Dreigroschenmonster
Die Dreigroschenoper, Geniestreich und Welthit von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik), hatte am Theater Basel Premiere. Ein episches Theater mit Witz und Klamauk, schreibt unser Autor Felix Schneider.
Die ideale Inszenierung der Dreigroschenoper ist und bleibt ein Traum. Wer das Theater liebt, hat ihn schon geträumt: schmissig-leicht und bissig-gesellschaftskritisch soll sie sein, «unsere»Dreigroschenoper, lustvoll-eingängig und geistig anspruchsvoll. Regisseur Antú Romero Nunes hat seine erfolgreiche Hamburger Inszenierung von 2015 nach Basel gebracht und mit der hiesigen Kompagnie überarbeitet – mit durchzogenem Erfolg. Der Traum bleibt ein Traum.
Die Dreigroschenoper trägt den Untertitel «ein Versuch im epischen Theater» und erzählt den Konkurrenzkampf zwischen zwei Geschäftsleuten in London: Unternehmer Peachum ist Inhaber der Firma «Bettlers Freund», die ihre Angestellten auf Elend trimmt, um mit Bettelei Gewinn zu machen. Der Räuber Mackie Messer und seine Bande ist auf direktere Gewalt spezialisiert, um Geld zu «verdienen». Sein Basiskapital ist seine Freundschaft mit dem Polizeipräsidenten der Stadt. Die Handlung kommt in Gang, weil Peachums Tochter sich mit Mackie Messer verheiratet, was das Geschäft des Vaters zu ruinieren droht.
Mit Witz erzählt
Vielversprechend fängt der Abend an. Peachum – gespielt vom virtuosen Jörg Pohl – präsentiert sein Geschäft, das darin besteht, menschliche Regungen zu erzeugen, die so heftig sein müssen, dass der Mensch sich zu der unnatürlichen Handlung verleiten lässt, Geld zu geben. Die Verwandtschaft mit dem Theater ist unübersehbar. Peachum/Pohl macht sich einen Spass daraus, das Publikum daran zu erinnern, dass es teuer bezahlt hat, um das Bettlerelend auf der Bühne zu sehen. Ein Opernplatz in Basel kostet zwischen 30 und 120 Franken. Peachums Prolog hat Biss und Leichtigkeit. Beides geht im Verlaufe des Abends verloren.
Zunächst aber sei gesagt: Regisseur Nunes hat sich eine grundlegende Methode des epischen, des erzählenden, Theaters auf eine höchst produktive und eigenständige Art angeeignet, nämlich die schnellen Perspektivwechsel, die Aus- und Einstiege in die Rollen. Die Spielenden fühlen sich in ihre Figuren ein, aber sie fühlen sich auch wieder aus. Die Figuren kündigen sich an: «Auftritt Peachum» sagt der Spieler des Peachum, bevor er als Peachum loslegt.
«Regisseur Antú Romero Nunes hat seine erfolgreiche Hamburger Inszenierung von 2015 nach Basel gebracht und mit der hiesigen Kompagnie überarbeitet – mit durchzogenem Erfolg. Der Traum bleibt ein Traum.»Felix Schneider
Das Theater wird reflektiert durch allerhand eingebaute Texte von Brecht. So können die Spielenden ihr Spiel anhalten, kommentieren, wieder aufnehmen oder ein Szene wiederholen. Sie können den tyrannischen, herumbrüllenden Regisseur alter Schule zeigen, etwa wenn Peachum einen neuen Angestellten einweist. Ein Schauspieler sagt plötzlich: «Und in diesem Moment und bevor die Hauptfigur etabliert wird, bauen wir, um die Spannung zu erhöhen, ein retardierendes Moment ein». Grundsätzlich schlüpfen die Spielenden für Kommentare von aussen in die Brecht-Maske: Mütze, Zigarre, gebeugter Gang. Das verliert sich allerdings mit der Zeit – und man weiss nicht mehr, warum die Brecht-Figur auftaucht.
Die Bühne bleibt leer. Die Spieler*innen schildern alle Requisiten und Schauplätze mit Worten, imitieren Gesten und Geräusche, etwa beim Öffnen von Türen, und beschimpfen gelegentlich ihr eigenes Bühnenbild, die beweglichen, von oben herabschwebenden Neonröhren.
Nunes hat eine Spielweise erfunden, die schnell Übergänge und harte Brüche erlaubt. Direkt an das schmalzige Liebeslied zwischen Mackie und Polly, drangeklebt sozusagen, sagt Polly: Der kommt nicht wieder! Was so viel heisst wie: es ist aus.
