Er schöppelet Lämmli und nennt es Kunst 🐑🐑🐑
Der Basler Künstler Denis Handschin hütet momentan im abgeschiedenen Safiental 700 Schafe. Was soll das?
Denis Handschin sieht aus, wie ein Hirte halt aussieht: leicht dreckig vom Schaffen, mit Wanderschuhen, schwarzer Arbeitskluft und Filzhut gegen Sonne und Regen. Handschin kommt aus Basel, der Hut auch. «Den habe ich vom Hutladen am Fischmarkt, ich lasse ihn immer wieder mal glätten.»
Der Künstler wartet auf mich an der Bushaltestelle Safien-Platz mitten im Ort. Es gibt einen kleinen Self-Service-Laden «Spensa» (Kaffee 7 Tage die Woche!), nebenan weiden Yaks, Lamas und Kamele unter tibetischen Gebetsfahnen.
Das Safiental ist ein Einbahntal – der Bus fährt hinein und auf derselben Strasse wieder hinaus. Nur Wanderwege führen auf anderem Weg aus dem Tal. Nimmt man die, steht man plötzlich im schönsten Nichts.
Ein genialer fauler Zauber
Mit dem Nichts kennt sich Handschin aus, er hat es schon einmal zum Mittelpunkt seiner Kunst gemacht: An der Regionale 2015 stellte er Nichts aus. Wortwörtlich. Für die einen war das ein genial-ironischer Kommentar, für die anderen ein fauler Zauber.
Bekommen wir auf der Alp etwas davon zu sehen?
Wir legen mein Gepäck im geschlossenen Kaffeebetrieb «z’Cafi» ab. Im holzvertäfelten, rund zwölf Quadratmeter grossen Eingangsbereich finden sich Postkarten und Post-Its mit Eindrücken von Besucher*innen. Neben angefressenen Salzsteinen stehen lebensgrosse Designer-Holzschafe, ein grosser Sack mit frisch-fettiger Schafswolle, ein Kochbuch («Schafsgeschichte und Lammgerichte») und weitere Schaf-Sachen. «Dies ist mein Ausstellungsraum», erklärt Handschin knapp und ist schon wieder auf dem Weg hinaus. Was wirklich zählt, befindet sich nicht hier drin.
Wir nehmen den Bus in Richtung Berggasthaus Turrahus und beginnen mit unserer Wanderung auf 1700 Metern.
Wo sind jetzt diese Viecher?
Erstmals sehen wir keine Schafe. Dafür hüfthohe QR-Codes im Grün frisch gemähter Wiesen, Fotografien vom Inneren des Gebirges oder ein in grellbunte Pixelwände eingekleideter Heustall. In einem anderen «naturbelassenen» Heustall gibt's ein Virtual Reality Erlebnis, in welchem man auf hunderten Metern Höhe in der umliegenden Landschaft zu schweben scheint, während sich grellfarbige Animationen über Berg und Tal schlängeln.
Momentan findet hier die Biennale Art Safiental statt, eine Art Freiluftausstellung mit Arbeiten von zeitgenössischen Schweizer Künstler*innen. Das Thema: «Analog-Digital». Handschin freut sich über die Beiträge seiner Kolleg*innen, wendet sich aber immer wieder ab, um den gegenüberliegenden Hang zu fotografieren. Dort befinde sich die Bruschgalp. Dort weiden sozusagen «seine» Schafe.
«Seine» ist etwas enthusiastisch ausgedrückt: Handschin begleitet in unregelmässigen Abständen Schafhirten auf Kontrollgängen zur Alp, wo sich momentan um die 700 Schafe aufhalten, bewacht von drei Hirtenhunden.
Zu Handschins Tätigkeiten gehörten bislang:
- Bauen eines Hags
- Füttern der Hirtenhunde und Schafe
- Handwerksarbeiten am Stall
- Heuen auf dem Hof in der kleinen Ortschaft Zalön;
- und Handschins Lieblingsbeschäftigung: «Über einen Monat lang jungen Lämmern den Milchschoppen geben.»
Er lächelt verliebt.
Und das soll Kunst sein? Was unterscheidet Handschin von einem Zimmermann, der einen Dachstock baut und dann sagt, das sei jetzt Kunst?
Es nicht so einfach zu erklären, was am Schafschöppelen und Hag-Bauen Kunst sein soll, das hat Handschin in zahlreichen Gesprächen mit den Ortsbewohner*innen selbst gemerkt. «Monet hab ich gern», hörte er einerseits. Andererseits wird er mehr zu seiner Arbeit mit den Schafen als zu seiner Kunst befragt.
Doch wo hört die Arbeit als Hirte auf und wo fängt die Kunst an?
Handschin beschreibt sein Vorgehen als «situativen Prozess». Kernstück ist nicht der Ausstellungsraum, sondern die Ausbildung zum Schafhirten. Im Laufe von drei Jahren erlernt der Basler diesen Beruf. Während der Biennale gibt er täglich auf seiner Website und in den sozialen Medien Einblick in seine Arbeit. Titel: #dailysheepnews. Am 24. August etwa postet er auf Facebook das Foto von Snoopy, dem Hirtenhund, im Auto und ein Bild von Brotstückchen mit den Worten: «Preparing for making the sheep follow me» (engl.: Vorbereitung, damit die Schafe mir folgen).
Zurück von unserer Wanderung treffen wir eine Handvoll Neugieriger in der Ausstellung an. Sie haben Fragen. Fühlst du dich mehr als Schäfer oder Künstler, Denis Handschin?
«Beides», antwortet der ruhig, «in meinem Lebenslauf finden sich 27 verschiedene Tätigkeiten. Ich bin flexibel, ich kann mich auf verschiedene Situationen einstellen». Sein Ding ist: Immer wieder neue Berufe ausprobieren und sie zur Kunst machen – beziehungsweise die Kunst zum Alltag machen. Vom Swimming-Pool-Tester in internationalen Ferienressorts bis zum Seniorenbetreuer hat Handschin schon alles gemacht. «Als professioneller Dilettant tauche ich immer wieder in Situationen ein und nehme neue Herausforderungen an», sagt er.
Privilegierter Weltenbummler
Bis vor kurzem weilte Handschin noch in Nicaragua, wo er sich mit Kite Surfing beschäftigte und als Volontär für eine Permakulturfarm arbeitete, sowie samstags auf dem Markt Henna malte. Seine Abreise wurde wegen Corona verschoben, aber er schaffte es doch noch an die Biennale im Safiental.
Ein Glück: «Ich wollte schon lange Schäfer werden», sagt Handschin. Die Ausschreibung der Biennale passte perfekt. Frustrierte Zyniker*innen könnten sagen: Hier lebt ein privilegierter Basler seine Freiheit fern von bürgerlichen Zwängen aus. Er bummelt durch die Welt, fängt immer wieder etwas Neues an, wenn er vom Alten genug hat und darf sich auch noch Künstler nennen.
Er darf. Und die Leute (und ich) haben eine Freude an ihm und seinen Lämmli. Wenn das keine Kunst ist.
Du willst ins Safiental?
Die Biennale Art Safiental läuft noch bis zum 1.11.2020. Leser*innen sind eingeladen, Feedback zu Handschins Arbeit zu geben und eigene Beiträge einzusenden, gerne analoge oder digitale Postkarten!
Wenn du mehr über Denis Handschin und seine Schafe erfahre möchtest, empfehlen wir dir das Interview mit Dominik Landwehr.