentlich gemacht werden. Es scheint verständlich, dass die Universitäten extrem vorsichtig sind.  

Ja. Wie gesagt, ich kenne das Rechtssystem in der Schweiz nicht. Aber natürlich müssen die Universitäten die Anonymität der Personen wahren. Wichtig ist, dass die Opfer angemessen und ausreichend über die Behandlung ihrer Beschwerde informiert werden. Damit wäre es für die Opfer unnötig, an die Öffentlichkeit zu gehen – wenn sie sicher sein können, dass Massnahmen und Sanktionen gegenüber den Tätern ergriffen werden.

«Wenn bekannt wird, dass der Täter nicht entlassen wurde oder nur eine milde Sanktion erhalten hat, dann weiss der Rest der Belegschaft: Wenn ich sexistische Belästigung anzeige, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass dem Täter nichts Wesentliches passiert.»
Jo Krøjer

Als Konsequenz der Vorfälle an der Universität Basel wurde ein Verhaltenskodex eingeführt. Dieser besagt, dass keine Art von sexistischer Belästigung toleriert wird. Hilft ein Verhaltenskodex, Fälle zu verhindern?

Ein Verhaltenskodex ist wichtig und kann hilfreich sein, muss er aber nicht. Er ist nur dann hilfreich, wenn er durch Massnahmen der Unileitung unterstützt wird und wenn er in der Organisation öffentlich und sichtbar gemacht wird, indem die Leitung tatsächlich darüber spricht. Dazu muss sich die Leitung darüber informieren, was sexistische Belästigung ist. Und das ist mein derzeitiges Forschungsgebiet. Sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen müssen etwas entwickeln, das wir «sexist harassment literacy» – Kenntnisse über sexistische Belästigung – nennen.

Was ist damit gemeint?

«Sexist harassment literacy» ist ein individuelles, aber vor allem ein kollektives Wissen und Verständnis darüber, was sexistische Belästigung ist und was eine sexistische Belästigung ausmacht und warum. Es meint auch ein kollektives Verständnis dafür, warum Belästigung schädlich ist, warum wir sie vermeiden und dagegen angehen müssen, und wie man das macht. Denn Fälle zu verhindern ist natürlich viel besser als reagieren oder sanktionieren zu müssen, nachdem etwas passiert ist. Ohne diese Bildung werden Code of Conducts oder andere Vereinbarungen nicht hilfreich sein, denn das Problem bleibt, dass niemand wirklich merkt, wenn sexistische Belästigung auftritt.

In Ihrer Studie heisst es, dass viele Angestellte Sexismus oder Belästigung nicht erkennen würden, selbst wenn sie es selbst mitbekommen würden. Warum ist das so?

Wir leben in einer patriarchalischen Kultur. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Männer wichtiger sind als Frauen. Das mag seltsam klingen, aber das ist die Botschaft, die in unserer Kultur und in den politischen und rechtlichen Systemen zum Ausdruck kommt, zum Beispiel in der mangelnden Bekämpfung von Femiziden, im geschlechtsspezifischen Lohngefälle, im Mangel an weiblichen politischen Vertreterinnen oder an sehr wenigen Frauen im Topmanagement und so weiter. Und männliche Mitarbeiter werden so behandelt, als seien sie für das Unternehmen wichtiger und als hätten ihre Beiträge einen höheren Wert. Das haben sowohl dänische als auch internationale Studien immer wieder gezeigt. Die Menschen entwickeln auch eine Art Toleranz gegenüber bestimmten Verhaltensweisen, denn zumindest in Dänemark gehört es zu unserer Kultur, dass zum Beispiel sexistische Witze für alle lustig sind. Und nicht nur Witze, sondern auch sexistische Bemerkungen wie «Wir alle wissen, dass Frauen nicht Auto fahren können». Wir sind so erzogen worden, dass wir das für normal halten und auf diese Art Spass machen.

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Wie wirkt sich das auf die Arbeitswelt aus?

Wenn man so erzogen wird, hat man ein hohes Mass an Toleranz gegenüber dem alltäglichen Sexismus und nimmt ihn schliesslich nicht mehr wahr. In vielen internationalen Studien wurde festgestellt, dass Organisationen mit einer hohen Toleranz gegenüber Alltagssexismus ein viel höheres Risiko für schwere Fälle von sexistischer Belästigung haben.

Haben Sie das Gefühl, dass sich die Arbeitskultur und das, was toleriert wird, in den letzten Jahren verändert hat, etwa seit der «Me too»-Bewegung?

Als Wissenschaftlerin ist es irrelevant, was ich empfinde. Wir müssen das noch erforschen, deshalb kann ich dazu nichts Gesichertes sagen.

Gibt es Untersuchungen dazu, ob sich Täter*innen der Machtasymmetrie bewusst sind und ob sie sie bewusst ausnutzen?

Das ist bisher nicht sehr gut erforscht. Aber in den Fällen, die uns berichtet wurden, war klar, dass die Täter manchmal dachten, sie hätten nur einen Spass gemacht, es sei nicht schlimm oder sie wollten nur ein harmloses Kompliment machen. In einigen Fällen sind sich die Täter also wirklich nicht bewusst, dass das, was sie tun, schädlich ist und als sexistische Belästigung gilt. In anderen Fällen denke ich, dass sie es wissen, aber das ist etwas, worüber wir nicht viel wissen. Genau aus diesem Grund muss die Geschäftsleitung sehr deutlich machen, welche Art von Verhalten in Ordnung ist und welche nicht.

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Dieses Interview wurde auf Englisch geführt und ins Deutsche übersetzt.

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