Einfach atmen

Ein geschäftiger Guru bringt einen Kongress über Ethik im Sport nach Basel. Dort kann sich die Fifa progressiv geben – und Doping für «the next big thing» erklärt werden. Von einem Donnerstag zwischen TED-Talk und Atem-Yoga.

Sri Sri Ravi Shankar
Manche kamen nicht nur wegen des Sports – sondern einfach für ein Foto mit dem Gurudev. (Bild: David Rutschmann)

«Creating role models,

reaching for stars,

Ethics in sports

It’s the name of the game»

So tönt es zu einer radiotauglichen Melodie aus den Boxen, als im Volkshaus die Gäste (Dresscode: Mehr Fifa-Funktionär als Nati-Spielerin) Platz vor der Bühne nehmen. Ja, sie haben einen eigenen, etwas albernen Jingle gemacht für das «World Summit on Ethics and Leadership in Sports» – nennen wir sie ab jetzt Sportethik-Konferenz. 

Hier werden im Verlauf des Tages verschiedene Panels und Podiumsdiskussionen mit einer ziemlichen A-List an Teilnehmer*innen aus der Welt des Sports stattfinden. Im Eingangsbereich wird man erstmal von einem mit zahlreichen Skincare-Produkten und kleinen Schweiz-Fahnen ausgestatteten Gabentisch der Firma Shankara empfangen – natürlich alles mit ayurvedischer Rezeptur. Viel beachtet wird sie vom Networking-affinen Publikum nicht – dieses ist eher damit beschäftigt, Visitenkarten auszutauschen. Natürlich bemühen alle ihr bestmögliches Business-Englisch.

Shankara Sportethik Gurudev Sri Sri Ravi Shankar
Der Name stammt übrigens von einem legendären indischen Philosophen. (Bild: David Rutschmann)

Wie so ein Anlass nach Basel gekommen ist, darf man sich schon fragen. Wahrscheinlich wegen der Frauen-EM? Wundern muss man sich nicht, es landen ja im Moment eh alle möglichen Grossanlässe in Basel. Selbst Sportdirektor Mustafa Atici kann nicht so recht sagen, warum die Konferenz hier in Basel ist. Seine Grussworte lässt er trotzdem gerne da – natürlich bleibt das Legacy-Programm während der Euro nicht unerwähnt.

Es ist die siebte Sportethik-Konferenz – die erste fand 2014 in den Fifa-Headquarters in Zürich statt, was aufgrund der fragwürdigen Auslegung der Fifa von ethischem Verhalten schon ein bisschen ironisch ist. Ein Jahr später wurde eben jener Ort wegen Korruptionsverdachts bei der Vergabe von Weltmeisterschaften durchsucht.

Die Sportethik-Konferenz ist ein Ableger des «Weltforums für Ethik in der Wirtschaft», ein Produkt des indischen Gurudev Sri Sri Ravi Shankar. Er ist so etwas wie ein moderner Mahatma Gandhi mit ausgeprägtem Geschäftssinn. Seine 1983 gegründete «Art of Living Foundation» ist irgendetwas zwischen Wohltätigkeitsorganisation und Jochen Schweizer für Achtsamkeits-Workshops – bei den Vereinten Nationen hat sie jedenfalls «speziellen konsultativen Status».

Sri Sri Ravi Shankar World Summit on Ethics in Sports
Ganz das letzte Abendmahl: Sri Sri Ravi Shankar beim Lekturieren. (Bild: David Rutschmann)

Und hier sitzt dieser Guru – der sogar schon Friedensverhandlungen in Kolumbien geführt hat – nun auf der Volkshaus-Bühne. Weisse Kleidung, graue lange Haare und ein kreisrunder Bart; dazu die geschickte Platzierung in der Mitte der Bühne, umringt von seinen Gäst*innen. Wer da nicht an das Letzte Abendmahl denken muss. Vom Publikum wird er jedenfalls mit frenetischem Applaus begrüsst. Ein Ticket für die Veranstaltung inklusive Lunch hat übrigens 240 Franken gekostet. Ein Guru mit Geschäftssinn.

