«Diese Forderung ist komplett unzeitgemäss»
Nach der Forderung eines Handy-Filmverbots bei Polizeieinsätzen kommt die nach den Bodycams. Gewaltforscher Dirk Baier hat sie untersucht – und glaubt, dass Amateuraufnahmen für die Polizei wertvoller sind als Bodycams.
Herr Baier, aktuell wird über ein Filmverbot bei Polizeieinsätzen diskutiert. Was halten Sie davon?
Ich bin skeptisch, ob ein Filmverbot rechtlich durchsetzbar ist. Der Graubereich wäre heikel – was wäre, wenn man seine Familie filmt und im Hintergrund ein Polizeieinsatz zu sehen ist? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches Verbot umsetzbar ist.
Als Alternative werden sogenannte Bodycams diskutiert, bei denen Polizist*innen den Einsatz selbst filmen. Sie haben Bodycams bei der Stadtzürcher Polizei für ein Forschungsprojekt untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
Wir haben beobachtet, dass Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten durch den Einsatz von Bodycams abnahm. Hochgerechnet könnten ca. 50 Gewaltvorfälle im Jahr im Zürcher Raum verhindert werden. Aber: Es ist kein starker Effekt, die Befunde aus anderen Ländern sehen anders aus, und die Anschaffung von Bodycams ist teuer. Letztlich ist es ein politischer Entscheid, Bodycams einzuführen oder nicht.
Dirk Baier ist Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalität an der ZHAW in Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind Jugendkriminalität, Gewalt und Extremismus.
Glauben Sie, dass Bodycams ein Filmverbot von Aussenstehenden rechtfertigen können?
Ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist, die Uhr quasi zurückzudrehen. Früher haben nur Polizistinnen und Polizisten ihre Einsätze gefilmt und hatten die Hoheit über das Bild. Seitdem es Smartphones gibt, herrscht quasi «Waffengleichheit». Die Forderung, dass die Polizei die Hoheit über das Bild – und dieses löschen zu können – wieder haben soll, ist in unserer Mediengesellschaft unzeitgemäss und dürfte für Skepsis sorgen: Hat die Polizei etwas zu verstecken?
Gibt es nicht genau dafür Bodycams? Auch als Selbstkontrolle?
Die Literatur aus den USA und Grossbritannien legt nahe, dass Polizistinnen und Polizisten bei Einsätzen zurückhaltender sind, gemessen an der Anzahl der Beschwerden und Anzeigen. Dazu muss man aber wissen, dass die Kameras in diesen Ländern die gesamte Schicht über eingeschaltet sind. In der Schweiz verstehen wir Bodycams eher als Einsatzmittel, dass von den Polizistinnen und Polizisten bei Bedarf eingeschaltet werden kann. Eine permanente Kontrolle via Bodycamaufnahmen ist in der Schweiz nicht vorgesehen.
Während mehrere Kantone, Städte und die SBB-Transportpolizei derzeit die Einführung von Bodycams planen, wünscht sich der Basler Polizeibeamt*innen-Verband gar keine Videos und weibelt im nationalen Verband für ein Filmverbot von Polizeiaktionen. Soll es Bodycams bei Polizeieinsätzen geben?
Wieso nicht?
Auch andere Berufsgruppen würden sich zu Recht dagegen wehren. Natürlich, die Polizei hat wegen ihres Gewaltmonopols einen besonderen Stellenwert. Aber meines Erachtens muss für eine Massnahme wie eine solche Dauer-Überwachung ein gewisses Problemausmass der Polizeigewalt vorhanden sein. Dies ist in der Schweiz anders als wie in den USA nicht gegeben.
Dann besteht aber auch die Gefahr, dass Bodycams nur dann von der Polizei eingesetzt werden, wenn es ihr passt. Es gab diesen Fall im deutschen Dortmund, wo die Polizei einen Jugendlichen erschossen hat und die Bodycams ausgeschaltet waren.
Das ist natürlich möglich. Allerdings ist zu bedenken: Auch wenn Videomaterial vorhanden ist, muss das nicht immer eindeutig sein; Bodycams haben dort, wo sie eingesetzt werden, auch nicht alles besser gemacht.
Dann ist es ja gut, wenn es noch Amateuraufnahmen gibt?
Oder Aufnahmen von Medienschaffenden. Daran, dass es auch andere Perspektiven gibt, müsste die Polizei interessiert sein, ja. Die Videos von aussen geben ihr die Möglichkeit, ihr Handeln bei einem Einsatz zu erklären und wenn Fehler begangen wurden, diese auch einzugestehen und aus den Bildern ihre Lehren zu ziehen.
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