Weg vom mehr-grösser-hipper-Trend
Cathérine Miville erinnert sich in ihrer Kolumne an Zeiten, in denen «Chillen am Rhy» noch verpönt war. Sie schätzt die Mediterranisierung, die Basel in den vergangenen Jahrzehnten erfahren hat. Der Wettbewerb um immer mehr und grössere Events geht ihr mitunter allerdings zu weit.
Cathérine Miville ist in Basel geboren und aufgewachsen. Sie unternahm ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel, später lebte sie lange Zeit in Deutschland, führte an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie und leitete zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer neuen Kolumne «Ma ville» wirft die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt und reflektiert, wie sich Basel entwickelt hat.
Als ich 1979 im Kleinen Klingental Hochzeit feierte und wir zu später, oder eher zu früher Stunde am Rheinufer die Nacht mit unserem Streicher-Trio ganz wunderbar haben ausklingen lassen, kam die Polizei. Ich hatte inzwischen Jeans und T-Shirt an, was unsere Entschuldigung, wir würden halt Hochzeit feiern, eher unglaubwürdig machte. Doch mein Kleid, das ich als Beweis aus einer Plastiktüte zog, überzeugte die Polizisten dann doch. Sie gingen wieder – nicht ohne Ermahnung: «Einfach so nachts am Rhein sitzen, das macht man doch nicht.»
Chillen am Rhein begann nämlich vor gar nicht so langer Zeit. Meist junge Menschen setzten sich zum Musizieren, Plaudern bei Wein und mehr einfach ans Ufer, denn da war es noch schöner als auf der Klagemauer am Barfi. Als die Wasserqualität es wieder zuliess, wurde das Rhy-Schwimmen bei allen Generationen populär und die Kleinbasler-Riviera ausgebaut. Was für eine grossartige Bereicherung für die ganze Stadt. Die Buvette-Kultur entstand und wächst stetig weiter. Basel lebt auf der Strasse, nicht nur am Rhein.
Der Wettbewerb der Städte um internationale Aufmerksamkeit und zahlungskräftige Besucher*innen ist heftig.
Wenn ich heute durch die Stadt gehe, freue ich mich natürlich über diese wunderbare Mediterranisierung, auch wenn damit schon auch eine krasse Kommerzialisierung einhergeht. Der Wettbewerb der Städte um Flair, Show-, Sport-, Gastronomie- und Kultur-Events und damit um internationale Aufmerksamkeit und zahlungskräftige Besucher*innen ist heftig.
Das zeigt aktuell sehr anschaulich das Rennen um den ESC. In kürzester Zeit wurde ein grandioses Konzept gezaubert. Gegen das Manko der kleineren Event-Halle wurde die Idee entwickelt, zusätzlich im Joggeli-Stadion Public-Viewing anzubieten: also quasi ein digitales Bühnenerlebnis bei spürbarer Nähe zum analogen Event. Ob Basel damit auch in die Liga der Städte aufsteigt, die die Erde bei einem Show-Event messbar zum Beben bringen kann, wird sich noch zeigen müssen. Aber ein Publikum, das an zwei verschiedenen Orten im Gleichtakt hüpft, würde Basel in diesem Ranking sicher weit nach vorne bringen und auch die Hoffnung beleben, dass danach auch künftig vermehrt grosse Konzerte im Joggeli stattfinden werden. Insgesamt macht die Bewerbung jedenfalls eindrücklich deutlich: Basel kann und will dieses Mega-Event stemmen.
Aber was heisst das denn nun, Basel kann Event? Kaum ist die Art verdaut, ist die Stadt schon wieder brechend voll mit Städtereisenden und es läuft das Tattoo. Auch wenn der Verkauf etwas schleppt, geniessen doch an die zweihunderttausend Menschen aus aller Welt diese Sommer-Fasnacht der Militärmusik. Auch die Herbstmesse und die Weihnachtsmärkte sowie natürlich die Fasnacht werden zum Beleg der Event-Fähigkeit aufgeführt. Bis zur ganzjährigen Vereventisierung ist es nicht mehr weit: In Basel ist nie nix los. Das ist gut – fürs Image und den Bekanntheitsgrad, für die wirtschaftliche Entwicklung, möglicherweise auch fürs Anwerben von Fachkräften.
Es geht ums richtige Mass. Oder wollen auch wir zum Stadt-Museum werden, für das bei Tagesbesuchen Tickets gelöst werden müssen?
Aber wo sind die gesunden Grenzen? Wann ist der Punkt erreicht, an dem der Charme der Stadt zu sehr leidet und Events wegen permanenter Überfüllung nicht nur von Basler*innen gemieden werden?
Bei einem Spaziergang durch die Altstadt ist mir wieder eingefallen, was mir mein Vater vor sehr langer Zeit erzählte, als wir über den Petersplatz in Richtung Uni gingen: Mitte des 15 Jh. als das Konzil von Basel nach 17 Jahren zu Ende ging, verliessen 2000 Gäste die Stadt, die damals gerade mal 8000 Einwohner*innen hatte. Zur Aufwertung der Stadt und um erneut Menschen dauerhaft an Basel zu binden, entschieden sich die Stadtväter, eine Universität zu gründen. Und um den Tourismus anzukurbeln, kauften sie das dauerhafte Recht für eine Frühlings- und eine Herbstmesse: zwei Gross-Events und dazwischen normales städtisches Treiben der Bewohner*innen war ihr Plan. Genau darum geht’s doch – ums richtige Mass. Oder wollen auch wir zum Stadt-Museum werden, für das bei Tagesbesuchen Tickets gelöst werden müssen?
Basel ist vielleicht doch ein bisschen zu sehr auf dem mehr–grösser-hipper-Trip.
Natürlich sind Events wichtig, und Internationalität ist super. Wenn aber die Vermarktung der Attraktivität der Stadt dazu führt, dass Boule-Spieler*innen für die x-te Buvette von ihrem Platz vertrieben werden sollen, verstärkt sich auch ohne nostalgische Verklärung mein Eindruck, Basel ist vielleicht doch ein bisschen zu sehr auf dem mehr–grösser-hipper-Trip. Die ja nicht arme Stadt könnte sich doch ein bisschen mehr «small is beautiful» leisten, auch wenn diese Wirtschaftstheorie schon gut 50 Jahre alt ist.
Auf den Dächern der Stadt schiessen gerade ganz verschiedene Bars wie Pilze im verregneten Sommer aus dem Boden. Nur gut, dass nicht alle Neu-Gastronomien die Firmen-Reviere ihrer Dachterrassen-Bars mit breitflächigen LED-Beleuchtungen markieren. Die nächtliche Skyline im Grossbasel Ost leidet für mein Empfinden schon sehr unter dieser Event-Gastro-Beleuchtung, auch wenn sie vom renommierten Light-Designer James Turrell gestaltet wurde. Zugegeben, ich habe eine rein subjektive Aversion gegen die alles überstrahlenden, ewig gleichen vier LED-Farbtöne. Es geht auch umsichtig und dosiert, beispielsweise beim Novartis Campus: beim Eindunkeln dreissig Minuten Video-Kunst und sonst der Abendhimmel über der Altstadt. Passt. Und weckt auf so manchem abendlichen Heimweg wunderschöne Erinnerungen an unvergessliche Momente – nicht allein an Hochzeiten.