Seine Philosophie bringt er mit einer Anekdote schnell auf den Punkt: Nicht das Gewinnen ist das Schöne am Sport, sondern der Sport an sich. «Entweder man gewinnt oder man macht jemand anderen zum Sieger – in jedem Fall soll man das gemeinsam feiern», ist seine friedvolle Botschaft. Ein bisschen klingt das wie etwas, das man Kindergartenkindern sagt, die ein Spiel verloren haben. Doch der Gurudev ist überzeugt: Sport kann vereinen. Dafür braucht es aber Vertrauen (er identifiziert fehlendes Vertrauen als Hauptproblem der heutigen Gesellschaft) – und dafür wiederum Ethik im Sport.

Mehr Applaus heimst später nur noch Honey Thaljieh ein – ihr charismatischer Stil bringt sogar den Gurudev dazu, das Handy wieder wegzulegen, das er während einer anderen Rede gezückt hat. Sie war Gründerin und Kapitänin der ersten Frauen-Fussball-Nationalmannschaft Palästinas – und erzählt vom Aufwachsen zwischen Gewalt und Ungerechtigkeit. «Fussball hat mich gelehrt, meine Stimme zu erheben», sagt sie. Das klingt ganz anders als die Philosophie des Gurudev, man solle Politik aus dem Sport raushalten.

Honey Thaljieh
Honey Thaljieh hat den Frauenfussball in Palästina auf ein neues Niveau gehoben. (Bild: David Rutschmann)

Thaljieh ist ein Glücksgriff für diese Veranstaltung: Sie hat ein TED-Talk-taugliches Talent für Storytelling und kann ihre eigene Lebensgeschichte so gut in Szene setzen, dass man zwischendurch vergisst, dass sie Public-Relations-Managerin der Fifa ist. Wenn sie beim zweiten Podium – wo sie spontan für die wegen einer Reifenpanne verhinderten Ex-Frauen-Nati-Trainerin Martina Voss-Tecklenburg einspringt – kritisch anmerkt, dass sie erneut die einzige Frau in der Runde ist, hat sie die Lacher sicher. Girlbossing ist publikumswirksamer als die vergangenen Fehler der Fifa an die grosse Glocke zu hängen. 

Es sind nunmal die grossen Visionen, die beim Publikum am meisten verfangen. Als nach dem Networking-Mittagessen – es gab Gemüse-Curry und Rote-Linsen-Dal – der australische Geschäftsmann Aron D’Souza auf einem Panel davon spricht, dass wir Doping nicht mehr bestrafen und tabuisieren, sondern Sport damit «revolutionieren» sollten, hört ihm das Publikum aufmerksam dazu. Er will im Mai 2026 in Las Vegas erstmals «Enhanced Games» veranstalten: Olympische Spiele für gedopte Sportler*innen, die das menschenmögliche Potenzial für Bestleistungen neu setzen. Die Stimmung im Volki: Angespannt (bis angetan).

Den Weltrekord im 50-Meter-Schwimmen soll der von D’Souza mit einer Million Dollar geförderte Sportler Kristian Gkolomeev mittels Doping bereits gebrochen haben. Der internationale Schwimm-Dachverband erkennt das nicht an. Doch D’Souza pfeift eh auf so etwas: Die meisten Top-Sportler*innen würden heute bereits dopen – und «Big Sports» wie das Olympische Komitee, Fifa und andere grossen Sportverbände seien heuchlerisch, da sie ja von der Alkohol- und Fast-Food-Industrie gesponsert würden (beides ist für D’Souza nachweislich gesundheitsschädigender als Doping).

Mustafa Atici Sri Sri Ravi Shankar
Alle Gäste haben noch eine Packung Basler Läckerli erhalten. (Bild: David Rutschmann)

Gerade ging es noch um Sportethik, jetzt sitzt hier also ein megalomanischer Bond-Bösewicht mit gelb-blauer Krawatte, der offen sagt, dass sein oberstes Ziel ist, das Altern – eine «Krankheit» – zu beenden. D’Souza malt eine Zukunft aus, in der Europa wirtschaftlich abgehängt wird und damit das Funktionieren seines Sozialstaats riskiert, weil es nicht in Zukunftstechnologie investiert. Und Doping beziehungsweise «Enhancement» sei für ihn die «next big industry». 

