«Der Entscheid ist ein Schock für uns»

Der Nationalrat hat gestern beschlossen, im Budget 2025 insgesamt 250 Millionen Franken in der Entwicklungszusammenarbeit zugunsten der Armee zu sparen. Basler NGOs zeigen sich schockiert, sprechen von einem kurzsichtigen Richtungsentscheid und hoffen jetzt auf den Ständerat.

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Jugendliche leisten lebenswichtige Aufklärungsarbeit zu HIV/Aids in Südafrika. (Bild: Terre des Hommes Schweiz / Mawande Kheswa)

«Dieser Entscheid ist das Worst-Case-Szenario», sagt Alexandra Nicola, Co-Geschäftsführerin von Iamaneh. Die Basler Nichtregierungsorganisation (NGO) unterstützt Frauen und Kinder, die von Armut und Gewalt betroffen sind. Seitdem klar war, dass der Nationalrat einen Sparkurs in der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) einschlagen könnte, um mehr als eine halbe Milliarde Franken in die Armee zu investieren, war die Besorgnis auch unter Basler NGOs gross. Gestern hat der Nationalrat das Budget für die IZA um 250 Millionen Franken zugunsten der Armee gekürzt – gegen den Widerstand der Linken, der GLP und der EVP. Der Entscheid ist aber noch keine beschlossene Sache, in einem nächsten Schritt wird sich noch der Ständerat mit dem Budget befassen.

Alexandra Nicola
«Die Schweiz leistet mit den Beiträgen an NGOs einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Demokratie und Frieden in der Welt.»
Alexandra Nicola, Co-Geschäftsführerin von Iamaneh

«Der Entscheid ist ein Schock für uns. Er hat bei uns grosse Betroffenheit ausgelöst», sagt Nicola. Die nun eingetretene Planungsunsicherheit mache es für ihre NGO extrem schwierig. Denn: «Aktuell haben wir noch keine Verträge mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit für die Zeit ab Januar 2025. Zudem kommt der Beschluss zu einem Moment, in dem unsere Planungen für 2025 längst abgeschlossen sind.» 

Nicola verweist darauf, dass die Schweiz mit den Beiträgen an NGOs einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Demokratie und Frieden in der Welt leiste. Für ihre NGO heissen die Kürzungen konkret, dass sie wesentliche Aktivitäten nicht umsetzen werden können: «Dies betrifft direkt die Frauen und Mädchen in unseren Partnerländern. Es wird für sie zum Beispiel weniger Möglichkeiten geben, im Falle von Gewalt wirksame Auswege und Schutz zu finden.» Man werde geplante, neue Initiativen auf Eis legen bzw. annullieren müssen und wahrscheinlich auch bereits eingegangene Engagements neu verhandeln müssen.

Besorgt äussert sich auch Madeleine Bolliger, Geschäftsleiterin bei der Kooperationsgemeinschaft mit Sitz in Basel. Ihr Dachverband hat Verträge mit Projekten in anderen Ländern und damit verbundene Verpflichtungen. «Ich bin schwer enttäuscht über die Kurzsichtigkeit des Nationalrats», sagt sie. «Wir haben Verträge mit Projekten in anderen Ländern, haben Verpflichtungen und tragen Verantwortung. So zu tun, als wäre das alles Makulatur, finde ich sehr problematisch.» Kürzungen in der Höhe könnten zur Folge haben, dass Programme geschlossen werden oder dass Mitgliedsorganisationen aus gewissen Ländern aussteigen müssen.

Bolliger sagt: «Internationale Zusammenarbeit ist aus meiner Sicht Friedenspolitik, Sicherheitspolitik und Prävention. Wir haben mit vergleichbar wenig Geld einen grossen Hebel, um wirklich etwas zu bewirken.» Sie spricht von einem «Kuhhandel mit tragischen Folgen», wenn sie an die humanitäre Tradition denkt, die die Schweiz hat. «Die Kontakte und Netzwerke in den Ländern des Globalen Südens sind auch aus geopolitischer Sicht sehr wichtig und es wäre sehr kurz gedacht, diese nun aufs Spiel zu setzen. Damit schiesst sich die Schweiz ein Eigentor und riskiert einen Reputationsschaden.» 

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«Die massiven Einsparungen würden auch für den Gesundheitsbereich einen klaren Rückschritt bedeuten.»
Martin Leschhorn Strebel, Geschäftsführer von Medicus Mundi Schweiz

Martin Leschhorn Strebel, Vize-Präsident der SP Basel-Stadt und Geschäftsführer von Medicus Mundi Schweiz, schildert, dass die massiven Einsparungen auch für den Gesundheitsbereich einen klaren Rückschritt bedeuten würden: «Wir stehen bei Wirkstoffen gegen HIV, Tuberkulose und Malaria kurz vor dem Durchbruch. Ich spreche von Innovationen, die medizinische und gesundheitliche Fortschritte bringen könnten und eine grosse Veränderung für die Menschen weltweit wären.» Das beste Beispiel sei Lenacapavir, ein Mittel gegen HIV. «Der Wirkstoff ist extrem effektiv und ein Gamechanger – wir sollten die Chance jetzt nutzen, Investitionen in die Weiterentwicklung des Wirkstoffes lohnen sich.» Leschhorn Strebel betont ausserdem die verschlechterte Menschenrechtssituation für Menschen, die einem hohen HIV-Risiko ausgesetzt sind. «Gerade deshalb ist die Arbeit von NGOs so wichtig, denn sie stärken diese Gemeinschaften und machen den Zugang zur Prävention möglich.»

Von einem «fatalen Richtungsentscheid» spricht Jasmin Schraner, Medienverantwortliche bei Terre des Hommes Schweiz. Sie erwartet einen «regelrechten Kahlschlag», der bewährte Projekte der Schweizer IZA gefährde. Wie die anderen Basler NGOs, mit denen Bajour gesprochen hat, wäre auch Terre des Hommes Schweiz gezwungen, die Projektarbeit drastisch zu reduzieren. Die Kürzungen würden laut Schraner nicht nur Projekte im Ausland gefährden, sondern auch das Engagement in Basel: «Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir beispielsweise die Finanzierung des Imagine-Festivals beenden müssten.»

Jasmin Schraner
«Es ist alarmierend, wie leichtfertig das Schweizer Parlament die Gelder für diesen zentralen Pfeiler der Aussenpolitik kürzt.»
Jasmin Schraner, Medienverantwortliche bei Terre des Hommes Schweiz

Schraner verweist auf die hohe Glaubwürdigkeit der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in der Welt. «Eine kurzfristige Schliessung von Programmen hätte eine unwiederbringlichen Imageschaden zur Folge, welche die internationale Wahrnehmung der Schweiz als verlässliche Partnerin in der internationalen Zusammenarbeit schädigen würde.» Zudem sei es alarmierend, wie leichtfertig das Schweizer Parlament die Gelder für diesen zentralen Pfeiler der Aussenpolitik kürzt, «das zeugt von einer verengten Perspektive auf Sicherheitspolitik». 

Noch sind die Würfel nicht gefallen und alle Hoffnung seitens der NGOs liegt beim Ständerat. Dass der Gürtel in der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit künftig enger geschnallt werden muss, dürfte klar sein – fragt sich nur, wie eng und mit welchen Konsequenzen.

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Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Senior-Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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