Staatsanwaltschaft muss Gummischrot-Einsatz untersuchen
Das Appellationsgericht verpflichtet die Basler Staatsanwaltschaft gegen Verantwortliche für den Gummischrot-Einsatz an der Basel-Nazifrei-Demo von 2018 eine Strafuntersuchung zu eröffnen. Zuvor wollte die Stawa auf eine Untersuchung verzichten.
Auf den Punkt:
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Eigentlich wollte die Staatsanwaltschaft (Stawa) dem Gummischrot-Einsatz an der Basel Nazifrei-Demo vom November 2018 nicht weiter nachgehen. Doch nun muss sie. Das Appellationsgericht verpflichtet die Stawa, eine Strafuntersuchung zu eröffnen und «weitere Abklärungen zum Sachverhalt» vorzunehmen, wie aus einer Mitteilung hervorgeht.
Konkret geht es um eine Anzeige eines Teilnehmers der Demo. Er soll durch ein Gummischrotgeschoss aus drei Metern Distanz am rechten Auge getroffen worden sein. Aus diesem Grund reichte der Betroffene im April 2019 eine Strafanzeige gegen einen unbekannten Polizeibeamten ein. Mittels einer Verfügung von 2023 wies die Staatsanwaltschaft die Anzeige ab. Diese «Nichtanhandnahme» begründete sie damit, dass der Einsatz des Gummischrots «rechtmässig» gewesen sei.
«Nach der Sichtung von diversem Videomaterial ist das Gericht zum Schluss gelangt, dass der Mitteleinsatz der Polizei aus mehreren Gründen nicht unproblematisch ge- wesen sei.»aus der Mitteilung des Appellationsgerichts
Dagegen wehrte sich der Demo-Teilnehmer am Appellationsgericht. Dieses hiess Ende Juli seine Beschwerde gut. Das Gericht schreibt, für den Entscheid massgeblich gewesen sei, dass eine solche Nichtanhandnahme durch die Stawa «nur bei klarer Straflosigkeit» angeordnet werden darf, «was vorliegend nicht der Fall ist».
Anhand von Videomaterial sei das Gericht zum Schluss gekommen, dass der Gummischroteinsatz durch die Polizei «aus mehreren Gründen nicht unproblematisch gewesen sei». So gebe es «gewisse Anhaltspunkte» dafür, dass der Mindestabstand für den Gummischroteinsatz unterschritten worden sei. Überhaupt erst dazu gekommen war es, weil zwei Demonstrant*innen ein Absperrband der Polizei überschritten hatten. Dies wertet das Appellationsgericht aber «mehr als Provokation denn als effektive Bedrohung».
2020 publizierten Bajour und die Republik eine Recherche zu den Vorfällen an der Basel-Nazifrei-Demo. Die Demo damals richtete sich gegen eine Standkundgebung der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos). Sie war unbewilligt und die Eskalation an der Kreuzung Mattenstrasse, Ecke Rosentalstrasse gibt bis heute zu reden. Zu Teil 1 unserer damaligen Recherche:
Die Polizei habe den «Mitteleinsatz» als Konsequenz fürs Überschreiten der Absperrung mehrfach angekündigt. Gleichzeitig hält das Gericht aber fest, dass zwischen Abmahnung und Mittelfreigabe «bloss eine kurze Zeitspanne von knapp zehn Sekunden» gelegen habe. Es sei «eher zweifelhaft», dass man sich in dieser Zeit aus dem Schussfeld hätte entfernen können. Ausserdem sei unklar, wieso der Mitteleinsatz «nicht sofort gestoppt» wurde, nachdem die Demonstrant*innen wieder hinter das Absperrband getreten waren.
Das Gericht weist deshalb die Staatsanwaltschaft an, gegen Verantwortliche des Gummischroteinsatzes «bzw. im Einsatz stehende Polizeibeamten zeitnah eine Untersuchung zu eröffnen». Es soll die genannten Aspekte näher abklären und «weitere Beweise erheben». Danach müsse die Stawa entweder Anklage beim Strafgericht erheben oder die Verfahren einstellen. Ein Entscheid zur Verfahrenseinstellung könnte wiederum beim Appellationsgericht angefochten werden.
Gemäss Tamedia sind noch 20 weitere Fälle im Zusammenhang mit der Nazifrei-Demo beim Strafgericht hängig. Ob sich der vorliegende Entscheid auf sie auswirkt, werde das Strafgericht zu beurteilen haben, heisst es in der Mitteilung des Appellationsgerichts.