Kompetente Frau sucht Arbeit

Ein neues Kursangebot des Gewerbeverbands richtet sich an Mütter, die nach einer Eltern-Auszeit wieder in den Beruf einsteigen wollen. Das Fazit nach dem Kursstart: Für viele Frauen braucht das Mut.

Wiedereinstieg Kurs
Am ersten Kursmorgen reflektieren die Teilnehmerinnen ihre Werte, Interessen und Fähigkeiten. (Bild: Michelle Isler)

Acht Frauen sitzen an diesem Dienstagmorgen in einem Seminarraum beim Gewerbeverband an der Elisabethenstrasse. Vor ihnen auf den Tischen liegen Etuis, Notizbücher und Laptops. Und am Horizont: der berufliche Wiedereinstieg.

Auf dem Weg dahin soll sie das neue Seminar «Fit für den Wiedereinstieg» des Gewerbeverbands unterstützen. Der Verband hatte sich gefragt, was er dem Arbeitskräftemangel entgegen setzen kann. Die Antwort: Frauen fördern. «Arbeitskräftemangel ist eines der Themen, die unsere Mitglieder am meisten beschäftigt», erklärt Tamara Alù, Leiterin Politik. «Dieses Seminar ist ein Ansatz, wie wir dem begegnen können. In der Unterstützung von Frauen, die nach einer Eltern-Auszeit zurück in den Arbeitsmarkt wollen, sehen wir viel Potenzial.» 

«Wir hoffen, dass wir so Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebende zusammenbringen können.»
Tamara Alù, Leiterin Politik Gewerbeverband

Deshalb, so Alù, setze der Gewerbeverband «auf das Know-How» des Vereins Kiebitz, der seit über 20 Jahren Personen «in beruflichen Veränderungsprozessen» begleitet. Vier Kurshalbtage mit zusätzlichen individuellen Coachings sollen den Frauen helfen, sich bestmöglich auf dem Arbeitsmarkt zu präsentieren. Alù will die Frauen nach dem Seminar auch mit dem Netzwerk des Gewerbeverbands aus 5’500 Mitgliedern verknüpfen. «Wir hoffen natürlich, dass wir so auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebende zusammenbringen können», erklärt sie.

Tamara Alu
Tamara Alù ist auch FDP-Vizepräsidentin. Sie und der Gewerbeverband sehen «viel Potenzial» in der Unterstützung von Frauen nach einer Eltern-Auszeit. (Bild: Michelle Isler)

Kiebitz-Projektleiterin Alexandra Angermann erzählt, die Hälfte der Anmeldungen erfolgte kurzfristig. Für Angermann hat das nicht nur mit der Neuheit des Angebots oder mit dem Zeitaufwand zu tun, sondern auch mit der Bedeutung des Kurses für die Frauen. «Dieser erste Schritt in so einen Kurs ist für viele ein Mutschritt», sagt sie. 

Das bestätigt sich in der Vorstellungsrunde am ersten Kursmorgen. Die Frauen sollen während 20 Minuten eine «Ich-Präsentation» vorbereiten. Die beiden Kursleiterinnen Petra Zwalen und Vanessa Alvarado verteilen dafür A3-Blätter und bunte Stifte. Es sind persönliche Geschichten, die die Teilnehmerinnen in der darauffolgenden Runde von sich preisgeben.

«Dieser erste Schritt in so einen Kurs ist für viele ein Mutschritt»
Alexandra Angermann, Projektleiterin Kiebitz

Da ist zum Beispiel Caroline. Sie ist studierte Sozialwissenschaftlerin, 48 Jahre alt und bevor sie Mutter wurde, arbeitete sie in der öffentlichen Verwaltung in den Bereichen Wirtschaft und Soziales. «Ich wollte eigentlich nicht zuhause bleiben, aber so ist es dann gekommen», erzählt sie, zeigt auf ihrem A3-Blatt auf einen grossen Kreis in der Mitte und erklärt: «Die Familie hat von einem auf den anderen Tag ganz viel Platz eingenommen.» Ihr Sohn ist mittlerweile acht Jahre alt und sie arbeitet in kleinem Pensum. Es freue sie, wenn sie dann jeweils «einen Tag unter Erwachsenen» verbringen könne, sagt sie – andere Teilnehmerinnen schmunzeln und nicken bestätigend.

Caroline
Caroline arbeitet derzeit in kleinem Pensum und ist bereit für mehr. (Bild: Michelle Isler)

Caroline würde gerne mehr arbeiten, «aber meine letzte erfolgreiche Bewerbung ist zehn Jahre her», erzählt sie ein bisschen später während einer Pause. Sich selbst zu organisieren, sich zu informieren über Bewerbungsprozesse und Unterlagen zusammenzutragen, empfindet Caroline als eine Herausforderung. Als sie dann in der Gärngschee-Gruppe auf den Kurs aufmerksam wurde, hat sie die Gelegenheit gepackt: «Das passt so gut für meine aktuelle Situation.» Sie sei unsicher, «ob das Gewerbe bereit ist für mich: Eine fast 50-jährige Frau mit einem jüngeren Kind». 

