Ein drittes Geschlecht gegen Hass und Häme
Nach dem ESC-Sieg von Nemo wird nicht nur über instabile Dächer der Eventhallen diskutiert, sondern auch über die juristische Anerkennung von LGBTIQ. Der Hass, der dadurch provoziert wird, muss angegangen werden, kommentiert Valerie Zaslawski.
Nach dem Sieg der non-binären Person Nemo wurde viel und intensiv über den zukünftigen Austragungsort des Eurovision Songcontest (ESC) diskutiert. Auch wenn unsere Community der Überzeugung ist, Basel könnte das stemmen, hat sich die Stadt am Rheinknie mit ihrem instabilen Joggelidach bereits selber aus dem Rennen genommen.
Ebenfalls Aufwind hat mit dem Sieg von Nemo die Diskussion um ein drittes Geschlecht bekommen. In den sozialen Medien wird der Druck auf Politik und Behörden grösser, non-binäre Menschen juristisch anzuerkennen. Und damit wächst erschreckenderweise (wenn auch nicht überraschend) der Hass und die Häme.
So hat beispielsweise ein Tweet auf X (ehemals Twitter) der Grünen Grossrätin Fleur Weibel 152 Kommentare provoziert. Sie erlaubte sich zu sagen, dass es ihr egal ist, ob der #ESC nächstes Jahr in Basel oder Genf stattfindet. Vielmehr erwarte sie, dass nächstes Jahr zum ESC eine Vorlage zur Einführung des dritten Geschlechtseintrags in der Schweiz vorliegt.
Während die SP-Grossrätin Melanie Nussbaumer sich in ihrem Kommentar sowohl als auch wünscht: «Wie wär's mit Basel #esc2025 und dritter Geschlechtseintrag? #wecanhaveboth», stimmt Basta-Grossrätin Tonja Zürcher Weibel zu: «100% einverstanden. Stolz auf eine Person zu sein, heisst auch, ihre Existenz zu akzeptieren. Der dritte Geschlechtseintrag ist überfällig.»
Was in den Kommentarspalten danach folgt, zeugt vor allem davon, dass die Infragestellung des Zweigeschlechtermodells mehr als nur provoziert. Und sie wirft Fragen auf – manche davon vernünftig, andere verachtend: «Wie heisst das 3.Geschlecht und viel spannender: wie pflanzt es sich fort?», steht da beispielsweise. Oder: «Wie ist Militärpflicht des dritten Geschlechtes?» Und schliesslich: «Wie sehen die Geschlechtsteile des dritten Geschlechtes eigentlich aus? Ich frage nur, weil ich nicht überrascht werden möchte und in der Schule hatten wir das nicht.»
Während in den sozialen Medien der Anstand zu wünschen übrig lässt, stellen sich auf juristischer Ebene tatsächlich ein paar Herausforderungen. So müsste nicht nur die Verfassung angepasst werden, sondern auch zahlreiche Gesetze und Verordnungen. Die Hürden wären allerdings alles andere als unüberwindbar. Unsere Nachbarländer machen es vor: So haben Deutschland, Österreich und die Niederlande bereits weitere Geschlechtsbezeichnungen eingeführt – oder gar die Möglichkeit, ganz auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten.
Weil Sascha auf dem Ultraschallbild kein Zipfeli hatte, wurde Sascha bei der Geburt zu einem Mädchen gemacht. Heute lebt Sascha non-binär und erklärt, warum «er» oder «sie» nicht auf Sascha zutreffen.
Die Debatte dürfte nun dank Nemo und SP-Bundesrat Beat Jans neuen Schwung bekommen. Nemo hatte bei der Pressekonferenz nach dem Sieg gesagt, als erstes Beat Jans anrufen zu wollen, um mit ihm über queere Rechte zu sprechen. Und auch Jans hat in seiner Gratulationsnachricht an Nemo ein Treffen angekündigt, dabei dürfte es auch um das dritte Geschlecht gehen. Bisher hat die Landesregierung die Einführung abgelehnt; gefordert wurde sie von der Grünen Nationalrätin Sibel Arslan.
Doch die Hoffnung ist intakt: So hat Jans es auch in Basel geschafft, eine Verbesserung für queere Menschen zu erzielen: Basel-Stadt ist der erste Deutschschweizer Kanton, der die Gleichstellung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans, non-binären und intergeschlechtlichen Personen explizit gesetzlich verankert hat und nun aktiv werden kann für queere Menschen. Seit Montag ist denn auch die neue Stelle als Projektleiter*in LGBTIQ online ausgeschrieben.
Es muss einmal klipp und klar gesagt werden: Dass es von einem progressiven Geist zeugt, auf den wir stolz sein dürfen, dass Basel-Stadt diese Pionierleistung geschafft hat – allen nervenaufreibenden Diskussionen in und um das Parlament zum Trotz.
Basel-Stadt hat diese Pionierleistung dank progressivem Geist geschafft, darauf dürfen wir stolz sein.
Dieser progressive Geist ist nun auch auf Bundesebene gefragt, denn der Hass gegenüber LGBTIQ und vielleicht insbesondere gegenüber non-binären Menschen ist gross. Dies wird auch der neue Bericht der LGBTIQ Helpline zu queer-feindlichen Hate Crimes im Jahr 2023 wieder zeigen, der am Freitag veröffentlicht wird. Um auf die stark gestiegene Anzahl Meldungen von Hate Crimes aufmerksam zu machen, werden auf dem Bundesplatz gleichzeitig so viele Mobiltelefone klingeln, wie im Jahr 2023 Meldungen eingegangen sind.
Klingelnde Telefone sind ein starkes Zeichen. Aber ein starkes Zeichen reicht nicht. Die Einführung eines dritten Geschlechts wäre ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um Akzeptanz zu schaffen. Und dem Hass entgegenzuwirken. Bis dahin sollte sich jede*r selbst an die Nase nehmen, dies gilt insbesondere für die Medien, die sich äusserst schwer damit tun, keine Pronomen zu verwenden, wie zuletzt auch die Berichterstattung über Nemo gezeigt hat. Ja, wir können! Und bis wir soweit sind, ist vielleicht auch das Joggelidach stabil genug, um Grossanlässe nach Basel zu holen.