Das ist kontrovers und das ist den Organisator*innen der Konferenz auch bewusst – man wolle «vor kontroversen Debatten nicht zurückschrecken». Dennoch kann das auf dem Panel nicht unwidersprochen bleiben und deshalb kommt als Gegenpol auch noch Zellbiologe Fahri Saatcioglu zu Wort, der mit Nachdruck vor den irreversiblen gesundheitlichen Risiken von Anabolika und anderen Dopingmitteln warnt.

Alles nur Werbung für Atem-Workshops?

Saatcioglu fährt weiter, indem er über die Wichtigkeit des richtigen Atmens für den Stressabbau referiert – und auch gerade noch darauf hinweist, dass besonders die Wirksamkeit von Sudarshan Kriya durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen sei. Das ist genau die Art von Atem-Yoga, die von der Gurudev-Foundation Art of Living vermarktet wird. Die erhabenen Atemtechniken können in Kursen für 295 Franken erlernt werden. Auf der Power-Point-Präsentation auf der Bühne wird das natürlich nicht erwähnt – stattdessen wird ein Bild von einem Fjord aus Norwegen gezeigt (vielleicht, weil man da besonders gut atmen kann). 

Es ist einer dieser Momente, in denen die Sportethik-Konferenz seltsam kommerziell wirkt: Geht es hier überhaupt um Ethik oder darum, nonchalant das Kursangebot des Gurudev noch bekannter zu machen? Schon in einer «Breakout-Session» zur Rolle der Medien im Sport hat ein Podiumsteilnehmer vom Wissen über Meditation und Atmung geschwärmt, die er bei Art of Living erlernt hat. Und kurz vor der Mittagspause gab es sogar einen Vorgeschmack ins Kursprogramm in Form einer geführten Meditation. Eine Frau im Publikum schafft es nicht ganz, sich das Lachen zu verkneifen, als der ganze Saal laut «HAAAAAA» ausatmet.

Vorgeatmet wird nicht vom Gurudev selbst, sondern von einem Mann mit silbrigem Mittelscheitel, weissem Kurzarmhemd und ASMR-Stimme. Der Gurudev ist am Nachmittag abgetaucht. Als er wieder erscheint, stets von einer erleuchtet grinsenden Menschentraube begleitet, begibt er sich zur Bühne, wo am Abend von Laudator Alojz Peterle (Ex-Ministerpräsident von Slowenien) der «Ethics in Sports»-Award verliehen wird. Diesmal geht dieser an die ehemalige Schweizer Rudererin Jeannine Gmelin (die sich nach dem Tod ihres Lebenspartners und Trainers zurück in den Profisport kämpfte) und an FCB-Rückkehrer Xherdan Shaqiri.

Die auffallende Nähe vom FCB-Kosmos zu dem Sportethik-Kongress hatte bereits die bz hervorgehoben. Auf Podien sind Ex-Spieler und Kaderleute wie Alex Frei, Philipp Kaufmann sowie Bernhard Burgener und Heusler vertreten – Letzterer verteilt sogar sein Leadership-Buch gratis. Und Gurudev-Jünger Christoph Glaser, der den Sportethik-Kongress führt und Geschäftsführer des Weltforums für Wirtschaftsethik ist, war früher selbst einmal FCB-Profikarrieren-Aspirant.

Nun denn, Shaqiri gibt sich geehrt und dem Gurudev brav die Hand. Der schliesst die Veranstaltung mit einem weiteren Läckerli seiner Philosophie: Dein Goal im Leben ist Happiness. Sei aber auch ein Goalkeeper: Wenn Probleme auf dich zurollen, kick sie weg und verteidige dein Goal. Vergiss aber nicht: Family und Friends sind dein Team. «Live is not a struggle. God bless.»

Sri Sri Ravi Shankar Xherdan Shaqiri
Shaqiri und Gmelin flankieren den Gurudev. (Bild: David Rutschmann)
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David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

Kommentare

bio
24. Juli 2025 um 20:10

Enhancement

Vielleicht findet diese Veranstaltung des Bioenhancement wegen der Basler Pharma auch in Basel statt. Pharmakonzerne auf der ganzen Welt arbeiten an Bioenhancement, das ist einfach ein Teil der Life Sciences.