Grosse Klasse sind die langen Pausen, die das klischierte Hören der allzu bekannten Songs aufbrechen. «Denn wovon lebt der Mensch?» Wir sind gewohnt, sofort die Antwort zu hören. Nunes setzt eine lange Pause, die die Frage zu einer echten Frage an uns macht.
Unterhaltung? Natürlich. Aber welche?
Die grosse Gefahr für Regisseur und Kompagnie sind: der Klamauk, das Überdrehte, die Spässe, die Clownerien, die Schauspieler-«Kisten», die artistischen Einlagen halb pantomimischer Art. Nichts Grundsätzliches ist gegen sie einzuwenden, natürlich nicht, sie gehören zum schauspielerischen Handwerk. Aber sie müssen eine Form, eine Funktion und eine angemessene Länge haben. Sie verselbständigen sich gerne und dehnen sich aus. Die Schlägerei bei der Verhaftung von Mackie ist zwar akrobatisch virtuos, aber zu lang, und sie beraubt mich jeder Möglichkeit, an heutige Polizei zu denken. Manches ist nach vielen Nunes-Inszenierungen einfach abgenutzt, z.B. die Macho-Parodien.
Warum muss Elmira Bahrami, die als Jenny den Salomo-Song zu einem bitter-schönen Reflexionsmoment zu gestalten weiss, in eine stimmungskillende Feldherren- und Macho-Parodie verfallen, sobald sie den Name Cäsar ausspricht? Die Rumhamplerei beim Kanonensong wirkt verhamlosend, lenkt ab davon, dass hier Kriegsgurgeln in faschistoider Sprache von Rasse faseln. Insgesamt möchte man den sicher lustvoll improvisierenden Spielenden gelegentlich zurufen: kill your darlings! Und dem Regisseur sollte man eine Desex-Kur verordnen: In den nächsten sechs Inszenierungen wird der Pimmel nicht mehr angespielt. Das Grelle verleitet auch gelegentlich zur Oberflächlichkeit: spitze Schreie genügen einfach nicht, um Frau Pechum zu etablieren.
In dem dreieinhalbstündigen Monster-Abend wird die Gesellschaftskritik eher marginalisiert, was bleibt ist, die stark betonte «sexuelle Hörigkeit» als Erklärung fürs Handeln. Der Basler Sven Schelker ist ein junger, überraschender, grossartiger Mackie Messer, der menschliche Tiefe gewinnt. Sein Business – Raub und Mord! – vergisst man leicht im Laufe der Aufführung. Die Verdrängung des Aktuellen und des Gesellschaftlichen wird durch die Kostüme befördert: Brecht-Bluse oder Unterwäsche, Assoziationen an heutige Manager sind da schwierig. Schade ist in diesem Zusammenhang, dass Jennys Lied vom Schiff mit acht Segeln und fünfzig Kanonen, das die Stadt zerstört und dem kleinen Abwaschmädchen Gewalt über Leben und Tod gibt – dass dieses Lied nur in verstümmelter Form und an unpassendem Ort erscheint. Die Gewaltphantasien der Erniedrigten und Beleidigten wären in Zeiten von Gilets Jaunes und Wutbürger*innen von höchster Aktualität.
Sünde!
Kurt Weills Musik – wohl der Hauptgrund für die Beliebtheit der Dreigroschenoper – wird von einer Live-Band mit acht Musiker*innen unter der Leitung der Trompeterin Anita Wälti auf der Bühne dargeboten. Schön! Aber die Band wird im Hintergrund der Bühne versteckt, zumeist ins Halbdunkel versenkt, hinter Nebelschwaden verborgen, und nur zur Sauce verdickt über Lautsprecher in den Saal geschickt. Sünde! Wie kann man nur! Die Spielenden und die Musizierenden haben keinen Blickkontakt, trotzdem klappt das Zusammenspiel (eine Leistung!) Dass die Zuschauenden aber die gesamte Soundproduktion nicht klar sehen dürfen, widerspricht dem Geist des epischen Theaters total.
Ein zwiespältiger Abend. Immerhin: Der zweite Teil, nach der Pause, ist dichter als der erste. Und die letzte Szene ein exquisite Überraschung. Die Dreigroschenoper ist ja unzerstörbar. Von der idealen Aufführung aber träumen wir weiter.
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