Die 53-jährige Martina steht vor einem Wiedereinstieg mit anderen Vorzeichen. Sie hat eine KV-Ausbildung, sattelte nach der Geburt ihrer Kinder auf Bewegungstherapie um und hat dann selbstständig als Yogalehrerin gearbeitet. Ende letzten Jahres erkrankte sie an einem Burnout. «Ich suche jetzt einen Job mit geregelten Arbeitszeiten und bin offen für ganz viel», sagt sie. «Ich könnte mir auch einen Quereinstieg vorstellen und schreibe derzeit Bewerbungen. Deshalb passt dieser Kurs sehr gut, ich bin mega dankbar für das Angebot.» 

Wiedereinstieg Kurs Martina
Martina (2.v.r.) ist offen für einen neuen Job und sehr dankbar für das Angebot des Gewerbeverbands. (Bild: Michelle Isler)

Eine andere Teilnehmerin hat vor dem Mutterwerden in der Bankenbranche gearbeitet und danach Betriebswirtschaft studiert. Nun bewirbt sie sich auf 50-Prozent-Jobs und erhält Absagen. Der Grund: Sie sei überqualifiziert. 

Und die 37-Jährige Kerstin hat Kinder im Alter von fünf und acht Jahren und habe es «bisher noch gar nicht gewagt», sich zu bewerben. Sie ist viel gereist, hat unter anderem in der Katastrophenhilfe gearbeitet, engagiert sich in einer christlichen Hausgemeinschaft und sucht nun nach einem 20- bis 30-Prozent-Job mit familienfreundlichen Arbeitszeiten. Sie ist aber unsicher, ob ein Arbeitgeber überhaupt bereit wäre, sie für ein so kleines Pensum einzustellen. 

Wiedereinstieg Kurs Kerstin
Kerstin sucht einen familienfreundlichen Job, hat es bisher aber noch nicht gewagt, sich zu bewerben. (Bild: Michelle Isler)

Kiebitz begleitet Frauen regelmässig mit Kursen und Coaching beim Wiedereinstieg nach einer Kinderpause. Es sei «ganz typisch», sagt Projektleiterin Angermann, dass solche Kursgruppen so heterogen seien. Raum, um den individuellen Umständen und Voraussetzungen der Frauen gerecht zu werden, ist aber vorhanden: Zwischen den Kurshalbtagen gibt es Einzelcoachings und besonders an diesem ersten Kursmorgen arbeiten die Teilnehmerinnen viel in Einzelarbeit.

«Selbstwertgefühl ist für den Wiedereinstieg das A und O.»
Alexandra Angermann, Projektleiterin Kiebitz

Mithilfe eines Kompetenzprofils sollen sie festhalten, was sie auszeichnet. Und im Austausch mit den anderen Kursteilnehmerinnen reflektieren sie ihre Werte, Interessen und Fähigkeiten. «Selbstwertgefühl ist für den Wiedereinstieg das A und O», erklärt Angermann. Wie einfach dieser ist, hänge aber auch von politischen Rahmenbedingungen wie Elternzeit und Kitas sowie von gesellschaftlichen Einstellungen ab.

«Diese Frauen haben während der Mutterzeit nicht nur Windeln gewechselt», sagt Angermann. Sie vermisse manchmal die Anerkennung für das, was Eltern leisten. «Wir können uns alle an der Nase nehmen und zum Beispiel nicht immer gleich verärgert reagieren, wenn ein Kind im Tram mal laut ist. Wie wir mit Kindern umgehen, prägt auch das Selbstbild der Eltern.»

Alexandra Angermann
Alexandra Angermann des Vereins Kiebitz coacht die Frauen auf dem Weg zum Wiedereinstieg. (Bild: Michelle Isler)

Mehrmals hören die Teilnehmerinnen an diesem Morgen den Begriff «Selbstmarketing» und die Frage: «Wie verkaufe ich mich am besten?» Manche mag diese Formulierung abschrecken, das weiss auch Kursleiterin Vanessa Alvarado. Sie umschreibt: «Es geht darum, authentisch erzählen zu können, was man einem potenziellen Arbeitgeber anbieten möchte. Darum, dass man selber sicher ist, was man gut macht und was man kann.» In den kommenden Wochen beschäftigen sich die Frauen ausserdem mit Bewerbungsunterlagen, Strategien und Vorstellungsgesprächen. 

Nach einem intensiven Vormittag spürt man als Beobachterin, dass die gemeinsame Kurserfahrung in den Frauen etwas bewegt hat. So sagt Caroline, sie staune über die vielfältigen Lebensläufe der hier anwesenden Frauen. Und sie schliesst mit einem Lächeln: «Jetzt bin ich motiviert und es ist schön, zu sehen, dass ich nicht alleine bin in meiner Situation.» Auch die meisten anderen Teilnehmerinnen wirken motiviert, sie loben die Atmosphäre des Vormittags in der Schlussrunde. Kerstin sagt: «Ich finde es krass: Man hört immer vom Arbeitskräftemangel und hier sitzen acht kompetente Frauen im Raum, die nach Arbeit suchen.»

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Das ist Michelle (sie/ihr):

Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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